Bioethiker Loewy warnt vor den Brandstiftern:
Haider, der "Ziehvater des
rechtsextremen Terrorismus"
Dankesrede am 17. Mai
2001 anlässlich der Verleihung
des Paracelsus-Rings der Stadt Villach (Kärnten)
Audio:
Ausschnitt der Rede (RealAudio)
Bei der Entgegennahme des
Paraceslusringes in Villach, kam es während der Rede von Erich H.
Loewy zum Eklat. Der Bioethiker fand scharfe Worte für Jörg Haider
und Wolfgang Schüssel. Er warnte vor zunehmendem Ausländerhass und
Antisemitismus. Die anwesenden Freiheitlichen Politiker verließen
den Saal. Hier die Rede im Gesamttext:
"Wenig hat mich im Leben so
gefreut, wie den Paracelsusring zu bekommen, durch wenig habe ich
mich so geehrt gefühlt. Zuerst muß ich Ihnen für diese Ehre und
Freude danken. Es ist für mich auch irgendwie peinlich, hier zu sein
und diesen Preis annehmen zu können – denn für viele meiner
Zeitgenossen, die wahrscheinlich viel mehr als ich hätten leisten
können wurde das unmöglich gemacht.
Als Bioethiker muß man sich
notgedrungen mit Sozialethik – also mit zwischenmenschlichem
Verhalten in einer Gesellschaft – befassen. Aristoteles wies bereits
auf die Untrennbarkeit von Ethik und Politik hin. Und da Ethik mein
Fach ist und da ich ja deswegen diese wunderbare Ehre mit Freuden
über mich ergehen lasse, so sollte ich bei dieser Gelegenheit ein
paar Worte sagen.
Nur in einer ethisch gerecht
aufgebauten Gesellschaft kann der Einzelne wirklich ethisch handeln.
Wir hier in Österreich sind heute bedroht. Wir haben eine
Vorgeschichte, der wir uns stellen müssen und die uns eine gewisse
Verantwortung – wenn auch keine persönliche Schuld – auflegt. Vor
allem haben wir die Verantwortung, aus unserer Geschichte zu lernen
und zu trachten sie in keiner anderen Art zu wiederholen. Es ist
daher heute erschreckend, wenn man die selben Vokabel wie 1938 hört,
wenn die selben Worte (und ob es da "Juden" oder Ausländer oder
Schwarze oder was immer heißt, ist egal) verwendet werden, wenn sich
eine Atmosphäre entwickelt, in der Haß salonfähig wird.
Die vergangene Wahl in Wien
gibt einem zwar etwas Hoffnung – aber leider ist es offensichtlich,
daß 20% der Wähler entweder diesen alten und den neuen Haß
akzeptieren, oder daß er ihnen gleichgültig ist und sie eben bereit
sind, ihn mit in Kauf zu nehmen.. Und Menschen oder Parteien, die
bereit sind mit einer Partei, die sich ganz offen und für alle
verständlich gegen Ausländer, Juden, Andersdenkende wendet eine
Koalition zu bilden, müssen leider auch mindestens zu den
Gleichgültigen gezählt werden. Was erschreckt ist Folgendes: fast
überall anders hätte sich der Führer einer größeren Partei durch
solche Vokabel unmöglich gemacht – es wäre politischer Selbstmord.
Warum nicht hier bei uns? Leider ist in unserer Gesellschaft
Antisemitismus (und sein Ebenbild – Fremdenhaß und Haß
Andersdenkender) fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden –
etwas das durch Jahrhunderte u.a. von der Kirche propagiert wurde
und das nun nicht so leicht aus dem gesellschaftlichen
Unterbewußtsein entfernt werden kann.
Mit dieser Einstellung haben
wir im dritten Reich hier in Österreich unser intellektuelles Leben
fast zum Stillstand gebracht und haben unsere Universitäten schwerst
beschädigt. Der Aufbau hat lange gedauert und uns droht heute die
selbe Gefahr: allzu viele Leute die ich kenne (und nicht nur
sogenannte "Intellektuelle") sind, oder wollen, fort… Sie sind nicht
bereit in einem Land, in dem Haß salonfähig ist, weiter zu leben.
Und so droht uns wieder die Gefahr viel Talent zu verlieren.
Der Wiener Stadtrat Sepp
Rieder hat in seinem Vortrag bei der Spiegelgrund-Gedenkfeier im
vergangenen Jahr etwas Treffendes gesagt: nämlich, daß Haß wie eine
höchst entzündbare, sich schnell ausbreitetende Flüssigkeit ist.
Wenn die einmal verbreitet ist, so wartet sie nur auf Brandstifter,
um in Flammen aufzugehen und alles zu verbrennen. Der grassierende
Fremdenhaß, die Einstellung gegen "den Anderen", die in der letzten
Zeit wieder aufflackert und der von gewissen Parteien geschürt wird,
stellt eine Gefahr dar, die wir als Bedrohung unserer Gesellschaft
und jedes einzelnen von uns begreifen. Und es gibt genug Leute, die
diesen Haß schüren, ausnützen und schließlich den Brandstiftern
überlassen – den Brandstiftern, die sie vielleicht nicht selbst
sind, aber für die sie eine gute Vorbereitung darstellen. Herrn
Haider als "Ziehvater des rechtsextremen Terrorismus" zu bezeichnen
ist, denke ich, treffend. Und viele dieser Leute sind "politische
Gauner" im wahren Sinn des Wortes. Aber es sind ja nicht nur das
"einfache Parteimitglied" oder seine Kumpel. Es sind auch
diejenigen, die ihnen und ihrer Weltanschauung aus Eigennutz,
Eitelkeit oder Machtgier den Weg bahnen und ihnen den roten Teppich
ausrollen. Es sind die Zuschauer, die Wegschauer, die Mitläufer -
wie überall in der Welt – die gleichgültige Masse. Es sind die,
denen es gut geht und denen es ganz gleichgültig ist, wie es anderen
geht. Es sind, um genau zu sein, Menschen wie Bundeskanzler Schüssel
die es zusammenbringen in einer Koalition mit Partnern zu arbeiten,
wie dem Dr.Haider, der heuer beim Neujahrs- und danach beim
Aschermittwochstreffen der FPÖ klare antisemitische Parolen von sich
gegeben hat. Es sind Menschen, die um an einer fast lächerlichen
Macht zu bleiben bereit sind, ihre Seele, ihre Anständigkeit, ihre
Humanität zu verkaufen. Es ist, um noch genauer zu sein, eine
Gesellschaft in der so etwas geschehen kann – etwas das, wie gesagt,
in Deutschland, Frankreich oder den USA politischer Suizid wäre.
Haben wir denn kein Gedächtnis? Haben wir denn überhaupt keine
Scham?
Ich fürchte, daß wir uns sehr
gut erinnern, aber leider nicht schämen. Es sind, mit anderen Worten
wir selbst. Und sollte der Spuck einmal vorbei sein – denn solche
Sachen halten sich nicht – dann werden die selben Leute nichts
gewußt haben und "immer dagegen" gewesen sein!
Wir müssen uns alle dem, was
in uns steckt, stellen. In allen von uns – ob "wir" als einzelne
Individuen oder ob "wir" als Gesellschaft - steckt Böses; in allen
von uns steckt aber auch sehr Gutes. Prospero in Shakespeare’s
Schauspiel "Sturm" sagt es wunderbar als er den Verbrecher Caliban
freisetzt: "This darkness in thee I acknowledge mine" – "Die
Dunkelheit in Dir ist auch in mir". Es ist unsere individuelle und
auch unsere gesellschaftliche Pflicht, mit dieser Dunkelheit nicht
gleichgültig umzugehen, sondern das eine zu fördern und das andere
zu unterdrücken. Erst dann können wir uns der Tatsache dieses
menschlichen und gesellschaftlichen Janusgesichtes ehrlich stellen.
Ich sorge mich um dieses
Land. Nicht weil ich es hasse, nicht weil ich auf das ewig Gestrige
pochen möchte, sondern weil ich dieses Land, von dem ich vertrieben
wurde, trotzdem liebe, so wie ich auch das Land, das mich
aufgenommen und mir ein Heim gegeben hat, liebe. Ich möchte beide
heil und gesund und stolz dastehen sehen. Und heute kann ich das
nicht. Denn beiden drohen Gefahren – Gefahren, die mit menschlichem
Zusammenleben und sozialen Zuständen zu tun haben. Einerseits droht
in den Staaten ein unzulängliches soziales Netz mit großer Armut und
großem Reichtum. Es droht ein Rechtsschwenk, der alte Freiheiten zu
neuen Einschränkungen machen könnte. Es scheint, daß es jenen, denen
es bereits sehr gut geht, noch besser und jenen, denen es schlecht
geht, noch schlechter gehen wird – ähnlich auch in Österreich.
Andererseits droht hier in Österreich das Aufflackern einer neuen
Art des altbekannten Hasses, eine Intoleranz gegen alles und ein
Unterdrücken von allem was anders ist oder anders denkt. Es ist mein
Alptraum, daß auch ich schwarz angezogen und mit Stiefeln auf der
Rampe stehen könnte. Ich habe Angst, daß wir alle auf einer
ähnlichen Rampe stehen könnten – als Täter, als Opfer, oder (und
leider am häufigsten) als gleichgültige Zu- oder Wegschauer. Und es
ist meine Furcht, daß mein Land durch seine Politik den Bau so einer
Rampe (welcher Art sie auch sein möge) fördert".
Dr. Erich H. Loewy
Professor and Endowed Alumni Association Chair of Bioethics
Associate in Philosophy
University of California, Davis
haGalil onLine
27-05-2001
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