antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

 

Über die große deutsche Erleichterung:
Ein Finkelstein kam gerade recht

Rolf Surmann


Rolf Surmann (Hrsg.), Das Finkelstein-Alibi. 'Holocaust- Industrie' und Tätergesellschaft.
Papyrossa Verlagsges. 2001
Euro 14,32

Bestellen?

Ist die Debatte über die Finkelstein-Thesen ein Wendepunkt in der öffentlichen Auseinandersetzung um die deutsche Zeitgeschichte? Ungeachtet der Tatsache, dass Finkelstein seine Polemik gegen jüdische Organisationen nicht oder nur ungenügend mit Fakten untermauern kann, hat eine breitere deutsche Öffentlichkeit mit Erleichterung auf die Publikationen des umstrittenen New Yorker Autors reagiert. Der nachfolgende Beitrag versucht, die Ereignisse einzuordnen und die Aussagen zu analysieren.

Über mangelnde Aufmerksamkeit in Deutschland hat sich der Politologe Norman Finkelstein nie beklagen können. Schon in der Debatte um Goldhagens umstrittene Forschungsergebnisse stilisierte man ihn, der zum Thema gar nicht wissenschaftlich gearbeitet hatte, in den Medien zu dessen Gegenspieler. Im vergangenen Jahr fand ähnliches statt. Obwohl er vorher nichts Nennenswertes zur Fragestellung publiziert hatte, titelte die Berliner Zeitung am 28. Januar 2000: "Schwere Vorwürfe gegen die Jewish Claims Conference. US-Historiker: Entschädigungsgelder gingen nicht an Opfer."

In einem Interview behauptete Finkelstein dann, es habe schon einmal Verhandlungen über die Entschädigung von Zwangsarbeit gegeben, "die gleichen Verhandlungen wie heute, und mit den gleichen Leuten. Auf Grund des damals ausgehandelten Abkommens wurde die JCC 1953 beauftragt, bis 1965 jährlich zehn Millionen Dollar an die Opfer, also auch an die Sklavenarbeiter, zu verteilen". Doch plötzlich habe die "Wiederherstellung des jüdischen Gemeinwesens" im Mittelpunkt gestanden.

Finkelstein bezog sich offenbar auf das Luxemburger Abkommen, das 1952 zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und Israels sowie der Claims Conference geschlossen worden war. Ohne auf Details einzugehen, kann hierzu allgemein gesagt werden, dass seine Darstellung den Tatsachen nicht entspricht. Denn zwischen der Bundesregierung und der Claims Conference wurden zwei Protokolle unterzeichnet. Protokoll Nr. 1 regelte die Grundaspekte einer Entschädigungsgesetzgebung, die von deutscher Seite zu erlassen war und die dann zum Bundesentschädigungsgesetz in seinen verschiedenen Fassungen geführt hat.

Nach Protokoll Nr. 2 zahlte die Bundesregierung analog zum Vertrag mit der israelischen Regierung an die Claims Conference 450 Millionen Mark für die "Unterstützung, Eingliederung und Ansiedlung jüdischer Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung" außerhalb Israels. Weder gab es also eine spätere Umdeutung dieses Abkommens, noch war die Claims Conference beauftragt, Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu leisten. Und nicht zuletzt: Bei den jetzt abgeschlossenen Verhandlungen war der Ausgangspunkt die Entschädigung für vorenthaltene Lohnzahlungen, für die die deutsche Seite Ausgleichszahlungen prinzipiell verweigert hatte.

Auf diesen Sachverhalt hinzuweisen hat nicht in erster Linie inhaltlich korrigierende Bedeutung. Er macht vor allem erkennbar, wie das Blatt geradezu versessen darauf war, die abstrusen Behauptungen eines unausgewiesenen Autors in die Öffentlichkeit zu bringen. Die umgehend von der Claims Conference aufgesetzte Gegendarstellung hätte dann spätestens der Augenblick sein müssen, selbst zu recherchieren und mit einer Entschuldigung für die eigene journalistische Fehlleistung von dem Thema zu lassen. Statt dessen brachte die Berliner Zeitung jedoch weitere Beiträge, in denen zwar die Darstellung der Claims Conference prinzipiell bestätigt wurde, aber durch deren Erscheinen allein schon der Eindruck einer "Debatte" entstand.

Dieser Vorgang ist nur erklärbar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Anfang des Jahres 2000 der Stand der Entschädigungsverhandlungen wenig Hoffnung auf ein vernünftiges Ergebnis ließ. Die Stimmung war gereizt. Ein Beispiel hierfür ist eine Formulierung im Vorspann zum Finkelstein-Interview, in dem von "Ablasszahlungen" die Rede ist, über deren Annahme man schon froh sein müsse. Welch ein groteske Verdrehung nach mehr als 50 Jahren der Entschädigungsverweigerung und angesichts der stark abweichenden Meinungen über das notwendige finanzielle Volumen des geplanten Fonds. Nur auf den ersten Blick scheint es deshalb ein Widerspruch zu sein, daß die Zeitung ansonsten in ihren Kommentaren für einen "Schluss-Strich" unter die Entschädigungspolitik plädierte. Die "Ablasszahlungen"-Passage drückt bereits den ganzen Unwillen darüber aus, mit diesen Forderungen überhaupt konfrontiert zu sein. In dieser Situation kam ein Finkelstein offensichtlich gerade recht.

Rege Rezeption des Finkelstein-Buches

Das Erscheinen der englischen Ausgabe des Finkelstein-Buchs im Sommer 2000 und der deutschen in diesem Februar zeigten dann, daß alles Bisherige allenfalls die Ouvertüre war. Der Grund hierfür war nicht in erster Linie der Text selber. Die FAZ machte mit dem Bild, Finkelstein habe "ein Fenster aufgestoßen", deutlich, worum es ging. Zwar wurde im Verlauf der Debatte durchaus konzidiert, dass er nichts aufgedeckt hatte, worüber es sich zu diskutieren lohne, aber mit Rückgriff auf den jüdischen Kronzeugen konnte offensichtlich artikuliert werden, was schon lange auf Ausdruck drängte. Die Süddeutsche Zeitung faßte es mit Berufung auf den Economist trotz vorsichtiger Distanzierung in die Worte: "Doch sein Grundargument, das Gedenken an den Holocaust werde entwürdigt, ist ernst und sollte ernst genommen werden."

Es erhoben sich also die Kinder und Kindeskinder der NS-Täter gegenüber den noch lebenden Verfolgten und erklärten sich in einer Situation, in der sie den wenigen noch lebenden Opfern dieser Verbrechen elementare finanzielle Ausgleichszahlungen weiterhin vorenthielten, mit Berufung auf Finkelstein zu den eigentlichen Hütern der Erinnerung. Dass hierbei dessen Auschwitz-Relativierung unerwähnt blieb, fügt sich ins Bild.

Wie ernst der Anspruch gemeint war, Deutungsmacht zu erlangen und zu sichern, zeigte die allgemeine Empörung, die zunächst Salomon Korn und dann Paul Spiegel entgegenschlug, als sie die Ansicht äußerten, die Veröffentlichung des Finkelsteins-Buchs in Deutschland sei angesichts neonazistischer Tendenzen und sich verstärkendem Antisemitismus kontraproduktiv. War Ignatz Bubis zwar weitgehend isoliert in der Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller Walser, so galt er aber doch als ein prinzipiell gleichberechtigter Gegner. Dieses Glück hatten Korn und Spiegel nicht. An ihren Stellungnahmen wurde vielmehr exemplifiziert, was Demokratie und Freiheit des Wortes bedeuten. Doch fehlte das fürsorgliche Argument nicht, daß die anhaltende Weigerung, angebliches jüdisches Fehlverhalten in den Mittelpunkt deutscher Reflexion zu rücken, Antisemitismus nur fördern würde.

Dieses hartnäckige Beharren auf Kritik mit wechselnden Begründungen zeigt, daß die Zeiten indirekter Unmutsäußerungen, die bisher vor allem im Hinblick auf Anwälte oder mit Bezug auf Detailfragen geäußert wurden, offenbar vorbei sind. Jüdische Organisationen wie die Claims Conference sind jetzt direkt Angriffen ausgesetzt, bei denen die Faktengrundlage allenfalls sekundär ist. Das Gespür für die Notwendigkeit, deutsche Nachkriegsgeschichte aufzuarbeiten, tritt demgegenüber zurück.

Ein Beispiel für diese neue Tendenz war eine Diskussionsrunde im Fernsehen, an der unter anderen die Autorin eines vorher gezeigten Films über das Finkelstein-Buch und der ehemalige deutsche Verhandlungsleiter Lambsdorff teilnahmen. Während Lambsdorff die Verhandlungen als – sagen wir – normalen politischen Alltag darstellte, sah die junge Autorin die Notwendigkeit zu einer kritischen Aufarbeitung der Entschädigung. Sie meinte damit nicht etwa die noch immer andauernden Verweigerungen auf deutscher Seite. Im Sinne Finkelsteins zielte sie vielmehr auf die kritische Aufarbeitung des Verhaltens jüdischer Repräsentanten. Sie verschärfte damit eine Blickrichtung, die längst unter der Prämisse formuliert worden war, die Nachkriegsgeschichte Deutschlands nicht unter dem Aspekt ihrer nazistischen Belastungen zu untersuchen, sondern als "demokratische Erfolgsgeschichte". Nun mag man Lambsdorffs Position als Rechtfertigung seines politischen Werks relativieren, doch war er derjenige, der der Filmemacherin am heftigsten widersprach. Er hatte offensichtlich – und damit auch die politische Kultur, für die ersteht – mehr oder weniger den Sachverhalt akzeptiert, nachdem er und sein politisches Umfeld sich in einem gewissen Ausmaß internationalem Druck hatten beugen müssen.

Mit Berufung auf Finkelstein formiert sich jedoch eine gesellschaftliche Strömung, die nicht nur auf einen Schluss-Strich unter Entschädigungsleistungen zielt, sondern unter Umständen auch ein Ausscheren aus den internationalen Bemühungen intendiert, zum Beispiel mit weltweiten Untersuchungskommissionen, wie sie im Gefolge der Schweizer Debatte über die Vermarktung von NS-Raubgold entstanden sind, die entschädigungs- und erinnerungspolitischen Konsequenzen des Kalten Krieges aufzuarbeiten. Sie schnitte damit auch Fragen wie der nach der "vitale(n) Vergeßlichkeit" ab, die Dolf Sternberger gegenüber der Adenauer-Zeit formulierte und die Norbert Frei Ende der 90er Jahre in seiner Untersuchung über "Vergangenheitspolitik" erneut aufnahm.

Der Scheideweg, der sich spätestens seit der Walser-Rede auftut, tritt also deutlicher hervor. Sicher ist es notwendig darauf zu achten, was künftig "zur Tür hereinkommen" wird, nachdem Finkelstein "ein Fenster aufgestoßen" hat. Es greift aber wohl zu kurz, wenn kritische Stimmen lediglich darauf verweisen, der rechte Rand dieser Gesellschaft würde durch die Angriffe Finkelsteins gestärkt. Von größerer Bedeutung dürfte sein, dass die so genannte Mitte der "Berliner Republik" durch ihre Affirmation der finkelsteinschen Ideologie Positionen einnimmt, die bisher der radikalen Rechten vorbehalten waren. Das könnte fürwahr ein denkwürdiges Finale deutscher "Wiedergutmachung" sein.

Rolf Surmann ist Herausgeber des Buches: Das Finkelstein-Alibi. "Holocaust-Industrie" und Tätergesellschaft (ISBN: 3-89438-217-1), welches in diesen Tagen im Papyrossa-Verlag in Köln erscheint.

Nachtrag:

Das Buch ist mittlerweile erschienen, umfaßt 176 Seiten und kostet 28 Mark. Es enthält u.a. Beiträge von 
Micha Brumlik (Die Graduierung des Grauens), 
Ulrike Winkler (Die Kontroverse über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit), 
Lars Rensmann (Entschädigungspolitik, Erinnerungsabwehr und Motive des sekundären Antisemitismus), 
Moshe Zuckermann (Instrumentalisierung der Erinnerung. Reflexionen aus israelischer Sicht), 
Wolfgang Wippermann (Ein "Spezialist für Israelfragen". Finkelstein gegen Goldhagen und andere "jüdische Geschäftemacher") und 
Rolf Surmann (Der jüdische Kronzeuge. Finkelsteins Pamphlet als zeitgeschichtlicher Paradigmenwechsel).

Vom selben Autor:
Der lange Schatten der NS- Diktatur 
Texte zur Debatte um Raubgold und Entschädigung

haGalil onLine 03-05-2001

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved