Der radikale
Wandel der israelischen Gesellschaft kommt in der hebräischen
Sprache deutlich zum Ausdruck. Dabei geht es weniger um die Prägung
von neuen Wörtern als um semantische Verschiebungen alter Begriffe
im Zuge der politischen Entwicklung. Zionismus - die ideologische
Grundlage des Staates Israel - wurde in den 1960er Jahren in
Anführungszeichen gesetzt und als Objekt mit Verben verknüpft:
"Zionismus reden" - das war der Versuch, plakativ, unehrlich und
inhaltslos über ein wichtiges Thema zu sprechen.
Hier zeigte
sich die Folge des missbräuchlichen Umgangs mit dem Wort "Zionismus"
als Ideal und ultimative Rechtfertigung für das politische und
gesellschaftliche Handeln Israels. Nach dem Sechstagekrieg von 1967
verschwanden die Anführungszeichen wieder, aber auch der
traditionelle Inhalt des Wortes ging endgültig verloren. Während
Zionismus früher rein säkular verstanden worden war, trat nun die
jüdische Religion in den Vordergrund, und zwar in ihrer
fundamentalistischen Ausprägung. Anstatt als eine revolutionäre,
moderne, nach nationaler Selbstbestimmung strebende Bewegung - die
der Zionismus ursprünglich war - dargestellt zu werden, wurde er
bald interpretatorisch zu einer zweitausend Jahre alten religiösen
Bewegung modelliert. Somit war die "zionistische Tat" nicht mehr der
Versuch, eine moderne, gerechte "Mustergesellschaft" aufzubauen,
sondern die Gründung von Siedlungen in den seit 1967 besetzten
arabischen Gebieten.
Der neue Inhalt des Zionismus brachte
auch einen Wandel des Begriffes Judenstaat mit sich. Ursprünglich bezeichnete
dieser 1895 von Theodor Herzl geprägte Begriff den politisch-gesellschaftlichen
Raum, der verfolgten Juden Zuflucht gewährte und an dem sich eine jüdische
Mehrheit autonom und frei von Bedrängnis durch Antisemitismus entwickeln konnte.
Nachdem die Bezeichnung "Judenstaat" nach der Gründung Israels 1948 durch den
Begriff "jüdischer Staat" ersetzt und der Zionismus im Laufe der Jahre religiös
umgedeutet worden war, erwies sich die Forderung nach einem Judenstaat als
Verlangen nach einer exklusiven jüdischen Gesellschaft in Israel - und zwar im
Sinne der Orthodoxie. Jetzt konnte der Ruf laut und populär werden, die
Nichtjuden - also in erster Linie arabische Israelis - von den wichtigen
politischen Entscheidungsprozessen auszuschliessen und praktisch aus dem
Staatsleben zu verdrängen.
Da wundert es nicht, dass in den ersten
Tagen der Al-Aksa-Intifada im Herbst 2000 Wut und Zorn der israelischen Araber
überkochte und die israelische Polizei mit scharfer Munition - die bei
Demonstrationen jüdischer Israelis niemals verwendet wird - gegen Demonstranten
vorging. Die jüdische Exklusivität kommt aber nicht nur in der Einstellung
gegenüber Arabern zum Ausdruck, sondern auch gegenüber Arbeitskräften aus dem
Ausland. Die Gefährdung des jüdischen Charakters des Staates wird als
Rechtfertigung für eine harte Ausweisungspolitik gegen "Fremdarbeiter"
vorgebracht. Ein öffentliches Plädoyer gegen die Abschiebung osteuropäischer
Prostituierter kann dann allerdings mit dem Argument begründet werden, auf
diesem Wege bleibe "uns die jüdische Prostitution" erspart.
Die neuen Inhalte von Zionismus und Judenstaat verleihen auch dem Konstrukt der
Heiligkeit neue politische Qualitäten. Ostentatives Beispiel ist der Streit um
Jerusalem und seinen Tempelberg. Traditionell gilt die Altstadt Jerusalems mit
Tempelberg und Klagemauer religiösen Juden als heilig. Doch mit Politik und
Souveränität hat die Heiligkeit aller dieser Stätten nichts zu tun; denn
unmittelbar nach seiner Gründung konnte der Staat Israel ohne
Legitimitätsverlust nach innen und außen auf die "heiligen Stätten und Städte"
verzichten. Nach 1967 wurden
heilige Städte wie Hebron dann zum Argument für die
Aufrechterhaltung der Besatzung. Ein Verzicht auf heilige Orte wurde
mit Souveränitätsverlust gleichgesetzt, Heiligkeit wurde zum
politischen Instrument. Seither greift der eigentlich doch säkulare
Staat Israel immer häufiger zum Begriff der Heiligkeit, wenn es um
die Rechtfertigung seines politischen Handelns geht: Benjamin
Netanjahu ließ 1996 einen archäologisch erschlossenen Tunnel entlang
der westlichen Umfassungsmauer des Tempelberges mit dem Argument der
Öffentlichkeit zugänglich machen, es sei der "Felsen unserer
Existenz". Und Ariel Scharon besuchte im vergangenen September
provokativ den Tempelberg mit seinen Moscheen als den "heiligsten
Ort der Juden".
In beiden Aktionen werden unter der
Berufung auf die "Heiligkeit" Politik und Religion miteinander verknüpft. Eine
Konstellation, die dem Konflikt im Nahen Osten und dem Selbstverständnis der
israelischen Gesellschaft eine neue, gefährliche Qualität verleiht. Außerdem
expandierte die Heiligkeit mit der demographischen und politischen Entwicklung
territorial: Die "heilige, unteilbare Hauptstadt Jerusalem" ist heute mehr als
hundertmal so groß wie zu Zeiten König Salomons. Und weil das Wort "heilig" gar
so effektiv ist, setzte eine geradezu inflationäre Anwendung ein: Das Rachelgrab
bei Bethlehem und das Josephgrab in Nablus wurden zu Streitpunkten zwischen
Juden und Palästinensern, die man auf rein religiöser Ebene nicht mehr lösen
kann.
Ein religiöses und ethnozentrisches
Verständnis des Judenstaates hat nicht nur Auswirkungen auf Orte, sondern
verleiht auch der Sicht auf den Menschen eine neue Dimension. Sogar das einfache
Wort "Bruder" ist mittlerweile mit neuem Inhalt gefüllt worden. Zunächst konnte
die Bezeichnung "Bruder" im militärischen Umgangston das Wort "Kamerad"
ersetzen. Hierin lag vielleicht auch ein positives Potenzial - nichtjüdische
Soldaten der israelischen Armee wurden unter Umständen zu Brüdern einer
"Blutsgemeinschaft". Schließlich jedoch setzte sich ein anderer, obwohl nahe
stehender semantischer Sinn durch: Die Siedler in den besetzten Gebieten
präsentieren sich als Brüder schlechthin, indem sie zu dem Slogan "Brüder
verlässt man nicht!" greifen. Hiermit wird ein eventueller Verzicht auf besetzte
Gebiete - mit den dort errichteten jüdischen Siedlungen - dem Verlassen der
eigenen Brüder gleichgesetzt. Es dominiert der Sprachgebrauch einer
Volksgemeinschaft, in der die Mehrheit von den Siedlern zu Geiseln ihrer Sache
gemacht wird, indem die Staatsbürgergesellschaft zu einer jüdischen
Brüdergemeinschaft uminterpretiert wird, aus der die arabischen Staatsbürger
Israels ausgeschlossen bleiben. Wer als jüdischer Bürger nicht mit den Siedlern
sympathisiert, wird praktisch zum Kain, der "seines Bruders Hüter" nicht sein
will und der gezeichnet von dannen ziehen wird.
In einer durch Blutsverwandtschaft
geprägten Brüdergemeinschaft lassen sich auch Sätze wie "jüdisches Blut ist
nicht vogelfrei" bilden, wenn es darum geht, harte Vergeltungsmassnahmen gegen
Araber zu fordern. Dabei wird "jüdisches Blut" anders gewertet als
"nichtjüdisches", und "Terroristen mit Blut an den Händen", das sind immer nur
Araber, die Juden ermordet haben und daher nicht frühzeitig begnadigt werden
dürfen - ganz im Gegensatz zu Juden, die Araber ermordet haben; denn Blut ist
nur "jüdisches Blut".
"Blut an den Händen" - das kann auch nur auf Araber zutreffen, weil auf
jüdischer Seite die "Reinheit der Waffe" gilt. Seit dem Krieg von 1948 versuchte
Israel, sich selbst im kriegerischen Kontext als "human" zu präsentieren und zu
moralischem Verhalten zu erziehen: Mit der "Reinheit der Waffe" meinte man das
Bemühen, zivile Opfer zu vermeiden, selbst wenn dadurch das Leben von Soldaten
riskiert werden sollte. Und auch wenn diese Regel in der Vergangenheit nicht
immer eingehalten wurde, so galt sie doch als ein ethisch verpflichtender
Maßstab. Mittlerweile kam es hier zu einer Erosion, die von Intifada zu Intifada
offenkundiger wurde. Das moralische Postulat wurde zur Floskel - stets im
Umlauf, aber ohne Inhalt. Der menschenverachtende Gebrauch von Schusswaffen in
den vergangenen Monaten spricht für sich.
Neben der "Reinheit der Waffe" galt seit
vorstaatlichen Zeiten als verbindliche Richtlinie für Soldaten die Parole, dass
"verwundete Kameraden nicht zurückgelassen werden". Im Herbst 2000 wurde die
Debatte um diese Parole erneut entfacht, nachdem ein Soldat bei der Verteidigung
des Josephgrabes in Nablus verblutet war, da aufgebrachte Palästinenser das
Gebäude eingekesselt hatten und der verletzte Soldat von Sanitätern oder
Kameraden nicht geborgen werden konnte. Der Kampf um die Stätte überhaupt und
damit Verwundung und Tod des Soldaten wären vermeidbar gewesen, wenn die
israelische Regierung 1994 nicht unter Druck fanatischer Siedler
überflüssigerweise die Kontrolle über diese "heilige" Enklave innerhalb des
palästinensischen Autonomiegebietes übernommen hätte. Die genannte Parole steht
nun paradoxerweise für die Bereitschaft, Soldaten für fundamentalistische Zwecke
aufzuopfern und rücksichtslos arabisches Blut zu vergießen, um einen
israelischen Soldaten zu retten.
Die Umdeutung dieser Parole verbindet
sich mit einem zusätzlichen Slogan. Jeder Versuch, nicht mit allen Mitteln gegen
Palästinenser vorzugehen, wird als typisch "jüdische Schwäche" interpretiert.
Auf diese Weise gerät der ursprüngliche Wunsch, das Rückgrat des angeblich
schwachen Diasporajuden in seiner neuen Heimat zu stärken, zu einem Vorwand, um
unkontrolliert gegen Araber Gewalt anzuwenden. Ariel Scharon spricht häufig von
"Schwächeerscheinungen" der linken Regierung, eine Anspielung auf das Bild des
Diasporajuden zur Rechtfertigung einer harten Politik. Der "nicht mehr gebeugte
Jude" ist zum Synonym des gewaltbereiten Israeli geworden. Im neuen Wörterbuch
der israelischen Rechten wird jegliche Bereitschaft zum Kompromiss mit
Kapitulation gleichgesetzt. Der im Mai 2000 erfolgte Rückzug israelischer
Truppen aus dem Libanon: Das war Flucht.
Nach der semantischen Umdeutung der Worte
kommt es zur Umwertung der Werte: Der Zionismus rühmte sich stets dafür, die
Wüstenlandschaft Palästinas zum Blühen gebracht zu haben. Die Siedler haben
diesen Slogan für sich vereinnahmt und singen mahnend die bekannten Worte
"Entwurzelt die Pflanzungen nicht", wenn es um die Räumung von Siedlungen geht.
Das israelische Militär und die Siedler sehen dazu jedoch keinen Widerspruch,
wenn sie als Strafmassnahmen gegen Palästinenser systematisch Ölbäume entwurzeln
und ganze Plantagen vernichten, um die Fahrt auf den Strassen der besetzten
Gebiete "sicher zu machen" oder um Umgehungsstrassen für jüdische Siedler zu
bauen. Israels neues Wörterbuch wird weitergeführt. Gegenwärtig erhält das Wort
"Pogrom" eine neue Bedeutung.
Moshe Zimmermann
Moshe Zimmermann ist Leiter des Instituts für Deutsche Geschichte an der
Hebräischen Universität in Jerusalem
Weltwoche, Ausgabe Nr. 5/01 vom 1.2.2001
Zu
Teil 2
haGalil onLine
13-03-2001
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