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Das blockierte Land

Ob Ariel Scharon oder Ehud Barak neuer Premierminister wird,
ändert nichts: Israels Gesellschaft ist zerrissen. 
Fundamentalisten  wollen die einstige Fluchtburg für verfolgte
Juden in eine Hochburg  des orthodoxen Glaubens verwandeln. 

Eine Reflexion über die ideologische Aufmunitionierung der
Konservativen und eine Analyse der innerisraelischen Wider-
sprüche.

Von Moshe Zimmermann und Pierre Heumann

Teil 1

 

Der radikale Wandel der israelischen Gesellschaft kommt in der hebräischen Sprache deutlich zum Ausdruck. Dabei geht es weniger um die Prägung von neuen Wörtern als um semantische Verschiebungen alter Begriffe im Zuge der politischen Entwicklung. Zionismus - die ideologische Grundlage des Staates Israel - wurde in den 1960er Jahren in Anführungszeichen gesetzt und als Objekt mit Verben verknüpft: "Zionismus reden" - das war der Versuch, plakativ, unehrlich und inhaltslos über ein wichtiges Thema zu sprechen. 

Hier zeigte sich die Folge des missbräuchlichen Umgangs mit dem Wort "Zionismus" als Ideal und ultimative Rechtfertigung für das politische und gesellschaftliche Handeln Israels. Nach dem Sechstagekrieg von 1967 verschwanden die Anführungszeichen wieder, aber auch der traditionelle Inhalt des Wortes ging endgültig verloren. Während Zionismus früher rein säkular verstanden worden war, trat nun die jüdische Religion in den Vordergrund, und zwar in ihrer fundamentalistischen Ausprägung. Anstatt als eine revolutionäre, moderne, nach nationaler Selbstbestimmung strebende Bewegung - die der Zionismus ursprünglich war - dargestellt zu werden, wurde er bald interpretatorisch zu einer zweitausend Jahre alten religiösen Bewegung modelliert. Somit war die "zionistische Tat" nicht mehr der Versuch, eine moderne, gerechte "Mustergesellschaft" aufzubauen, sondern die Gründung von Siedlungen in den seit 1967 besetzten arabischen Gebieten.

Der neue Inhalt des Zionismus brachte auch einen Wandel des Begriffes Judenstaat mit sich. Ursprünglich bezeichnete dieser 1895 von Theodor Herzl geprägte Begriff den politisch-gesellschaftlichen Raum, der verfolgten Juden Zuflucht gewährte und an dem sich eine jüdische Mehrheit autonom und frei von Bedrängnis durch Antisemitismus entwickeln konnte. Nachdem die Bezeichnung "Judenstaat" nach der Gründung Israels 1948 durch den Begriff "jüdischer Staat" ersetzt und der Zionismus im Laufe der Jahre religiös umgedeutet worden war, erwies sich die Forderung nach einem Judenstaat als Verlangen nach einer exklusiven jüdischen Gesellschaft in Israel - und zwar im Sinne der Orthodoxie. Jetzt konnte der Ruf laut und populär werden, die Nichtjuden - also in erster Linie arabische Israelis - von den wichtigen politischen Entscheidungsprozessen auszuschliessen und praktisch aus dem Staatsleben zu verdrängen. 

Da wundert es nicht, dass in den ersten Tagen der Al-Aksa-Intifada im Herbst 2000 Wut und Zorn der israelischen Araber überkochte und die israelische Polizei mit scharfer Munition - die bei Demonstrationen jüdischer Israelis niemals verwendet wird - gegen Demonstranten vorging. Die jüdische Exklusivität kommt aber nicht nur in der Einstellung gegenüber Arabern zum Ausdruck, sondern auch gegenüber Arbeitskräften aus dem Ausland. Die Gefährdung des jüdischen Charakters des Staates wird als Rechtfertigung für eine harte Ausweisungspolitik gegen "Fremdarbeiter" vorgebracht. Ein öffentliches Plädoyer gegen die Abschiebung osteuropäischer Prostituierter kann dann allerdings mit dem Argument begründet werden, auf diesem Wege bleibe "uns die jüdische Prostitution" erspart.

Die neuen Inhalte von Zionismus und Judenstaat verleihen auch dem Konstrukt der Heiligkeit neue politische Qualitäten. Ostentatives Beispiel ist der Streit um Jerusalem und seinen Tempelberg. Traditionell gilt die Altstadt Jerusalems mit Tempelberg und Klagemauer religiösen Juden als heilig. Doch mit Politik und Souveränität hat die Heiligkeit aller dieser Stätten nichts zu tun; denn unmittelbar nach seiner Gründung konnte der Staat Israel ohne Legitimitätsverlust nach innen und außen auf die "heiligen Stätten und Städte" verzichten.

Nach 1967 wurden heilige Städte wie Hebron dann zum Argument für die Aufrechterhaltung der Besatzung. Ein Verzicht auf heilige Orte wurde mit Souveränitätsverlust gleichgesetzt, Heiligkeit wurde zum politischen Instrument. Seither greift der eigentlich doch säkulare Staat Israel immer häufiger zum Begriff der Heiligkeit, wenn es um die Rechtfertigung seines politischen Handelns geht: Benjamin Netanjahu ließ 1996 einen archäologisch erschlossenen Tunnel entlang der westlichen Umfassungsmauer des Tempelberges mit dem Argument der Öffentlichkeit zugänglich machen, es sei der "Felsen unserer Existenz". Und Ariel Scharon besuchte im vergangenen September provokativ den Tempelberg mit seinen Moscheen als den "heiligsten Ort der Juden".

In beiden Aktionen werden unter der Berufung auf die "Heiligkeit" Politik und Religion miteinander verknüpft. Eine Konstellation, die dem Konflikt im Nahen Osten und dem Selbstverständnis der israelischen Gesellschaft eine neue, gefährliche Qualität verleiht. Außerdem expandierte die Heiligkeit mit der demographischen und politischen Entwicklung territorial: Die "heilige, unteilbare Hauptstadt Jerusalem" ist heute mehr als hundertmal so groß wie zu Zeiten König Salomons. Und weil das Wort "heilig" gar so effektiv ist, setzte eine geradezu inflationäre Anwendung ein: Das Rachelgrab bei Bethlehem und das Josephgrab in Nablus wurden zu Streitpunkten zwischen Juden und Palästinensern, die man auf rein religiöser Ebene nicht mehr lösen kann.

Ein religiöses und ethnozentrisches Verständnis des Judenstaates hat nicht nur Auswirkungen auf Orte, sondern verleiht auch der Sicht auf den Menschen eine neue Dimension. Sogar das einfache Wort "Bruder" ist mittlerweile mit neuem Inhalt gefüllt worden. Zunächst konnte die Bezeichnung "Bruder" im militärischen Umgangston das Wort "Kamerad" ersetzen. Hierin lag vielleicht auch ein positives Potenzial - nichtjüdische Soldaten der israelischen Armee wurden unter Umständen zu Brüdern einer "Blutsgemeinschaft". Schließlich jedoch setzte sich ein anderer, obwohl nahe stehender semantischer Sinn durch: Die Siedler in den besetzten Gebieten präsentieren sich als Brüder schlechthin, indem sie zu dem Slogan "Brüder verlässt man nicht!" greifen. Hiermit wird ein eventueller Verzicht auf besetzte Gebiete - mit den dort errichteten jüdischen Siedlungen - dem Verlassen der eigenen Brüder gleichgesetzt. Es dominiert der Sprachgebrauch einer Volksgemeinschaft, in der die Mehrheit von den Siedlern zu Geiseln ihrer Sache gemacht wird, indem die Staatsbürgergesellschaft zu einer jüdischen Brüdergemeinschaft uminterpretiert wird, aus der die arabischen Staatsbürger Israels ausgeschlossen bleiben. Wer als jüdischer Bürger nicht mit den Siedlern sympathisiert, wird praktisch zum Kain, der "seines Bruders Hüter" nicht sein will und der gezeichnet von dannen ziehen wird.

In einer durch Blutsverwandtschaft geprägten Brüdergemeinschaft lassen sich auch Sätze wie "jüdisches Blut ist nicht vogelfrei" bilden, wenn es darum geht, harte Vergeltungsmassnahmen gegen Araber zu fordern. Dabei wird "jüdisches Blut" anders gewertet als "nichtjüdisches", und "Terroristen mit Blut an den Händen", das sind immer nur Araber, die Juden ermordet haben und daher nicht frühzeitig begnadigt werden dürfen - ganz im Gegensatz zu Juden, die Araber ermordet haben; denn Blut ist nur "jüdisches Blut".

"Blut an den Händen" - das kann auch nur auf Araber zutreffen, weil auf jüdischer Seite die "Reinheit der Waffe" gilt. Seit dem Krieg von 1948 versuchte Israel, sich selbst im kriegerischen Kontext als "human" zu präsentieren und zu moralischem Verhalten zu erziehen: Mit der "Reinheit der Waffe" meinte man das Bemühen, zivile Opfer zu vermeiden, selbst wenn dadurch das Leben von Soldaten riskiert werden sollte. Und auch wenn diese Regel in der Vergangenheit nicht immer eingehalten wurde, so galt sie doch als ein ethisch verpflichtender Maßstab. Mittlerweile kam es hier zu einer Erosion, die von Intifada zu Intifada offenkundiger wurde. Das moralische Postulat wurde zur Floskel - stets im Umlauf, aber ohne Inhalt. Der menschenverachtende Gebrauch von Schusswaffen in den vergangenen Monaten spricht für sich.

Neben der "Reinheit der Waffe" galt seit vorstaatlichen Zeiten als verbindliche Richtlinie für Soldaten die Parole, dass "verwundete Kameraden nicht zurückgelassen werden". Im Herbst 2000 wurde die Debatte um diese Parole erneut entfacht, nachdem ein Soldat bei der Verteidigung des Josephgrabes in Nablus verblutet war, da aufgebrachte Palästinenser das Gebäude eingekesselt hatten und der verletzte Soldat von Sanitätern oder Kameraden nicht geborgen werden konnte. Der Kampf um die Stätte überhaupt und damit Verwundung und Tod des Soldaten wären vermeidbar gewesen, wenn die israelische Regierung 1994 nicht unter Druck fanatischer Siedler überflüssigerweise die Kontrolle über diese "heilige" Enklave innerhalb des palästinensischen Autonomiegebietes übernommen hätte. Die genannte Parole steht nun paradoxerweise für die Bereitschaft, Soldaten für fundamentalistische Zwecke aufzuopfern und rücksichtslos arabisches Blut zu vergießen, um einen israelischen Soldaten zu retten.

Die Umdeutung dieser Parole verbindet sich mit einem zusätzlichen Slogan. Jeder Versuch, nicht mit allen Mitteln gegen Palästinenser vorzugehen, wird als typisch "jüdische Schwäche" interpretiert. Auf diese Weise gerät der ursprüngliche Wunsch, das Rückgrat des angeblich schwachen Diasporajuden in seiner neuen Heimat zu stärken, zu einem Vorwand, um unkontrolliert gegen Araber Gewalt anzuwenden. Ariel Scharon spricht häufig von "Schwächeerscheinungen" der linken Regierung, eine Anspielung auf das Bild des Diasporajuden zur Rechtfertigung einer harten Politik. Der "nicht mehr gebeugte Jude" ist zum Synonym des gewaltbereiten Israeli geworden. Im neuen Wörterbuch der israelischen Rechten wird jegliche Bereitschaft zum Kompromiss mit Kapitulation gleichgesetzt. Der im Mai 2000 erfolgte Rückzug israelischer Truppen aus dem Libanon: Das war Flucht.

Nach der semantischen Umdeutung der Worte kommt es zur Umwertung der Werte: Der Zionismus rühmte sich stets dafür, die Wüstenlandschaft Palästinas zum Blühen gebracht zu haben. Die Siedler haben diesen Slogan für sich vereinnahmt und singen mahnend die bekannten Worte "Entwurzelt die Pflanzungen nicht", wenn es um die Räumung von Siedlungen geht. Das israelische Militär und die Siedler sehen dazu jedoch keinen Widerspruch, wenn sie als Strafmassnahmen gegen Palästinenser systematisch Ölbäume entwurzeln und ganze Plantagen vernichten, um die Fahrt auf den Strassen der besetzten Gebiete "sicher zu machen" oder um Umgehungsstrassen für jüdische Siedler zu bauen. Israels neues Wörterbuch wird weitergeführt. Gegenwärtig erhält das Wort "Pogrom" eine neue Bedeutung.

Moshe Zimmermann

Moshe Zimmermann ist Leiter des Instituts für Deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem

Weltwoche, Ausgabe Nr. 5/01 vom 1.2.2001

Zu Teil 2

haGalil onLine 13-03-2001

 

 

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