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Eine neue Welle
kommerzieller Filme greift auf ein 60 Jahre altes Thema zurück, den
Holocaust. Allein in den letzten drei Jahren erlebten wir die
Aufführungen von Das Leben ist schön, Jakob der Lügner, Sunshine,
Gloomy Sunday, Zug des Lebens, Aimée und Jaguar, Comedian
Harmonists, Die letzten Tage und Kalmans Geheimnis.
Anders als frühere
Filmproduktionen, die das Thema behandelten, richten sich diese
Kinofilme an ein breites Publikum und sollen beträchtliche Gewinne
erzielen. Darin sind sie bemerkenswert erfolgreich. Seit 1997 wurden
allein in den deutschen Kinos an die fünfzehn Millionen
"Holocaust–Film– Zuschauer" gezählt.
Darin sehen viele ein Zeichen
öffentlichen Engagements für Gedenken und Toleranz. Je mehr Menschen
sich durch das Unrecht des Naziregimes betroffen fühlen - so meinen
sie - desto wahrscheinlicher ist ihr künftiges Engagement gegen
Unterdrückung. Andere wiederum stehen diesem Trend kritischer
gegenüber. Sie halten den fiktiven kommerziellen Film für ein
ungeeignetes Medium zur Darstellung des Holocaust. Der
Nobelpreisträger und Holocaust–Überlebende Elie Wiesel zum Beispiel
besteht darauf, dass nur dokumentarisches Material zur Darstellung
des "Undarstellbaren" verwendet werden dürfe.
"Das Problem mit fiktiven
Holocaust–Filmen liegt im Medium selbst," meint Christina von Braun,
Professorin für Kulturwissenschaften an der Humboldt–Universität in
Berlin. "Kinofilmen gelingt es, die Zuschauer davon zu überzeugen,
dass das, was sie sehen, wirklich ist." Es ist schwer, von Braun zu
widerlegen. Tatsächlich werden die Zuschauer durch die völlige
Dunkelheit in den Kinos, Dolby-Sound-Anlagen und riesige Leinwände
gefesselt. Historisch präzis gestaltete Filmkulissen, zusammen mit
sorgfältigen Kostüm- und Make-up – Techniken, erlauben es, die
Bilder authentisch wirken zu lassen. Die neueste Kameratechnik setzt
diese perfekt bis in die kleinsten Einzelheiten um. Die Bilder
scheinen wirklich, aber sie sind es nicht.
"Ein weiteres Problem besteht
darin, dass wir Film so eng mit Unterhaltung verbinden," fährt von
Braun fort. Kinogänger erwarten vor allem, unterhalten zu werden.
Kino ist die Freizeitaktivität Nummer eins beim ersten Rendezvous,
und der Besuch am Imbißstand ist eine der beliebtesten Anlaufstellen
bei Kinoausflügen. Romantik und Popcorn schaffen jedoch ein
fragwürdiges Ambiente für die Auseinandersetzung mit dem Holocaust.
Weitere Assoziationen stellen sich außerhalb des Filmerlebnisses
ein: "Denken Sie nur an all die Menschen, die Schindlers Liste
(´93) sehen, sich danach die Filmmusik kaufen und sie zu Hause
anhören!" sagt von Braun.
Die Filmindustrie ist, wie
alle anderen Unternehmen, profitorientiert. Um Kassenerfolge zu
erzielen, müssen Filme so produziert und vermarktet werden, dass sie
dem Geschmack eines großen Zielpublikums entsprechen. Ganz
gleichgültig, wie grauenvoll das im Film dargestellte Geschehen ist,
die Bilder müssen dennoch attraktiv sein. Dazu gehören auch leicht
identifizierbare Filmfiguren und eine spannende Handlung. Werden
diese Elemente nicht vorsichtig und geschickt eingesetzt, können sie
rassistische Stereotypen verstärken.
Aimée und Jaguar(´97)
zum Beispiel erzählt die Geschichte einer leidenschaftlichen
Liebesaffäre zwischen zwei Frauen in Nazideutschland - einer Jüdin
und einer Nichtjüdin. Die blonde Aimée ist eine nichtjüdische
Hausfrau, Mutter von drei Söhnen und Ehefrau eines SS–Offiziers. Wie
ihr Name besagt, ist sie in den Augen vieler ein Objekt der
Begierde. Sie ist immer der passive Partner in einer
Beziehung und noch dazu ziemlich naiv. Jaguar ist eine dunkelhaarige
jüdische Frau, voller "jüdischer" Gerissenheit (sie ist Journalistin
bei einer Nazizeitung), sexuell abenteuerlustig und aktiv (sie ist
in Affären mit zahlreichen Frauen verwickelt und posiert für einen
Pornophotographen).
In einer Szene, in der sie
Aimée beobachtet, erscheint sie ebenso aggressiv und exotisch wie
das Tier, das sie verkörpert – ein Jaguar. Sie ist auch sadistisch.
An Aimées Geburtstag verführt sie ihre frühere Freundin direkt vor
Aimées Augen. Kurze Zeit danach endet ihre Romanze mit Aimée abrupt,
als die Nazis sie verhaften und deportieren. Aimée bleibt leidend
zurück. Der Film Aimée und Jaguar verbreitet unachtsam
Nazi–Stereotypen: Jaguar ist ebenso gefährlich für ihre Geliebte wie
es Juden nach Darstellung der Nationalsozialisten für Deutschland
gewesen waren. Eine kurze Begegnung Aimées mit Jaguar zerstört ihr
Leben.
"Eine Gemeinsamkeit in der
Struktur vieler Holocaust–Filme" erklärt Errol Morris, Regisseur des
Dokumentarfilmes Herr Tod: Aufstieg und Fall des Fred A. Leuchter
(´99) "ist der Sieg über das Unglück." In Spielbergs beiden
Holocaust–Filmen, Schindlers Liste und
Die letzten Tage (´99,) erzählen Überlebende von den
Hindernissen und Erfahrungen am Rande des Abgrundes, denen sie beim
Kampf ums Überleben ausgeliefert waren. Sie sind am Leben, weil sie
gesiegt haben. Für Errol Morris gibt es jedoch "am Holocaust nichts
Triumphierendes. Der Holocaust ist durch Absurdität und Launen des
Schicksals überlebt worden." "Der Sieg über das Unglück ist ein
zutiefst christliches Motiv," behauptet Christina von Braun. In der
christlichen Mythologie ging aus der Kreuzigung Jesu eine Religion
hervor, die sich über die ganze Welt verbreitete und heute noch eine
beträchtliche politische und kulturelle Macht besitzt. Die
Action–Filme Hollywoods zum Beispiel, vor allem James Bond
und Rambo, zeigen den Sieg über einen gefährlichen
Hindernisparcours. "Kaum mehr als seine Ausstattung und die
spielerische Verwendung von Ironie unterscheiden einen James
Bond-Film von vielen Holocaust–Filmen," folgert von
Braun. Das Judentum hingegen ist anders. Schon früh lehnte es
Menschenopfer ab und unterschied sich damit von anderen Religionen.
Das Leben ist schön (´98)
stellte den Holocaust im Rahmen einer Komödie dar und mag
dadurch mehr Aufruhr ausgelöst haben als andere zeitgleiche Filme.
Der Hauptdarsteller Guido ist ein typischer Harlekin aus dem Italien
der frühen dreißiger Jahre. Seine Flexibilität und sein Sinn für
Humor ermöglichen es ihm häufig, das scheinbar Unmögliche zu
erreichen. Guidos Albernheit ist arglos und harmlos, und seine
Tricks schaffen zu Beginn eine heitere Atmosphäre. Während der
ersten Hälfte des Films gibt es keinerlei Hinweise auf das Judentum.
Die Zuschauer erfahren nicht einmal, dass Guido Jude ist. Die
Stimmung verändert sich, als die Nazipolitik die Stadt
erreicht. Angesichts Guidos vollständiger Assimilation und seiner
heiteren Harmlosigkeit erscheint die Politik der Nazis umso
absurder.
Anders als sonst werden Juden
in diesem Holocaust–Film nicht als hilflose Opfer dargestellt. Guido
wahrt seine Persönlichkeit während des gesamten Films. Seine Witze
setzen sich sogar bis in die Szene seines Todes fort, die vielleicht
das Slapstick–Meisterstück des Films darstellt. Dennoch endet Das
Leben ist schön mit einem nachdenklichen Ton. Während andere
Filme hier triumphierend enden könnten, hat dieser Film ein
dramatisches Ende. Guidos Sohn überlebt zwar, doch da seine Mutter
Nichtjüdin ist, ist er es nach jüdischer Tradition auch nicht. Durch
Guidos Tod stirbt folglich auch das Judentum in dieser Familie - wie
auch tatsächlich im größten Teil Europas.
Für Radu Mihaileanu, den
Regisseur von Zug des Lebens (´98), ist Humor ein
wesentliches Merkmal jüdischer Kultur. Um vor den Nazis zu fliehen,
beschließen die Dorfbewohner in seinem Film, sich als Nazis zu
verkleiden und sich selbst zu deportieren. Zug des Lebens
ist, anders als Das Leben ist schön, durch und durch jüdisch.
Mihaileanus Gestalten sind alle Stereotypen, aber mit einer
reichlichen Portion Selbstironie. Seine Gestalten sind dumm
und eigensinnig, aber niemals bösartig. Sie sind auch sehr
unterschiedlich: Esther ist schön, Schlomo verrückt, Mordechai
entschlossen, der Rabbi demokratisch und der Kommunist glühend vor
Eifer. Allein ihre Heterogenität widerlegt den eindimensionalen
Nazi-Stereotyp.
Mihaileanus Film ist nach
traditioneller jüdischer Form aufgebaut. Er lehnt sich an bekannte
osteuropäische jüdische Fabeln an, wie Die weisen Männer von
Chelm. Diese beginnen in der Regel mit einem Problem, das die
Dorfbevölkerung bedroht. Der Rat der weisen Männer - eine Gruppe,
die selten weise ist - wird zusammengerufen, um das Problem zu
diskutieren. Stets ersinnen sie eine völlig törichte Strategie, die
zu einem absurden, vergnüglichen und meist sogar erfolgreichen
Ergebnis führt.
Zug des Lebens könnte
als eine Neufassung von Purim betrachtet werden, einem
Frühlingsfest, das an den jüdischen Widerstand gegen das Pogrom der
Perser um 500 v. Chr. erinnert. In Zug des Lebens werden die
Vorbereitungen für Purim gezeigt. Ein Passant fragt Frauen, was sie
backen, und sie antworten "Hamantaschen natürlich. Es ist Purim!"
Zusätzlich benennt Mihaileanu seine Figuren nach denen der Megillah,
dem Purimbuch: Seine Esther entspricht der schönen Esther aus der
Megillah, und sein Mordechai ist ebenso klug und mutig wie der
Mordechai des Purimfestes. Sollte man das Datum des deutschen
Kinostarts am 23. März 2000, und damit gerade zwei Tage nach Purim,
als eine Einladung auffassen, dieses Fest jüdischen Überlebens
mitzufeiern?
So überraschend es auch sein
mag, Mihaileanu führt Schindlers Liste als einen wichtigen
Einfluß für seinen Film Zug des Lebens an. "Spielbergs Vision
hat mich zweifach berührt," sagt er. "Ich fühlte mich zutiefst
bewegt. Gleichzeitig wollte ich die Geschichte der Shoah aber
nochmals erzählen, ohne dabei einfach auf Tränen und Schrecken
zurückzugreifen."
Mihaileanu war nicht der
Einzige, der auf Spielbergs Film reagierte. Nach Schindlers Liste
erlebte die Filmindustrie einen regelrechten Boom in der
Produktion von Holocaust-Filmen. Schindlers Liste motivierte
besonders junge Leute, sich freiwillig und aufrichtig für den
Holocaust zu interessieren. Ingrid Lohmann, Professor für
Pädagogische Wissenschaften an der Universität Hamburg, fand heraus,
dass der Film Schindlers Liste bei jungen Zuschauern umso
glaubwürdiger war, weil er eben nicht von der Bundeszentrale für
Politische Bildung gemacht wurde, sondern vom Schöpfer von ET
und Jurassic Park. Viele sind der Ansicht, dass Schindlers
Liste sogar die Politik beeinflusst hat. Sie fragen sich, ob die
Entschädigungsverhandlungen für Zwangsarbeiter ohne diesen Film so
breite Unterstützung gefunden hätten.
Manche werden sagen, dass
kommerzielle Filme unpolitisch sind. Aber wenn ein Film wie Das
Leben ist schön drei Oscars gewinnt und 1.236 987 Zuschauer in
ganz Deutschland anzieht, oder wenn Zug des Lebens höhere
Besucherzahlen pro Filmkopie erreicht als andere deutsche Filme
in diesem Jahr, dann kann ein neues Bewusstsein vom Judentum
entstehen, selbstsicher und frei von Stereotypen. Das Jüdische
Museum begrüßt diese Filme, würde aber gerne ein mahnendes Wort
hinzufügen: Lasst Jaguare bitte Jaguare bleiben und Juden Juden.
N.B.O.
Interview mit Rafael
Seligmann:
"Trittbrettfahren
mit dem Holocaust"
Interview mit Ralph
Giordano:
"Diese
Filme sind wichtig"
Quelle "Nachrichtenblatt
des Jüdischen Museums in Berlin"
haGalil onLine
20-03-2001
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