www.nazis-raus.de?
Gegen Haßseiten im World Wide Web scheint
kein technisches Kraut gewachsen
Von Burkhard Schröder
Spätestens seit
Bundeskanzler Gerhard Schröder im vergangenen Herbst zum "Auf stand der
Anständigen" gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit aufgerufen hat,
fordern Politiker und gesellschaftliche Kräfte, Neonazis, Antisemiten und
Rassisten aus dem Internet zu verbannen. Im Juni 2000 mahnte eine "Berliner
Erklärung" Maßnahmen gegen die "Verbreitung von Haß im Internet" und für einen
"globalen Wertekonsens" an. Aber wie soll das geschehen? Eine Art Zensurbehörde
einzurichten, die täglich die Millionen neuer Seiten im World Wide Web auf ihren
Inhalt prüft, würde nicht nur den Orwellschen Zukunftsstaat bei weitem in den
Schatten stellen; sie würde auch aus technischen Gründen schon im Ansatz
scheitern.
Stattdessen wird
gefordert - sei es vom Bertelsmann-Konzern, der deutschen Justizministerin
Hertha Däubler-Gmelin oder dem Simon-Wiesenthal-Center - "Filterprogramme"
einzusetzen. Das ist gut gemeint, aber verkennt die technischen Möglichkeiten
und vor allem Erfolge solcher Unterfangen. Denn "das Internet" gibt es
physikalisch gar nicht. Der Begriff bezeichnet verschiedene Dienste, die jeder,
der "online" ist, mit Hilfe von Programmen nutzen kann, um an Daten zu gelangen.
Einer dieser Dienste ist das World Wide Web, das irrigerweise oft als Synonym
für das "Internet" genommen wird. Das www ist nur eine grafische Oberfläche,
eine Art spezieller Brille, um an Daten zu gelangen. Das macht es mit der
Programmiersprache "Hyper Text Markup Language" (HTML) möglich, mit der man
nicht nur Texte, sondern auch Töne und Bilder benutzerfreundlich auf einer
"Website" arrangieren kann, inklusive "Links", die den Benutzer per Mausklick
oder Tastatur an andere Dateien weiterleiten.
Bei den "Filtern" nun
handelt es sich um Software, die den Code der Programmiersprache HTML indiziert,
in der Dokumente des www geschrieben sind. Das Problem da bei: Die Software kann
nicht differenzieren. Ein Filterprogramm zum Beispiel, das den Zugang zu
Pornoseiten verhindern soll und auf die Zeichenkette "SEX" reagiert, blockiert
auch alle Verweise zu den englischen Grafschaften SusSEX, EsSEX und MiddleSEX.
Wer "Hitler", "Nationalsozialismus", oder "Auschwitz-Lüge" als Zeichenketten
verbannen will, verhindert auch den Zugang zu seriösen Quellen. Zudem bieten
diverse Websiten - wie www.peacefire.org - volkstümliche Anleitungen an, sogar
Software, mit denen man alle Arten von Filterprogrammen auch ohne technische
Vorkenntnisse umgehen kann.
Überhaupt keine Wirkung
haben Filter beim "Usenet", das mittlerweile rund achtzigtausend
Diskussionsforen (Newsgroups) umfasst, die einen wesentlichen Teil des Internets
ausmachen, aber mit dem www nichts zu tun haben. Jeder, der einen Zugang zum
Internet hat, kann, ob sein Provider es will oder nicht, alle Newsgroups
weltweit über sogenannte "offene" Server lesen, auch wenn die Foren so
einschlägige Titel haben wie alt.nigger.flames
oder rec.music.white-power. Seriöse Provider bieten zwar nur eine
Auswahl von Foren an, trotzdem kann jeder Surfer mit Grundkenntnissen die
"unseriösen" Foren jederzeit durchsuchen und lesen. Im Usenet kann außerdem
jeder anonym schreiben.
Dafür sorgt Software, die
die Identität des Surfers auch im www verbirgt, wie der "Java Anon Proxy" der
Technischen Universität Dresden, ein kleines kostenloses Programm, das wie eine
Art virtuelle Tarnkappe wirkt. Kriminelle und Neonazis nutzen schon seit Jahren
"unknackbare" Verschlüsselungsprogramme, und niemand kann ihnen das verbieten.
Nicht einsetzbar
schließlich sind Filter auch bei anderen Diensten des www wie Telnet, ein
Programm, das auf fremde Rechner aktiv zugreift und ihnen, im Gegensatz zum
"Browser", Befehle geben kann; ferner die Suche nach Files (Dateien): auch ohne
die "Brille" des www kann jeder Dateien auf seinen Computer kopieren.
Die Europäische
Gemeinschaft hat nicht zuletzt wegen dieser technischen Probleme ihre
ursprüngliche Idee, "Negativfilter" zu entwickeln, mittlerweile verworfen. Jetzt
arbeiten diverse Expertenrunden an "Positivlisten". Die aber sind genauso
impraktikabel wie Filterprogramme. Auch die Aktion der Organisation Kinder
des Holocaust, die Provider dazu drängen, bestimmte Websites zu sperren, ist
"heiße Luft", symbolische Politik ohne Wirkung: Jeder, der einen sogenannten
anonymen Proxy benutzt (kostenlos), kann so die Seiten dennoch sehen.
Das Internet -
insbesondere die Dienste www, Usenet und eMail - ist aus Prinzip nicht
zensierbar. Die demokratische Opposition Chinas oder Serbiens konnte deshalb
weltweit Gehör finden. Ebenso aber auch Nazis. Man kann die revolutionäre
Entwicklung des Netzes weder eindämmen noch rückgängig machen, genausowenig wie
man ein gekochtes Ei wieder in seinen Urzustand versetzen kann. Das Internet
fordert uns alle heraus, uns auf die wahren Probleme zu besinnen: Der Bote ist
für die schlechte Nachricht nicht verantwortlich. Der "Haß" in jeglicher Form
wird öffentlich bleiben wie im realen Leben. Nicht der Spiegel der Welt ist das
Problem, sondern die Welt.
Zuerst
erschienen in der
Allg. Jüd. Wochenzeitung
Neonazis und
Computernetze (1995)
http://www.burks.de/nazicomp.html
 |
Ob Quedlinburg,
Wernigerode oder Wurzen: gerade kleinere Städte werden zu
Hochburgen der rechten Szene. Und das bedeutet im Osten
etwas anderes als im Westen. Radikale Jugendbanden und
Parteien werden immer stärker, mobiler, präsenter. Und es
fehlt an öffentlicher Kraft, sie in die Schranken zu weisen.
Burkhard Schröders Reportagen aus der ostdeutschen Provinz
zeigen nicht nur die wachsende anmacht dieser Szene über den
Alltag der Menschen; sie zeichnen auch ein bedrückendes Bild
von der Mischung aus Angst, Hilflosigkeit und
klammheimlicher Sympathie, mit der ihr begegnet wird. |
-
Nazis sind Pop
Oktober 2000 bei Espresso (vorm. Elefantenpress)
- Terror von rechts
Erscheint im März 2001 bei Espresso.
-
Neonazis online: Im Thule-Netz, Taz, 6.12.1995
-
Führer unter sich - TIP 29.5.1996 - über das Verhältnis zwischen
Deutschen und Muslimen in den 30er Jahren
-
Potemkin läßt grüßen - Taz, 15.3.1997
-
Das Netz des Berliner Neonazi-Terrors - Taz, 4.8.1997
-
Der lange Marsch in den Mainstream - Tagesspiegel, 14.8.1997
-
Denn sie wissen nicht, was sie wählen... - Rheinischer Merkur 19/98
-
Gewendete Kapitalismuskritik - Taz, 02.05.1998
-
Wenn Deutsche zu sehr protestieren - Jungle World 05.05.1998
-
Die Bösen sind immer die anderen - Jungle World 01.07.1998
-
Der "Judenstuhl" - Rechtsextremismus im Unterricht, Deutsche
Lehrerzeitung 10.10.1998
-
Lonsdale wie NS - Deutsche Lehrerzeitung 10.10.1998
-
Eine weise Entscheidung - Kommentar in der TAZ, 2.9.1998
-
Christlicher Fundamentalismus: Traditionelle Sekten und
Sondergemeinschaften - in der Broschüre der FES Thüringen: Sekten und
Psychogruppen in Deutschland: Gefahr für Demokratie und Gesellschaft? 1999
-
Sozialismus im rechten Gewand - Der Standard, Österreich, 23.06.1999
-
Mission in der nationalen Zone - Canyoning für Antirassisten, Jungle
World 11.08.1999
-
Nazis sind Pop - Zitty, 11.08.1999
-
Rumpelstilzchen im Rennwagen
- Nazis online; Tagesspiegel 29.09.1999
-
Wundermittel gibt es nicht - Software gegen Kinderpornografie im
Internet; Tagesspiegel 3.10.1999
-
Nachholender Rassismus - 10 Jahre Rechtsextremismus, Jungle World
3.11.1999
-
Einer für alle - Jungle World 16.02.2000 über Jörg Haider
-
Viren-Attacke: Worauf man achten sollte - Tagesspiegel 05.05.2000
-
Das Wahrheitsministerium - eine Illusion - Rechtsextremismus im
Internet - Tagesspiegel 03.08.2000
...
haGalil onLine
14-03-2001 |