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SZ vom 27.01.2001, SZ am Wochenende

Als in Jedwabne die Scheune brannte
Aufregung in Polen: Die Ermordung von 1600 Juden im Juli 1941 
war offenbar die Tat von Mitbürgern

Von Thomas Urban

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Auf der Gedenktafel steht: "Stätte der Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Hier haben Gestapo und Hitlers Gendarmerie 1600 Menschen bei lebendigem Leib verbrannt." Die Gedenktafel befand sich unweit des Marktplatzes der ostpolnischen Kleinstadt Jedwabne rund 120 Kilometer nordöstlich von Warschau. 

Die Ortschronik wartet mit Einzelheiten auf: Am 10. Juli 1941 haben die deutschen Besatzer die ansässigen Juden in eine große Scheune getrieben und diese dann in Brand gesetzt. Ähnliche Fälle in anderen Gegenden Polens sind verbürgt und dokumentiert; mal war es eine Scheune, mal eine Kirche, auch waren es nicht nur Juden, sondern auch katholische Polen, die von deutschen Soldaten und Feldpolizisten zusammengetrieben und verbrannt wurden.

Vor wenigen Wochen wurde die Tafel entfernt, offenbar stimmt ihre Botschaft nicht mehr. Denn es waren wohl nicht Deutsche, die die Juden von Jedwabne ermordet haben, sondern Polen. Unter dem schlichten Titel "Nachbarn" erschien nun ein Buch zu dem "Pogrom von Jedwabne", verfasst von dem amerikanischen Professor Jan Thomas Gross. Zuvor hatte die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita über den Massenmord berichtet. Die Publikationen haben in Polen die heftigste historische Debatte des vergangenen Jahrzehnts ausgelöst - und ihr Ende ist noch nicht abzusehen.

Schlimmer als Kielce

Gross hat Berichte von Augenzeugen ausgewertet, die in den bewegten Wochen nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 in Jedwabne lebten. Die rund 3000 Einwohner zählende Gemeinde - mehr als die Hälfte waren Juden - wurde im September 1939 von der Roten Armee besetzt. Sie befand sich in dem Teil Polens, der im Hitler-Stalin-Pakt der sowjetischen Einflusszone zugeschlagen worden war. Gross kam zu dem Fazit, dass Polen, die jahrzehntelang mit den Juden mehr oder wenig friedlich zusammengelebt hatten, in den Wirren nach dem deutschen Vormarsch ihre Nachbarn umgebracht haben.

Jedwabne steht somit für das größte von Polen an Juden verübte Verbrechen. Es übertrifft bei weitem das Pogrom von Kielce vom Juni 1946. Der amerikanische Professor ist nicht der Erste, der den Massenmord von Jedwabne untersucht hat. 1949, acht Jahre nach den Ereignissen, gab es dazu sogar einen Strafprozess. Zwei Dutzend Männer aus Jedwabne und Umgebung standen vor Gericht, die meisten wurden zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt, einer sogar zum Tode. Zwar sind Zweifel angebracht, ob es sich um ein faires Verfahren handelte; in Warschau herrschten die polnischen Stalinisten, die das Recht als politisches Instrument missbrauchten. Doch decken sich die Prozessakten über weite Strecken mit den von jüdischen Institutionen zusammengetragenen Zeugenaussagen.

Aus ihnen geht hervor, dass es sich bei den Tätern durchweg um einfache Leute handelte, keiner von ihnen war vorbestraft. Einige von ihnen hatten offenbar schon in den Tagen zuvor am Pogrom in der Kleinstadt Radzilow unweit von Jedwabne teilgenommen, dem ebenfalls mehrere Hundert Menschen zum Opfer fielen.

Als sich die Nachricht der Ereignisse von Radzilow verbreitete, fuhr eine Abordnung jüdischer Organisationen aus der Region in die Bezirksstadt Lomza und bat den dortigen Bischof um Hilfe. Dieser versprach, sich für die Juden einzusetzen; doch wenig später wurde er von der Gestapo verhaftet. Die Nazi-Führung plante, nicht nur die Juden, sondern auch die katholische Intelligenz Polens zu vernichten.

So waren die Juden von Jedwabne schutzlos. Doch nur wenige von ihnen entkamen der Hatz und dem Morden. Einer war Szmul Wasersztajn. Ihn und sechs weitere seiner Leidensgenossen versteckte die katholische Familie Wyrzykowski in einem Stall ihres Bauernhofes, und zwar bis zum Rückzug der Wehrmacht aus Ostpolen drei Jahre später. Die Wyrzykowskis setzten dabei ihr Leben aufs Spiel.

Antonina und Aleksander Wyrzykowski wurden später von der israelischen Regierung als "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet, wie 5500 andere Polen, die Juden gerettet hatten. Doch in ihrer Heimatgemeinde wurden sie nach dem Krieg als "Judenhelfer" angefeindet. Aus Angst vor Angriffen verließen sie ihre Heimat.

Der von ihnen gerettete Wasersztajn schrieb noch 1945 einen Bericht für die polnischen Behörden, in denen jüdische Kommunisten wichtige Positionen einnahmen. Eine Untersuchung wurde eingeleitet. Seine Aussagen hat er Jahrzehnte später gegenüber Jan Thomas Gross bestätigt. Im Frühjahr 2000 ist Wasersztajn gestorben, Gross hat ihm sein Buch gewidmet. Die Kernaussage: An jenem 10. Juli gab die Gestapo, die eine kleine Delegation nach Jedwabne entsandt hatte, dem polnischen Bürgermeister acht Stunden Zeit, um "mit dem Judenproblem fertig zu werden". Dieser sei dann Organisator des Pogroms gewesen, allzu bereitwillig sei er der Aufforderung von Seiten der Gestapo gefolgt. Die Deutschen hätten weder ihn noch die anderen Täter dazu gezwungen, merkte Gross an. Der traditionelle Antisemitismus weiter Bevölkerungskreise in Polen sei explosionsartig ausgebrochen. Schuld trage letztlich die ganze Bevölkerung von Jedwabne.

Das Buch von Gross, erschienen in einem kleinen Provinzverlag, aufgemacht wie ein harmloses Belletristikbändchen, löste einen heftigen Disput in der polnischen Presse aus. Denn es suggeriert nichts anderes, als dass Polen das Geschäft der deutschen Nazis besorgt hätten, dass sie Mittäter des Holocaust gewesen seien. Gross stellt sich in den Augen rechter Publizisten in eine Reihe mit dem in Frankreich lebenden Historiker Claude Lanzmann, der vor anderthalb Jahrzehnten mit seiner Interviewsammlung unter dem Titel "Shoah" den polnischen Antisemitismus während des Zweiten Weltkriegs illustriert hatte, sowie mit dem Krakauer Literaturwissenschaftler Jan Blonski, der Ende der achtziger Jahre die These vertreten hatte, die katholischen Polen hätten zu wenig zur Rettung der jüdischen Mitbürger getan. Kommentatoren der rechten Presse schrieben, dass Gross selbst Warschauer Jude sei, also in der Sache kaum objektiv berichten könne. Wieder wurde das Klischee von den amerikanischen Medien bemüht, die von Juden beherrscht würden und die ständig die Polen als Antisemiten darstellten. Dass die katholische Elite Polens selbst auf der Todesliste der Nazis ganz oben stand, werde von den amerikanischen Juden übersehen.

In der Tat geht das Buch von Gross weit über eine Dokumentation hinaus, die Anmerkungen und Schlussfolgerungen des Autors zu den Augenzeugenberichten sind überaus emotional geschrieben. Ein Kommentator ausgerechnet der liberalen Gazeta Wyborcza, zu deren leitenden Redakteuren prominente Vertreter der jüdischen Gemeinde Warschaus gehören, befand gar, Gross benutze die "Kriegssprache der Nazis".

International renommierte polnische Holocaust-Forscher, die eher dem liberalen Lager zuzurechnen sind, übten ebenfalls Kritik an Gross, allen voran Professor Tomasz Szarota, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Autor zahlreicher Bücher, von denen einige auf Deutsch erschienen sind. Aber auch diese Gruppe von Kritikern hat keinen Zweifel an der Hauptaussage des Buchs von Gross: Katholische Polen haben wohl weit mehr als tausend ihrer jüdischen Mitbürger in den Kriegswirren zu Beginn der Aktion "Barbarossa", des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, ermordet. Jedwabne sei somit ein Fanal. "Es zwingt uns zu einer nationalen Gewissenserforschung", schrieben viele Kommentatoren.

In diesem Sinne habe Gross ein "überaus wichtiges Buch" geschrieben, befand Szarota. Doch weise es grundsätzliche Mängel auf. Für die Polen geht es vor allem um die Frage, welche Rolle an jenem 10. Juli die Deutschen gespielt haben. War wirklich nur eine kleine Gruppe von Gestapo-Leuten an diesem Tag in Jedwabne, wie Gross den Dokumenten zu entnehmen glaubt? Oder waren zwei Polizeibataillone dorthin gekommen, wie ein pensionierter polnischer Staatsanwalt behauptet, der in den sechziger Jahren mit der Untersuchung von Nazi-Verbrechen befasst war?

Diese Fragen sind für den Fall von zentraler Bedeutung, ihre Beantwortung wäre nicht nur wichtig für die Polen, sondern auch für die deutschen Leser. Das in der Tat in diesem Punkt lückenhafte Buch soll nämlich bald auch auf Deutsch erscheinen. Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob die "Einwohnerschaft von Jedwabne", wie Gross schreibt, aus freien Stücken die Juden in die Scheune getrieben hat oder ob deutsche Uniformierte mit Maschinenpistolen dabei zugegen waren.

Die überlieferten Berichte dazu sind widersprüchlich. Nur bei einem - nicht unwesentlichen Detail - gibt es Übereinstimmung: Deutsche haben an jenem Tag in Jedwabne gefilmt. Auch an anderen Orten haben Kameramänner im Dienste Joseph Goebbels' in dem 1941 von der Wehrmacht besetzten Gebiet zwischen Ostsee und Schwarzem Meer Übergriffe der einheimischen Bevölkerung - Litauer, Polen, Ukrainer - auf ihre jüdischen Nachbarn gefilmt. Die Schreckensszenen sollten in den "Wochenschauen" den Kinobesuchern im Reich klarmachen, warum es notwendig sei, "Schutzzonen für die Juden" - Ghettos - einzurichten.

Die Filmaufnahmen von Jedwabne wurden bislang nicht gefunden. Sie könnten möglicherweise einige der offenen Fragen beantworten. Auch gibt es vermutlich schriftliche Dokumente dazu; doch Gross habe sie nicht gesucht, sagen seine Kritiker. Er habe nicht in die noch vorhandenen Kriegstagebücher der Nazi-Truppen geschaut. Und er habe nicht in die "Chroniken der laufenden Ereignisse" gesehen, die von den polnischen Widerstandsorganisationen damals sehr detailliert geführt wurden.

Vor allem aber werfen die Kritiker Gross vor, dass er die Vorgeschichte des Pogroms von Jedwabne kaum ausgeleuchtet habe. War es nur sich animalisch entladender Antisemitismus, wie er in der Vorkriegszeit auch von der polnischen Regierung und sogar der katholischen Kirche geschürt worden war? Oder gab es auch das Motiv der Rache, wie einige Berichte zu belegen scheinen? Offenbar haben manche Juden von Jedwabne 1939 den Einmarsch der Roten Armee begrüßt und in den Monaten danach auch mit den sowjetischen Besatzungsbehörden zusammengearbeitet - und somit genau dem Klischee von der "Judenkommune" entsprochen.

Rache als Motiv

Gründe dafür gab es reichlich: Das sowjetische Regime versprach ihnen das Ende der Diskriminierung, die sie im Polen der Zwischenkriegszeit erfahren hatten. Der sowjetische Geheimdienst NKWD verhaftete damals auch in Jedwabne Dutzende von Polen, ein Teil von ihnen wurde nach Sibirien verschleppt, einige kamen in der Haft zu Tode, wurden offensichtlich gefoltert und ermordet. Dazu gehörte auch eine junge Frau. Ihre Brüder wurden wenige Wochen nach der Beerdigung der geschundenen Leiche zu Haupttätern, wie aus den Prozessunterlagen von 1949 hervorgeht. Sie zwangen mit anderen jungen Polen die Juden von Jedwabne, das von den sowjetischen Besatzern aufgestellte Lenin-Denkmal um den Marktplatz zu tragen und dabei ein kommunistisches Lied zu singen. Bei Gross finden sich indes kein Hinweis auf diese Zusammenhänge, die, wie die polnischen Historiker betonen, den Pogrom nicht rechtfertigen, aber zumindest teilweise erklären.

In einem Punkt aber sind sich die meisten Publizisten einig: "Jedwabne ist ein schwarzer Fleck in der Geschichte Polens." Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass das Verbrechen nur möglich war, weil die deutschen Besatzer den gewaltbereiten Teil der polnischen Bevölkerung dazu aufgestachelt haben.

haGalil onLine 20-02-2001

 

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