
Claudia Schmölders, Hitlers Gesicht. Eine physiognomische
Biographie
C. H. Beck Verlag, München 2000
ISBN: 3406466117
Euro 24,50
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Hitlers Erscheinung ist uns
heute aus zahlreichen Fotographien und Filmausschnitten noch
immer sehr präsent, wenn wir auch die Faszination, die seine
Gestalt auf die meisten seiner Zeitgenossen ausübte, nicht mehr
nachvollziehen können. Hitler lebte in einer Zeit, die die
Schwelle zum modernen Medienzeitalter bildet, und er wußte die
visuellen Möglichkeiten der Propaganda bestens zu nutzen. Er
bedrängte seine Anhänger in massiver, ja sogar körperlicher, Art
und Weise durch seine ständige visuelle Präsenz. Diese Dokumente
sind Grundlage für die Untersuchung von Claudia Schmölders.
Eine physiognomische Analyse begnügt sich
jedoch nicht mit einer Untersuchung des Bildmaterials. Die
Autorin liefert vielmehr eine umfassende Studie zu Augen- und
Ohrenzeugenberichten über das "Phänomen Hitler".
Gleich zu Anfang stellt Claudia Schmölders die
Frage, ob man an Hitlers physische Erscheinung überhaupt
erinnern sollte. Denn seine Gestalt, die Abbildung seines
Gesichtes war lange Zeit ein unausgesprochenes Tabu. Keine der
großen Hitler-Biographien zeigt sein Gesicht auf dem Einband.
Dieses Tabu konnte erst durch zahlreiche, meist amerikanische
Spielfilme gebrochen werden: "Schon wird Hitlers Gesicht wieder
im politischen Alltag benutzt: sei es als Schreckbild, sei es
als lächerliche Karikatur; letzteres sogar häufiger." (S.7)
Die Grundfrage dahinter ist, ob sich das, was
Hitler ausmacht, das Böse, das Dunkle und Machtgierige überhaupt
visualisieren läßt. Läßt sich das, was Zeitgenossen in
gehässigen und faszinierten Aussagen beschrieben auch in den
Bildern wiederentdecken?
Entscheidend ist, daß diese "stillen Bilder",
wie sie die Autorin nennt, vor ihrem Hintergrund erklärt und in
Zusammenhang gesetzt werden müssen: "Ohne Sprache ist das Bild
nicht verständlich." (S.8)
Dazu holt Claudia Schmölders weiter aus und
stellt die Rahmenbedingungen dieser Zeit dar. In keiner Periode
wurde so sehr auf die physische Erscheinung und Wirkung
geachtet, wie in der Zeit zwischen 1918 und 1945. Keiner hat
sich derart visuell den Menschen aufgedrängt wie Hitler, niemand
wußte visuelle Propaganda derart zu nutzen wie er.
Physiognomik hatte aber bereits im
19.Jahrhundert den entscheidenden Aufschwung und "im Rücken der
philosophischen Aufklärung eroberte die Physiognomik die
Naturwissenschaften und ihr juristisches Umfeld; zunächst im
Namen von Anthropologie und Phrenologie, dann der Psychatrie,
schließlich der Polizeiwissenschaften und seit der
Jahrhundertwende mehr und mehr im Auftrag der Rassenkunde."
(S.23) In den 20er Jahren gab es zahlreiche Projekte, die an der
Darstellung von Gesichtern und Gestalten arbeiteten, wie z.B.
das Projekt einer nationalen Porträtgalerie.
Die Vision von einem Gesicht als Landschaft
wurde übrigens auch auf das Judentum ausgedehnt. So erschien
1920 "Das ostjüdische Antlitz" von Arnold Zweig, das heute
scheinbar von Vorurteilen überflutet ist, tatsächlich aber die
zeitgenössische Idee eines Typus nach Himmelsrichtung
verdeutlicht.
Claudia Schmölders stellt Hitlers
Lebensgeschichte eindrucksvoll an seinen Bildern dar. In den
Jahren 1919-1923 ließ er sich überhaupt nicht fotografieren,
untersagte dies angeblich sogar und ließ ausschließlich seine
Stimme wirken. Daher wußte zunächst niemand, wie dieser Hitler
eigentlich aussah. Im Simplicissimus erschien am 28. Mai 1923
eine Karikatur Th. Th. Heines mit dem Titel "Wie sieht Hitler
aus?", 12 Bildchen mit Fragen, ob er dünn oder dick sei, mager
oder schön etc. Die ersten Plakatwerbungen zeigen daher auch
nicht den Redner selbst, sondern die ergriffene Masse, die dem
unsichtbaren Hitler lauscht.
Hitlers Diktatorenzeit ist seitdem ständig
begleitet von Fotographie, für die ausschließlich Heinrich
Hoffmann zuständig war, Karikatur und Augenzeugenberichten.
Physiognomisch gesehen zeigt das Werk von Heinrich Hoffmann drei
zentrale Themen der Weimarer Republik, die nationale
Porträtgalerie, das "Antlitz des Führers", das die Landschaft
widerspiegelte, auf die man wieder stolz sein konnte, und das
Projekt des "neuen Menschen".
Eine neue Dimension erfuhr die visuelle
Darstellung des Führers dann mit dem Einsatz des
Propaganda-Mittels Film und der Person Leni Riefenstahls, die
eine neue ästhetische und atmosphärische Dimension einbrachte.
Aber auch die Gegner Hitlers griffen auf
physiognomische Darstellungen zurück, wie z.B. die berühmte
Fotomontage von Kurt Tucholsky und John Heartfield "Deutschland,
Deutschland über alles" von 1929. Eines der Bilder karikiert den
zeitgenössischen Bestseller "Tiere sehen Dich an", der später in
ganz andere Form wiederkommen sollte. "Juden sehen Dich an" von
Johann von Leers ist sicher eines der widerwärtigsten
antisemitischen Propagandastücke des Dritten Reichs überhaupt.
Es zeigt im wesentlichen die Gesichter von bekannten Juden in
verschiedene Kategorien unterteilt, von Blutjuden bis
Kunstjuden.
Als Kunstjude ist auch Charlie Chaplin
abgebildet, der die Janusfigur des großen kleinen Mannes
physiognomisch karikiert hat wie kein anderer. "Der große
Diktator" gehört bis heute zu den größten Filmen aller Zeiten.
Aber auch Walt Disney wagte sich an eine Produktion über den
deutschen Diktator. Der Kinderfilm "Der Führer´s Face" von 1942
zeigt Donald Duck, wie er von SS-Männern zur Arbeit in einer
Fabrik gezwungen wird, was sich aber am Ende als böser Traum
entpuppt.
Auch den physischen Verfall Hitlers zeigt die
Autorin anhand der Bilder. Zeitgenossen diagnostizierten
eindeutig die Parkinsonsche Krankheit bei Hitler. Er zeigte sich
immer seltener in der Wochenschau, da sein ganzes Bewegungsbild
schließlich stark beeinträchtigt war.
Claudia Schmölders läßt ihre physiognomische
Biographie jedoch nicht mit Hitlers Tod enden, sondern geht
weiter. Sie setzt sowohl die Bilder aus Auschwitz, Mauthausen
und Theresienstadt der Glorifizierung des Diktators entgegen,
wie auch die nach dem Krieg erstellten Bilder eines
Maskenbildners, der im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes
Suchbilder anfertige, die den Diktator als Unternehmer,
Professor und russischen Intellektuellen zeigen.
Insgesamt bietet die Autorin eine völlig neue Sichtweise auf die
Zeit des Dritten Reiches und die Person Adolf Hitlers. Sie
unterzieht die Zeitzeugenberichte einer Analyse, die zeigt wie
diese modelliert und überliefert wurden, welche Vor- und
Nachgeschichte diese haben und welche Bilder sie ihrerseits
erzeugten. Das Buch liefert damit einen wichtigen Beitrag zur
Analyse einer immer noch rätselhaften Faszinationsgeschichte.
Claudia Schmölders ist Privatdozentin für
Kulturwissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin. Sie
veröffentlichte zahlreiche Arbeiten zur Physiognomik, darunter
die Einführung
-- Das Vorurteil im Leibe (1995)
-- Der exzentrische Blick (1997). Gespräch über Physiognomik
sowie zusammen mit Sander Gilman den Tagungsband
-- Gesichter der Weimarer Republik (2000). Eine physiognomische
Kulturgeschichte.
haGalil onLine
02-02-2001 |