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Raul Hilberg über die gegenwärtigen Holocaust-Debatten
Fakten und Folgerungen

Der Holocaustforscher Raul Hilberg wurde 1926 in Wien geboren und 
floh 1938 mit seinen Eltern vor den Nazis in die USA. Als einer der ersten 
befasste er sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Erforschung der
Judenvernichtung. Bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1991 lehrte Hilberg, 
der auch am Aufbau des Washingtoner Holocaust-Memorial-Museum 
mitarbeitete, an der Universität Vermont. Seine bekanntesten Bücher sind 
das Standardwerk "Die Vernichtung der europäischen Juden" (überarbeitete
Übersetzung 1990) sowie Täter, Opfer, Zuschauer (1992), außerdem ist 
erschienen die Autobiographie Unerbetene Erinnerung (1994, alle im
Fischer Verlag). Die Fragen stellte Ulrich Speck.

FR: In der letzten Woche ist, begleitet von einer aufwendigen Medieninszenierung, Edwin Blacks Buch "IBM und der Holocaust" in 25 Ländern erschienen, darunter auch in Deutschland. Welche Rolle spielten die Hollerith-Lochkarten der deutschen IBM-Tochter Dehomag bei der Erfassung und beim Aufspüren der Juden? Gehören die Lochkarten tatsächlich zu den zentralen technischen Hilfsmitteln bei der Durchführung des Holocaust?

Raul Hilberg: Die Hollerith-Maschinen waren in West- und Mitteleuropa verbreitet und wurden hauptsächlich für die Durchführung von Volkszählungen benutzt. Diese Zählungen wurden, anders als Black schreibt, nicht in der Absicht gemacht, die Juden zu selektieren und zu vernichten. Es ging ganz einfach darum, eine statistische Übersicht über die Bevölkerung zu bekommen. Für die Behauptung, dass die Hollerith-Maschinen eine Rolle bei den Deportationen spielten, gibt es meines Wissens keinen Beweis. Überhaupt begann die Vernichtung ja erst im Jahre 1941, als der Entschluss dazu gefasst wurde.

Mit anderen Worten, Sie werfen Black sachliche Unrichtigkeiten vor?

Ja. Ein weiteres Beispiel: Meines Wissens spielten bei der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942, bei der die Organisation der "Endlösung" besprochen wurde, diese Karten überhaupt keine Rolle. Die Informationen, die Heydrich den Teilnehmern der Konferenz präsentierte, kamen aus anderen Quellen: von der jüdischen Kultusgemeinde in Wien, von der jüdischen Reichsvereinigung Berlin und von anderen jüdischen Einrichtungen. Die jüdischen Gemeinden aber hatten gar keine Hollerith-Maschinen. Die Unterlagen, die man auf der Wannsee-Konferenz benutzte, wurden entweder schon mit Schreibmaschine oder noch mit Tinte geschrieben. Und noch ein Irrtum: Black behauptet, es habe Hollerith-Maschinen in Auschwitz gegeben. Das ist nach Auskunft von Franciszek Piper, dem Direktor der Gedenkstätte von Auschwitz, ganz einfach falsch.

Die Stoßrichtung des Buches geht ja dahin, die amerikanische Beteiligung am Holocaust am Beispiel der Firma IBM herauszustreichen. Würden Sie sagen, dass seine These im großen und ganzen zutrifft?

Es geht darum, die Fakten zu ermitteln und richtig einzuordnen. Bei Black - übrigens kein Historiker, sondern ein Journalist -, kommt eine Reihe von Fehlern in die Darstellung. Vielfach äußert er Vermutungen, die nicht immer den Fakten entsprechen. Alles in allem kann man sagen, dass in der Regel die lokalen Behörden die Unterlagen zur Verfügung stellten, die benutzt wurden, um die Juden aufzuspüren und zu deportieren. Zu diesem Zweck waren die großflächigen Zählungen, für die die Hollerith-Maschinen benutzt wurden, denkbar ungünstig. Ich sehe kein Beispiel dafür, dass irgendeine Polizeiverwaltung die Lochkarten für die Erfassung der Juden - nicht nur, wie viele es sind, sondern auch, wo sie sind - überhaupt brauchen konnte. Auch in den besetzten oder verbündeten Ländern war die Volkszählung immer nur eine grobe statistische Grundlage, in der Sowjetunion etwa wandte man sich an die Bürgermeister, und die schätzten dann die Zahl der Juden. Das verlief alles ziemlich primitiv. Wenn es eine alte Volkszählung gab - mit Hilfe von Hollerith-Maschinen durchgeführt -, dann war sie für die Nazis fast nutzlos, sie konnte höchstens als grober Wegweiser dienen.

Das Buch von Edwin Black wirkt wie eine Fortsetzung des kurz zuvor in deutscher Übersetzung erschienen Buchs von Norman Finkelstein. Es geht beidesmal nicht mehr um Deutschland, sondern um Fragwürdigkeiten in den USA. Finkelsteins These, eine Handvoll amerikanischer Juden habe den Holocaust "gekapert", um Deutschland zu erpressen, ist in Deutschland sehr kontrovers diskutiert worden. Wie ist Ihre Position in dieser Debatte?

Meiner Ansicht nach ist Finkelstein auf dem richtigen Weg. Das Problem ist, dass man Banken und Versicherungen fast wahllos angreift, und zwar mit Milliardenklagen, ohne dass man weiß, wie viel Geld überhaupt auf diesen Konten lagert und wie viele Opfer noch am Leben sind. Man geht von 240 000 jüdischen Sklavenarbeitern aus, von denen die Hälfte überlebt habe. Woher kommt diese Rechnung, das ist doch reine Fantasie! Man schlägt blindlings auf die Unternehmen ein und fordert massenhaft Geld und sagt, wenn Sie nicht zahlen, sorgen wir dafür, dass Sie in Amerika keine Geschäfte machen.

Ist es nicht so, dass es in großen Institutionen und Interessenverbänden immer auch Missbräuche vorkommen, die man kritisieren kann und muss, ohne gleich die Organisationen insgesamt zu verurteilen?

Wenn ich diese Aktivitäten unter moralischen Gesichtspunkten betrachte, finde ich sie nicht akzeptabel. Das Kriterium der Moral ist für mich jedenfalls ziemlich wichtig. Die Geschichte der Juden seit zweieinhalbtausend Jahren bestand nicht darin, Druck auszuüben, sondern umgekehrt, die Juden haben immer gezahlt. Und sie haben äußerst schwer gezahlt, obwohl sie unschuldig waren. Und für mich heißt die Folgerung daraus nicht, dass jetzt die anderen zahlen sollen. Um die moralische Frage geht es, so scheint mir, auch Finkelstein. Ich finde es sehr interessant, dass er von den jüdischen Organisationen in den USA totgeschwiegen wird. Er wird nicht angegriffen, man möchte ihn loswerden. Und ich vermute mal, dass das jetzt auch für mich gilt. Ich werde von überall her angerufen, aus Brasilien, aus Schweden, aus der Schweiz, Deutschland und Israel, und ich sage allen dasselbe: Ja, es handelt sich bei der Entschädigungsfrage um Erpressung, nicht im juristischen Sinne, sondern in der öffentlichen Wahrnehmung. Dass man uns Kritiker ignoriert, beruht wohl auf einer bewusste Strategie. Wenn die jüdischen Organisationen auf die Angriffe reagieren würden, müssten sie ihre Unterlagen offen legen. Und dann können sie sich nicht gerade gut verteidigen.

Ist es nicht auch ein moralischer Zweck, wenn Opfer an ihrem Lebensabend eine materielle Entschädigung erhalten?

Es gibt immer einen Kern des Sinnvollen. Aber die Frage, die Finkelstein stellt, und die ich auch stellen könnte, ist ja: Jetzt werden sie das Geld bezahlen, und dann bleibt eine große Summe, weil diese Leute nicht mehr am Leben sind. Wird das übrige Geld zurückgegeben? Aber nein, das nicht. Und das ist eine moralische Frage. Wieviele Überlebende gibt es überhaupt noch? So viele sind es nicht mehr. Manche von ihnen wollen das Geld ja auch gar nicht.

Die Kritiker deutschen Finkelsteins befürchten, dass mit seinem Buch das alte Bild des habgierigen Juden hierzulandeneue Nahrung bekommt. Müsste man diese Debatte nicht in Amerika führen statt in Deutschland?

Deutschland wird sich nicht wehren. Die Deutschen warten auf Finkelstein oder auf mich. Sie kritisieren die Juden nicht, sondern sie warten auf einen Juden, der die Kritik äußert. Das freut mich nicht sehr. Aber da kann ich nichts machen. Ich antworte nur auf Fragen, die man mir stellt. Ich habe immer dieselbe Antwort, ob die Frage aus Israel kommt, aus Deutschland oder aus Amerika.

Sie selbst haben sich mit dem Holocaust beschäftigt, als sich noch kaum jemand dafür interessierte. Wie sehen Sie die gegenwärtige Konjunktur des Themas?

Nach 1945 sagte man den Veteranen, bitte vergessen Sie diesen Krieg, und den Überlebenden, bitte vergessen Sie den Holocaust. Denn alles wird wieder gut, besser und besser. Das war die Richtung, einige Jahrzehnte lang. Erst nach Vietnam wurde die Frage ganz anders gestellt. Die Jugend war verwirrt nach dem Vietnamkrieg, sie war auf der Suche nach einer moralischen Orientierung. Worin besteht das Gute, worin besteht das Böse? Man brauchte einen moralischen Maßstab, und zu diesem Maßstab, zum ärgsten Bösen, wurde der Holocaust.

Erst in dieser Zeit, erst um 1978 begann man, den Zweiten Weltkrieg den "guten Krieg" zu nennen - bis dahin hatte ich diesen Ausdruck überhaupt nicht gehört. Warum war der Zweite Weltkrieg so gut? Weil wir das Böse bekämpften. Und was war das Böse? Das waren die Lager, die Konzentrationslager.

Ihr eigenes, 1961 erstmals erschienenes Hauptwerk "Die Vernichtung der europäischen Juden" kam demnach zu früh?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass über Jahre hinweg nur ein relativ geringes Interesse an meinem Buch bestand. Es gab damals einfach keine Nachfrage für dieses Thema. Heute besteht dieses Bedürfnis, und deshalb wird jeder Verlag bei einem Buch, das den Holocaust im Titel führt - wie "IBM und der Holocaust" -, sofort zugreifen. Wenn es dagegen "IBM und der Nationalsozialismus" heißen würde, würde sich kaum jemand dafür interessieren. Da ist viel Sensationsgier dabei - und das bei einem Buch, das unser Wissen über den Holocaust kaum bereichert.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Erscheinungsdatum 22.02.2001

haGalil onLine 26.02.2001

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