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«Wir haben
nobelpreiswürdige
Wissenschaftler»:
Institutswahrzeichen
Teilchenbeschleuniger
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Warum es in Israel
weltweit die höchste Dichte von Wissenschaftlern und Ingenieuren
gebe? Die Antwort darauf kommt schnell und fällt immer ähnlich aus:
«Die meisten von uns haben eben eine jüdische Mutter.»
Dass jüdische Mütter ihre
Kinder unermüdlich zum Lernen antreiben, am liebsten bis zum
Professorentitel, mag ein liebgewordenes Klischee sein oder Sinnbild
für die jahrtausendealte
Lerntradition des Judentums in Israel gilt es als
schlichtes Faktum.
Warum aber hat dann dieses Israel mit all seinen Professoren noch
nie einen wissenschaftlichen Nobelpreis bekommen, wo doch jüdische
Namen in der Liste der Träger des Nobelpreises für Chemie, Physik
und Medizin so zahlreich vertreten sind? «Ach, da streuen Sie Salz
in eine offene Wunde», seufzt Israel Pecht, Professor für chemische
Immunologie am
Weizmann Institute of Science. Die Antwort auf diese zweite
Frage fällt immer wieder anders aus. Mal zynisch: «Wir bekommen eben
unsere Nobelpreise für den Frieden.» Mal trocken: «Wir haben
schlicht keinen verdient.» Nostalgisch: «Wir haben durchaus
nobelpreiswürdige Wissenschaftler.» Oder optimistisch: «Unser Tag
wird kommen.»
Neben dem Weizmann-Institut wird heute an mindestens drei der sieben
Universitäten des Landes (am Technion in Haifa, an der Universität
Tel Aviv und an der
Hebräischen Universität in Jerusalem) Spitzenforschung von
Weltrang betrieben. Doch das Weizmann, 25 Kilometer südlich von Tel
Aviv im kleinen Städtchen Rehovot gelegen, geniesst innerhalb dieser
israelischen Forschungselite ein ganz besonderes Prestige. Das hat,
abgesehen von den wissenschaftlichen Leistungen des Instituts, auch
mit dem idealistischen Geist seiner Geschichte zu tun und mit der
puren Schönheit des Ortes. Siebzig moderne Institutsgebäude sind
über die Jahrzehnte rund um das bescheidene erste Laborgebäude des
Gründers Chaim Weizmann entstanden, eingebettet in eine weiträumige
blühende Parkanlage mit mächtigen Bäumen und schattigen alten
Alleen. Der Garten, in welchen der Zionist Weizmann mit seiner
Wissenschaft ganz Israel verwandeln wollte hier ist er
Wirklichkeit geworden.
Die Forschungspolitik des Instituts ist personenbezogen und ganz
offen elitär «Gross oder gar nicht» lautet die Devise. Der
Ionenbeschleuniger aus den siebziger Jahren, die grösste
Solarforschungsanlage Israels und ein 16 Millionen Dollar schweres
Zentrum für Nanotechnologie zeugen schon rein baulich von dieser
Politik.
Institutsgründer Chaim
Weizmann (18741952), Wissenschaftler, Zionist, Gründervater des
jüdischen Staates und dessen erster Präsident (von 1948 bis 1952),
wuchs im russischen Pinsk auf. Er studierte in Deutschland Chemie,
die Königswissenschaft einer Zeit, in der das Atom noch ganz den
Chemikern gehörte. Es war seine Chemie (nämlich seine kriegswichtige
Acetonherstellung in England im Ersten und die Produktion von
synthetischem Gummi in den Vereinigten Staaten während des Zweiten
Weltkrieges), die dem Zionisten die persönliche Bekanntschaft mit
jenen grossen Politikern verschaffte Balfour, Churchill, Roosevelt
, welche dann im internationalen Ringen um den jüdischen Staat eine
entscheidende Rolle spielen sollten. Und es war die Chemie, in der
Weizmann die Hoffnung Palästinas sah. Denn er war zutiefst davon
überzeugt, dass nur die Wissenschaft den jüdischen Einwanderern eine
Existenzgrundlage und damit die Basis für wirtschaftlichen
Aufschwung und staatliche Unabhängigkeit verschaffen konnte.
Weizmanns Vorbild dafür war Deutschland, dem es in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts gelungen war, ohne Rohstoffe, aber mit
einer gezielten Investition in Bildung und Forschung zu einer Nation
von Weltrang aufzusteigen. Deutsch-jüdische Wissenschaftler hatten
dabei eine hervorragende Rolle gespielt sechs der zehn
Nobelpreisträger der mächtigen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von 1911
bis 1933 waren Juden.
Als Weizmann 1934, ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung, im
Wüstensand von Rehovot ein erstes Labor erbaute, war es sein Traum,
die grossen deutsch-jüdischen Wissenschaftler nach Palästina zu
holen. Der Traum scheiterte sehr schnell die meisten von ihnen
emigrierten nach England und Amerika.
Ähnliches wiederholte sich in den fünfziger Jahren, als Palästina
zum Staat Israel und das kleine Labor in Rehovot mit der massiven
Finanzhilfe jüdischer Kreise in den Vereinigten Staaten 1949 zum
Weizmann Institute of Science geworden war. Jüdisch-amerikanische
Wissenschaftler unterstützten das Institut, kamen als Gastdozenten,
sassen im Internationalen Verwaltungsrat nur leben wollten sie in
Israel nicht. «Für sie alle war Israel unzivilisierter, wilder
Orient, und das ist eigentlich bis heute so geblieben», erzählt
Israel Pecht. «Selbst beim Exodus der sowjetischen Juden nach 1989
sind die ganz grossen Namen der russischen Physik und Mathematik
wieder in Amerika gelandet und nicht bei uns.»
Die ganz grossen Namen mögen fehlen doch viele exzellente
russische Wissenschaftler sind gekommen. Unter den 700.000
russisch-jüdischen Immigranten, die sich 1989 bis heute ins Land
ergossen, befanden sich überdurchschnittlich viele Techniker,
Ingenieure, Ärzte und Naturwissenschaftler, deren Beschäftigung bis
heute ein erstrangiges Problem darstellt. Mathematiker und Physiker
aber waren hoch willkommen: «Die Russen sind das Beste, was Israel
passieren konnte. Die mathematischen Fakultäten unserer
Universitäten sind nicht wiederzuerkennen», meint etwa Jacob Ziv,
der Präsident der Israelischen Akademie der Wissenschaften, «und auf
dem Weltindex der Zitationen hat sich Israel in diesen beiden
Fächern seit 1992 sprunghaft verbessert.»
Das Weizmann-Institut hat
heute gegen siebzig russische Wissenschaftler, auch hier
konzentrieren sie sich in Mathematik und theoretischer Physik. «Ich
könnte den ganzen Tag russisch sprechen», sagt Gregory Falkovich.
Der kleine, rundliche und hellwache junge Physiker widmet sich der
Berechenbarkeit von turbulenten Systemen, eine alte, seit Leonardo
da Vincis berühmten Zeichnungen von Wasserstrudeln ungelöste
Fragestellung der Physik. Er rechnet es dem Weizmann-Institut hoch
an, dass man ihn mit seinem seltenen Spezialgebiet geholt habe, und
er sieht darin ein Zeichen für wissenschaftliche Vitalität: Der
kritische Punkt in der Geschichte eines wissenschaftlichen Instituts
sei immer der Generationenwechsel, weil da die etablierten grossen
Männer über ihren Schatten springen und erkennen müssten, dass ihr
eigenes Gebiet nicht mehr das der Zukunft sei. «Genau das hat die
Generation der grossen Kernphysiker am Weizmann getan.»
Warum sind russische Mathematiker und Physiker in Israel so gefragt?
«Ich glaube, man braucht uns Russen hier in Israel, um der
theoretischen Forschung eine neue Dimension zu geben», sinniert
Falkovich. «Wir russischen Theoretiker haben Wissenschaft sehr früh
betrieben, als Kinder sozusagen und mit einer kindlich-spielerischen
Haltung, die sich dann in jenem abgeschiedenen Refugium, das für uns
die Wissenschaft im Sowjetsystem darstellte, voll erhalten hat.
Diesen Geist des Spiels versuche ich hier einzubringen, denn die
Israelis sind unglaublich seriös und pragmatisch. Auch die
Studenten: Nach drei Jahren in der Armee beginnen sie erst mit dem
Studium und sind schon ernste Erwachsene.»
Nicht nur den Spieltrieb, auch den brillantesten Nachwuchs
absorbiert die israelische Armee, wenn sie hochtalentierten jungen
Leuten ein mit der Dienstpflicht verkoppeltes Studium anbietet,
komplett mit anschliessendem Zweijahresvertrag in den
Forschungslabors des Verteidigungsministeriums. «Danach gehen diese
Leute als Spitzenkräfte in die High-Tech-Industrie und sind für die
Wissenschaft verloren», erklärt der Biochemiker Israel Pecht.
Auch die Weizmann-Oase ist eben keine. «Wissenschaft braucht Ruhe
und Stabilität. Wir aber verbringen dreissig bis vierzig Prozent
unserer Zeit damit, Geld aufzutreiben für unsere Forschung, das
heisst mit dem Schreiben von Bewerbungen für Grants. Dazu sind
unsere Söhne im Militär, Saddam Hussein macht seine Faxen, und der
Traum vom Frieden ist zerronnen», sagt Pecht. Wenn er das mit dem
politisch und finanziell sorgenfreien Forscherdasein seiner Kollegen
in Kalifornien oder Massachusetts vergleiche, packe ihn die
Verzweiflung.
Dabei hat gerade das Weizmann-Institut auch in Sachen
Geldbeschaffung Pionierarbeit geleistet. Sein Jahresbudget von 160
Millionen Dollar wird nur zur Hälfte vom Staat bestritten, fast
einen Viertel müssen die Forscher via Forschungsaufträge und Grants
selbst beschaffen, und 17 Prozent steuern Spenden bei: Nicht nur
Institute und Gebäude, auch einzelne Flügel, Labors, ja selbst
Atrium-Gärtchen und lauschige Gartenhaine tragen hier die Namen von
Gönnern aus Chicago oder Montreal. Schon seit den fünfziger Jahren
hat das Institut aber auch seine eigene profitorientierte
Verwertungsgesellschaft Patente und Lizenzen sowie die
kommerzielle Weiterentwicklung von Forschungsergebnissen tragen mit
zehn Prozent zum Institutsbudget bei. Bereits vor dreissig Jahren
bildete sich auch, direkt neben dem Institutsgelände, ein
Industriepark, auf dem inzwischen siebzig Unternehmen operieren.
Und schliesslich entstand mit Beteiligung des Instituts 1992 auch
der erste von inzwischen 26 sogenannten Brutkästen (Incubators) für
technologisches Unternehmertum, eine Art staatliche
Support-Organisationen, mit denen die israelische Regierung
russischen Einwanderern mit innovativen Ideen zur Firmengründung
verhilft. Aus dem Weizmann-Inkubator sind bereits zwölf
High-Tech-Unternehmen hervorgegangen.
Der Weizmann-Industriepark liegt zwar jenseits der Mauern des
Weizmann-Areals. Doch die enge Verbindung vieler seiner Forscher zur
kommerziellen Verwertung ihrer Ergebnisse ist offensichtlich
manche Visitenkarten zeigen ein Firmenlogo statt den ehrwürdigen
Weizmann-Baum. Hat sich damit Chaim Weizmanns Vision von der
Wissenschaft als Motor der Wirtschaft erfüllt? In gewisser Weise,
ja. Nach dem Boom der High-Tech-Industrie scheint in Israel jener
der Biotech-Industrie und der Medizintechnologie vor der Tür zu
stehen.
Neben diesem Sog der anwendungsorientierten Forschung die
Spitzenposition in der Grundlagenforschung zu halten wird die
Herausforderung der Zukunft sein. Schon damit Israels Wissenschaft
endlich zu einem Nobelpreis kommt. «Kreative Strömungen kann man
nicht planen», meint der Physiker Uzy Smilansky. «Wir brauchen guten
Kompost, und der hängt letztlich nicht vom Geld, sondern von Ideen
ab.»
haGalil onLine
05-01-2001
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