
Hass im WWW
Rassismus, Antisemitismus,
Morddrohungen.
Der Spiegel, den das Internet der Gesellschaft vorhält,
zeigt ein unschönes Bild
Von
Alain Egli
«Juden umbringen»,
schrieb ein AOL-Abonnent als Hobby in sein Mitgliederprofil,
«Schwule abschiessen» ein anderer. Mehr als hundert solcher
Aggressivitäten hat der «Online-Lobbyist» (Eigendeklaration)
John Aravosis von
Wired Strategies bei America Online entdeckt.
Dies trotz einer
Filtersoftware, die beim weltgrössten Internetdienst für einen
sauberen Sprachgebrauch sorgen sollte. «Wir tolerieren keine
<hate speech>», lässt AOL in den Geschäftsbedingungen verlauten.
Wobei «Hass-Rede» für das Gemeinte eine ungenügende Übersetzung
ist. Vielmehr bezeichnet «hate» hier verletzenden oder gar
bedrohenden, meist gegen Minderheiten gerichteten Hass.
Das AOL-Filterprogramm aber hat seine Macken. «MSNBC News»
zufolge
wird zwar der Gebrauch einer Reihe herabsetzender und auch sexuell
expliziter Vokabeln verhindert. Andere, nicht weniger anstössige
Ausdrücke akzeptiere der automatische Hüter hingegen
anstandslos. Das Ziel, Fanatismus und Hass zu bannen, erfüllt
die automatische Sprachhüter daher in keiner Weise. Hingegen
erzürnte die willkürliche Zensur kürzlich eine Reihe von
Homosexuellen-Vertretern und Anti-Rassismus-Kämpfern, welche
AOLs «linguistische Freiübungen» - so David Goldman von
Hate Watch - als diskriminierend verurteilten.
Angesichts solcher
Meldungen kann leicht der falsche Eindruck entstehen, im
Internet seien E-Mails, Newsgroups und Websites sowie deren
Diskussionsforen von diskriminierenden Inhalten überschwemmt.
«Wired News» etwa
berichtete
im vorigen Sommer, ein kalifornischer Richter habe den damals
zweiundzwanzigjährigen Polytechnik-Absolventen Kingman Quon zu
zwei Jahren Haft verurteilt, weil er in den USA lebenden
Lateinamerikanern per E-Mail mehr oder weniger wahllos
Todesdrohungen zugeschickt hatte. Dies war offenbar die zweite
je für Hass-Mails verhängte Strafe.
Zur gleichen Zeit
vermeldete
«ZDNet Deutschland» das erfolgreiche Vorgehen der Polizei gegen
einen österreichischen Rechtsradikalen. Dieser hatte in einem
offenen, unzensierten Diskussionsforum des jüdischen
Online-Dienstes
haGalil
mehr als sechzig überwiegend strafbare Beiträge - darunter auch
einen Mordaufruf - veröffentlicht. Der
Pressemitteilung
des haGalil-Fördervereins ist zu entnehmen, dass nazistische
antisemitische Propaganda 1998 im Internet um ein Sechsfaches
gestiegen sei.
Auch im Fall von Scott
Abraham waren es Morddrohungen, die wiederum
gemäss
«Wired News» zu einem richterlichen Generalverbot der Teilnahme an
Newsgroups führten. Ein Gericht in Seattle kam im November zum
Schluss, nur diese Massnahme könne das Überschwappen eines bei
deja.com
bis dahin erbittert geführten Disputs in die nicht-virtuelle Welt
verhindern. Das Urteil sahen jedoch verschiedene Netizens als
Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäusserung an. «Ich bin
mit zwar verschiedenen der in diesem Forum veröffentlichten
Ansichten nicht einverstanden, und ich kann einige der Leute
überhaupt nicht leiden», meint ein aufgebrachter Benutzer und
fährt fort: «Dennoch werde ich ihr Recht, unausstehliche
Arschlöcher zu sein, bis in den Tod verteidigen.»
Die freie Meinungsäusserung ist auch in einer gegenwärtig in
Amerika laufenden Untersuchung ein zentrales Thema. Ermittelt
wird gegen einen Rassisten, welcher eine Bürgerrechts-Aktivistin
so stark eingeschüchtert hatte, dass sie zusammen mit ihrer
Tochter in einen anderen Staat wegzog. Der «Nando Times»
zufolge
ist dies das erste Mal, dass US-Bundesbehörden - und nicht bloss
die Verantwortlichen eines einzelnen Bundesstaates - einen
Betreiber einer Hass-Site anklagen. «Wired News»
bemängelte
allerdings das insgesamt äusserst zögerliche Vorgehen der Justiz.
«Die interessanteste
Frage»,
meint
dazu Chris Hansen von der American Civil Liberties Union (ACLU),
«ist, ob die Drohungen durch das konstitutionelle Recht auf
freie Meinungsäusserung geschützt werden». Anders herum gefragt:
Ist der Tatbestand einer gesetzlich zu sanktionierenden Drohung
wirklich erfüllt? Dazu müssten, so Hansen weiter, drei Kriterien
erfüllt sein: Die Aussage muss als Drohung beabsichtigt, als
Drohung verstanden und auch von einer «vernünftigen Person» als
Drohung aufgefasst werden. Berücksichtigen müsse man, dass die
Chance einer Umsetzung bei im Internet gemachten Drohungen
geringer sei.
Wortklaubereien und unklare Begrifflichkeiten belasten die
«hate»-Diskussion. Die Definitionen von «hate sites» sind, wie
die «New York Times»
feststellt, nicht sehr einheitlich. Entsprechend zählt die
Sektion
Cyberwatch
des Simon Wiesenthal Center (SWC)
über fünfzig «hate»-Gruppierungen, welche sich der neuen
Technologie bedienen. An anderer Stelle ist beim SWC von
zweitausend «hate sites» die Rede. Das Southern Poverty Law
Center (SPLC)
wiederum verzeichnete vor Jahresfrist 254 solcher Websites, Hate
Watch über dreihundert, und fünf- bis sechshundert
Internet-Stätten entsprechen den Kriterien der Anti-Defamation
League (ADL).
Letztere hat
festgestellt, dass immer mehr «hate sites» spezielle
Angebote für Kinder und Frauen betreiben, über die sie ihren
Einfluss zu vergrössern versuchen. Beispielsweise wird eine Site
erwähnt, die in Ausmal-Bildern und Kreuzworträtseln
dunkelhäutige Menschen diffamiert.
So löblich die
Überwachungs- und Aufklärungsarbeit der verschiedenen
Organisationen sein mag, unumstritten ist sie keineswegs.
Übertrieben sei in Anbetracht der Grösse des Webs die Aufregung
wegen der paar hundert Sites von «kranken und verkommenen
Menschen, die wie andere Leute auch Homepages haben und welche
ihre niedrigen Handlungen auch begingen, würde das Web nicht
existieren»,
glaubt
beispielsweise der Verfasser einer «ZDNet»-Kolumne. Man verschaffe
den «hate»-Sites bloss zusätzliche Aufmerksamkeit, und dies sei
letztlich kontraproduktiv. Zudem stelle beispielsweise die
Hate-Watch-Site - wenn auch ungewollt - eine erstklassige
Informationsquelle für Rassisten dar.
Dieser Einschätzung steht folgende in der «Los Angeles Times»
zitierte
Überlegung von Rabbi Abraham Cooper, dem Verantwortlichen des
SWC-Projekts Cyberwatch, gegenüber: «Zwar hat das Internet die
Psychopathen oder die Schulkinder, die in unserer Gesellschaft
keinen Platz finden, nicht erschaffen. Aber es vermittelt ihnen
Bestätigung, einen Sinn von Gemeinschaft und die Möglichkeit,
auf Gleichgesinnte zu treffen.» Aus diesem Grund sei es sehr
wohl wichtig, das öffentliche Bewusstsein zu schärfen. «Der Hass
lässt sich nicht gesetzlich verbieten, und Fanatismus wird es
bis zur Ankunft des Messias geben. Man kann deshalb nur
versuchen, die Botschaft und ihre Boten zu marginalisieren.»
Dies wiederum hat mit dem Cyberspace nicht mehr zu tun als mit dem
realen Alltag. Deshalb sind die ungenügenden Bemühungen von
America Online nicht nur symptomatisch für den schwierigen Kampf
gegen «hate» im Netz, sondern auch in der Gesellschaft, deren
Abbild das Internet letztlich ist.
weltwoche Juni
2000
haGalil onLine 14-01-2001 |