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Auf den zweiten Weltkrieg
folgte zunächst eine Zeit des Schweigens über die Schoah. Dann,
während des Kalten Krieges, die Zeit der Zeugenberichte. Neuerdings
jedoch erleben wir eine dritte Phase, die der offenen Provokation.
Unter dem Vorwand des "Tabubruchs" wird nun die Pflicht zur
Erinnerung in Frage gestellt, um von den Auswüchsen der so genannten
"Schoah-Industrie" zu sprechen oder gar - wie etwa der New Yorker
Schauspieler Scott Capuro - "das Gejammere meiner Glaubensbrüder
über den Holocaust" lächerlich zu machen.(1)
Mit der Globalisierung treten
wir in die zweifelhafte Phase einer allgemeinen Umwertung der Fakten
ein, von der die Krise der Politik wie die der zeitgenössischen
Kunst zeugt. Das diesjährige Theaterfestival in Edinburgh belegt das
genauso wie das Forum für bildende Kunst in Bordeaux, wo im Rahmen
einer Ausstellung Micky Maus mit dem Gedenken an Auschwitz in
Verbindung gebracht wurde.(2)
Was die unpassenden
Äußerungen von Rabbi Ovadia Yossef, diesmal in Jerusalem,
betrifft,(3) so zeigen sie das Bedrohliche dieser geschichtlichen
Periode, in der der Negativismus einem neuen Typus des theologischen
Revisonismus Raum gibt, der ebenso aberwitzig ist wie der der
Auschwitzleugner.
Wer dieser grassierenden
Desinformation entgehen will, sollte Gérard Rabinovitchs Essay,
"Question sur la Shoah",(4) lesen. Rabinovitch beschränkt sich nicht
darauf, einige unstrittige Fakten in Erinnerung zu rufen, sondern er
stellt die nicht zu beantwortende Frage des Holocaust neu, jene
Frage, die sich bis heute der rationalen Interpretation durch
Historiker versperrt, und wenn sie auch mit noch so einleuchtenden
Argumenten Antwort auf die offene Frage nach dem Bösen suchen, nach
dem absolut Bösen, das sich jeglichem Zugriff entzieht. Tatsächlich
lässt sich der Zweckoptimismus, zu dem der groß angelegte
Werbefeldzug für eine Industrialisierung des Lebens durch die
Biotechnologien uns heute zwingt, nicht aufbringen ohne eine
radikale Überprüfung unseres Verhältnisses zur Vergangenheit, zu
jener Epoche, in der ein Doktor Mengele die Nachfolge von Sir
Francis Galton, einem der Väter der Eugenik, antrat . . .
Gérard Rabinovitch formuliert
es am Ende seines Buches so: "Die totalitären Lebensborn-Konzepte
werfen, ohne es zu ahnen, ihren Schatten auf die selektive Zeugung
und die medizinische Indikation voraus, ja sie kündigen
gewissermaßen das Klonen von Menschen an."
Dass die englische Regierung
das Klonen zu therapeutischen Zwecken erlauben will, kann diese
Äußerungen nur bestätigen, zumal die britischen Abgeordneten, die
Ende des Jahres darüber abzustimmen haben, beschlossen haben, dies
nach eigenem Gewissen und nicht, wie in Westminster üblich, der
Parteidisziplin gemäß tun werden - ein weiterer Beweis für die Krise
der Politik angesichts wissenschaftstechnischer
(Fehl-)Entwicklungen.
Fußnoten:
(1) Vgl. Marc Roche, "Limites et réussites du Fringe dEdimbourg", in
Le Monde, 13./14. August 2000.
(2) Vgl. Hervé Gauville, "Une enfance de lArt", anlässlich der
Ausstellung "Présumé innocents", in Libération,
13. August 2000.
(3) Der spirituelle Mentor der orientalisch-orthodoxen Schas-Partei
stellte in einer Predigt Anfang August die Behauptung auf, die sechs
Millionen durch die Nazis ermordeten Juden seien Reinkarnationen all
jener Juden, die in ihrem früheren Leben gesündigt hätten. Sie
hätten ihre Verfehlungen durch den Tod sühnen müssen. Diese
Sabbatpredigt hat in Israel eine Welle der Empörung ausgelöst.
(4) Gérard Rabinovitch, "Questions sur la Shoa", Paris (Les
Essentiels Milan) Februar 2000.
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haGalil onLine
12-12-2000
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