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Zwischenbilanz:
Forschungen zum KZ Ravensbrück

Von Kurt Pätzold

Junge Welt, 18.12.2000

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Vor den Fragen nach dem Woher, Wieso und Warum, die sich nicht nur Historiker mit dem Blick in die Geschichte stellen, stehen Fragen nach dem Was, Wo und Wann, auch des Wieviel, also die Erfassung der "nackten" Tatsachen. Aus solcher Arbeit, die - was über ihre Schwierigkeit nichts sagt - eigentlich Vorarbeit ist, Vorverständnis von Geschichte schafft, sind für weiterführende Forschungen anregende Publikationen entstanden. Als unentbehrlich haben sie sich auch für die hochkomplizierte Rekonstruktion der Geschichte der Konzentrations- und Vernichtungslager erwiesen, deren Beherrscher eine teils penible, teils schlampige Bürokratie betrieben, von der nur ein Teil erhalten blieb.

Das vorbildhafte Werk, das eine solche frühe Durcharbeitungsstufe repräsentiert und zugleich die Schwelle von der Ermittlung der Fakten hin zu deren sachkundiger Zuordnung überschreitet, betrifft Auschwitz und ist Danuta Czech zu danken. Deutsch erschien es zuerst 1989. Die Arbeit hat jüngst Aufnahme in das fünfbändige profunde Werk "Auschwitz 1940-1945" gefunden. Daran orientierte sich Grit Philipp mit ihrer Veröffentlichung, einem Kalendarium der Ereignisse des KZ Ravensbrück. Es setzt mit dem 1. Januar 1940 ein und endet am 30. April 1945, ein Schluß, der die Nachgeschichte ausklammert, die eigene Forschungen über die Prozesse gegen die Peiniger, die Rückkehr der Überlebenden, die Aufnahme in ihren Ländern usw. verlangen würde. Des weiteren enthält der Band Fotos aus einem sogenannten SS-Album, die der Propaganda dienten. Sie werfen die Frage auf, wie es um die fotografische Dokumentation der Wirklichkeit steht, zumindest im Moment, da sowjetische Truppen das Hauptlager erreichten. Sodann sind "Zugänge" aufgelistet, einsetzend am 25. Mai 1939, endend mit dem 26. Januar 1945. Eine Auswahlbibliographie beschließt das repräsentativ gestaltete Buch.

Dessen Nützlichkeit wird im Vorwort rechtens herausgestellt, dessen Rang ein wenig überbewertet, wenn der Band uneingeschränkt an die Seite des polnischen gerückt wird. In diesem Text hätte man sich Unterrichtung über den Forschungsstand zur Geschichte des KZ gewünscht, Informationen über Fortschritte und Desiderate, die sich bei allen in dreijähriger Arbeit verdienstvoll ermittelten Fakten doch im Kalendarium niedergeschlagen haben. Die Verfasserin verweist selbst auf zwei Lücken, die fehlenden Daten zum Männerlager und zu "verschiedenen Außenlagern". Was das letzte für das Gesamtbild bedeutet, wird allein an dem Faktum klar, daß seit 1943 etwa die Hälfte aller Häftlinge sich zum Zwecke ihrer Ausbeutung in der Rüstungsindustrie oder in sonst kriegswichtigen Einrichtungen außerhalb von Ravensbrück befand. Da wären die Namen von Betrieben zu erfassen gewesen. Sie erscheinen vereinzelt im Text und sind einmal (Auer) im Ortsregister versteckt, ein anderes Mal (Hasag) auch dort nicht aufgenommen. Register der Außenlager und Einrichtungen, in denen die Häftlinge arbeiteten, fehlen. Das erinnert an den Satz aus einem Brecht- Drama, wonach nichts passiert sei, solange kein Name genannt würde. Hier hätte sich der Rat der Mitglieder der Fachkommission Brandenburgische Gedenkstätten (A. Leo und B. Faulenbach werden bedankt) geltend machen können.

Kurz gesagt: Das Vorliegende wäre vorerst eher als Arbeitsmaterial zu bestimmen gewesen und zur Orientierung und Weiterarbeit aller, die sich mit der Geschichte von Ravensbrück befassen. Deren Zahl ist erfreulich gewachsen, ebenso die Zwischenergebnisse ihrer Forschungen, die wie andernorts und massenhaft meist auf prekären, häufig unterbezahlten Arbeitsstellen verrichtet werden. Zu ihnen zählt das soeben greifbar gewordene Totenbuch des Lagers. Es liegt in begrenzter Zahl vervielfältigt vor und ist unter der Redaktion von Bärbel Schindler-Saefkow aus Recherchen in vielen Ländern hervorgegangen. Ermittelt wurden bisher die Namen einer Minderheit der Getöteten, von 10 331 Insassen, und, soweit feststellbar, deren Geburts- und Todesdatum, Wohn- und Sterbeort. Von manchen Häftlingen werden nur Nummern angegeben, unter denen sie erfaßt gewesen waren. Die Beteiligten hoffen, mit der Hilfe vieler weiter und zu einem repräsentativen und würdigen Gedenkbuch zu kommen.

In einem ergebnisreichen Stadium befinden sich Arbeiten, die auf die Außenlager gerichtet sind. Würden Historiker in der Lage sein, politisch-geographische Karten Deutschlands und einzelner seiner Länder herzustellen, die alle KZ samt Außen- und Nebenlagern, Lagern für Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und weitere Häftlinge markierten, würde sich eine häufig gestellte Fragen erledigen: Was haben die Deutschen vom Leiden und Sterben derer gewußt, die in die Gewalt der Faschisten geraten waren. Es würde dann ein Blick darauf genügen, um eine andere Frage zu stellen: Was haben sich Deutsche gedacht, die "zwischen" diesen Lagern lebten?

Indessen erweist sich, nicht erst, seit sich forschende Aufmerksamkeit auf die Außenlager richtete, daß ein Teil auch der Nachgeborenen sich an deren Existenz weitgehend desinteressiert zeigt. Die einen meinen, es sei genug über Faschismus und Krieg geredet und geschrieben worden. Andere möchten den Schmutz im Nest ihrer Vorfahren unerwähnt lassen. Dritte besorgen sich um den Ruf ihres Ortes und fürchten um die Wirkung geschäftstüchtiger Reklame. Kommunalpolitiker glauben, sich mit wichtigerem befassen zu müssen und schielen auf Wähler, die in herausgeputzten Ortschaften leben wollen, auf die kein Schatten außer dem der Bäume und des Kirchturms fällt.

Zu diesen Hindernissen kommen weitere: Wer vor Ort nach den materiellen Zeugnissen der Lager forscht, bemerkt, daß über sie im wahrsten Wortsinn vielfach Gras gewachsen ist. Häufig bereitet es Mühe, auch nur deren Umrisse, geschweige denn Reste von Gebäuden aufzufinden. Die Zahl ortskundiger Zeitzeugen schrumpft jedes Jahr. Dennoch ist eine komplettierte Übersicht über die Außenlager des KZ Ravensbrück, in denen die Häftlinge gegen die Niederlage des Regimes anschuften mußten, entstanden. Mit ihr zeichnet sich, unterschiedlich scharf, auch eine Geschichte dieser Stätten ab.

Was jetzt notwendig erscheint und schließlich dazu führen soll, daß die einstige Existenz dieser Lager ins Bewußtsein derer tritt, die heute in ihrer Nähe leben, ist die Zusammenführung aller, die sich der Aufgabe bisher widmeten oder das nach Amt und Würden tun müßten. In manchen Orten haben sich Menschen aus eigenem Antrieb der Geschichte ihrer Lebensräume angenommen. Ohne deren Arbeit wäre vieles verloren gegangen. Andere, Lehrer und Pfarrer, könnten gewonnen werden, dem Beispiel einiger Amtskollegen zu folgen. Eine Zwischenbilanz von Erforschtem und Gesuchtem und der Austausch gewonnener Erfahrungen mit Forschern, die sich der Geschichte anderer KZ zugewandt haben, bleibt dringlich. Ohne verstärkte ideelle und materielle Förderung dieser Arbeit durch die Landesregierungen in Potsdam und Schwerin, Landräte und Bürgermeister wird oft nicht voranzukommen sein. Dabei käme es darauf an, das Eis zum Schmelzen zu bringen, das sich wie ein Panzer mancherorts vor die Begegnung mit der Geschichte gelegt hat, sofern diese nicht die Leidensgeschichte der "eigenen" Leute ist.

Daß auf Friedhöfen an Wehrmachtssoldaten erinnert wird, die im Kriege umkamen, kann mit moralisch vorweisbaren Argumenten nur gutheißen, wer diejenigen nicht ignoriert, die massenhaft erst aufgrund der militärischen Siege eben dieser Soldaten aus einem friedfertigen Leben gerissen und denen, wenn nicht das Leben genommen, so Jahre davon unwiderbringlich gestohlen wurden. Frauen und Männer aus so vieler Herren Länder waren für Jahre auch "Einwohner" deutscher Ortschaften, wenn sie auch von deren "Ureinwohnern" als solche nicht behandelt wurden, wenn auch ihre Behausungen meist Wohnungen nicht genannt werden können, wenn sie auch mit einem Gebet an einen anderen Gott oder mit einem gegen die Deutschen gerichteten Fluch gestorben sein mögen. Wo sich das Bewußtsein vom Leben der Zwangsarbeiter in der Mitte der deutschen Gesellschaft durchsetzt und ihrer pietätvoll gedacht wird, wäre mehr als ein flüchtiges Zeichen wider die Nazis unserer Tage und deren Sympathisanten gesetzt.

Auschwitz 1940-1945. Studien zur Geschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Fünf Bände. Hg. Waclaw Dlugoborski / Franciszek Piper. Aus dem Polnischen von Jochen August, Verlag des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Oswiecim 1999.

Grit Philipp, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Ravensbrück 1939-1945. Unter Mitarbeit von Monika Schnell, Metropol Verlag, Berlin 1999.

Gedenkbuch für die Opfer des Konzentrationslagers Ravensbrück, Vorläufiger Zwischenbericht. Berlin/Fürstenberg (Havel) 2000.

Junge Welt, 18.12.2000

haGalil onLine 27-12-2000

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