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Vierzehn
Jahre alt war Lore Sulzbacher, als sie 1939 von ihren Eltern in
Fürth in einen Zug gesetzt wurde, der sie nach Großbritannien
brachte. Dort, so Alfred und Selma Sulzbacher, würde es ihre Tochter
besser haben als im Dritten Reich, das seinen jüdischen Bürger
zunehmend die Lebensgrundlagen raubte.
Die meisten
Eltern, die sich nach der Reichspogromnacht schweren Herzens von
ihren Kindern trennten, um sie ins sichere Ausland zu schicken,
hofften bei ihrem Abschied auf ein Wiedersehen. So auch die Eltern
Sulzbacher. Dies umso mehr, als sich ihre behütete Tochter in
Großbritannien zu einer wahren Kämpferin entwickelte: Um ihren
Eltern die Einreise nach Großbritannien zu ermöglichen, besorgte sie
für beide Arbeitsstellen als Gärtner und Köchin in britischen
Haushalten. Doch der Kriegsbeginn am 1. September 1939 vereitelte
die Ausreisepläne von Alfred und Selma Sulzbacher. Das Ehepaar wurde
im September 1942 nach Theresienstadt deportiert und im Oktober 1944
in Auschwitz ermordet. Ihre Tochter Lore blieb dank der
Rettungsaktion der Briten, die unter dem Namen "Kindertransport" in
die Geschichte einging, am Leben.
Mehr als sechzig Jahre nachdem die Briten über zehntausend jüdischen Kindern das
Leben retteten, hat der Oscar-Preisträger Mark Jonathan Harris einen viel
beachteten Dokumentarfilm über das Schicksal der einstigen "Kinder" gedreht:
"Into the Arms of Strangers: Stories of Kindertransport", läßt mehr als ein
Dutzend der damaligen Flüchtlingskinder zu Wort kommen, darunter auch Lore
Sulzbacher aus Fürth, die heute Lorraine Allard heißt und in London lebt.
Während ihr Schicksal seit Wochen unzählige Kinobesucher in USA und Europa
bewegt, und die ZEIT ihre Leser mit dem Hinweis "empfehlenswert" in den Film
schickt, zeigt man in Allards Geburtsstadt Fürth wenig Interesse an ihrer
Geschichte.
Filmaufnahmen, in denen sie 1997 anläßlich eines Besuchs in Fürth ihre
Biographie erzählt, ruhen zusammen mit 16 weiteren Zeitzeugenberichten von
Fürther Holocaust-Überlebenden seit drei Jahren ungenutzt im Archiv des
Jüdischen Museums in Fürth. Wenn es nach dem Willen des Leiters des Museums,
Bernhard Purin, geht, bleiben sie dort auch liegen. "Bei den Interviews wurden
sämtliche wissenschaftlichen Standards außer Acht gelassen", ließ der
Museumsleiter vor kurzem sowohl den Förderverein "Jüdisches Museum Franken", der
ihm Geld für die Realisierung des Projektes angeboten hatte, als auch die
"Süddeutsche Zeitung" wissen. Mit seinen Äußerungen zog sich Purin nun den Unmut
von Mitarbeitern des Bayerischen Rundfunks zu, die das Vorhaben damals initiiert
und realisiert hatten: Vier Tage lang hatte ein 15köpfiges Team von Journalisten
und Kameraleuten des BR ehrenamtlich an der Befragung von 17 jüdischen
Zeitzeugen gearbeitet. Entsprechend groß ist der Verdruß der Filmcrew über die
Weigerung Purins, die Zeitzeugenberichte in die Ausstellung aufzunehmen.
Auch einige der befragten Zeitzeugen können sich mit der Entscheidung des
Fürther Museumsleiters nicht anfreunden. Die gebürtige Fürtherin Ruth Weiss, die
in Pressekreisen seit Jahrzehnten einen hervorragenden Ruf als Afrika-Expertin
genießt und seit vielen Jahren Mitarbeiterin der BBC ist, und selbst zu den im
Jahre 1997 befragten Zeitzeugen gehört, reagiert mit Unverständnis auf die
Äußerungen von Bernhard Purin. Zusammen mit ihren als "Nachwuchsjournalisten"
gescholtenen Kollegen vom BR fordert sie nun vom Jüdischen Museum die Herausgabe
der Originalfilmbänder. Sie sollen nach einer Bearbeitung wissenschaftlichen
Instituten wie beispielsweise Yad Vashem zur Verfügung gestellt werden. Ein
erstes Interview mit Raphael Halmon, dem Sohn des letzten Fürther
Waisenhausdirektors ist in Kopie bereits auf dem Weg dorthin. Halmon schildert
darin das Leben und Wirken seines Vaters Isaak Hallemann, der zusammen mit
seiner Frau, ähnlich wie der berühmte Warschauer Waisenhausdirektor Janusz
Korczak, die ihm anvertrauten Waisenkinder nicht im Stich ließ, obwohl er sich
selbst hätte retten können. Stattdessen begleitete Hallemann die Kinder im März
1942 in die Vernichtung nach Izbica.
Weitere der befragten Zeitzeugen haben nun angekündigt, dass sie "ihre
Geschichte" vom "Jüdischen Museum" zurückfordern werden.
haGalil onLine
21-12-2000
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