antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

62 Jahre nach dem Novemberpogrom der Nationalsozialisten:
Steinwürfe, die tief in die Seele treffen

Gabi Brenner, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Weiden,
wird in anonymen Briefen übel beschimpft / Polizei ohne konkrete Spuren

Von Rolf Thym / SZ vom 09.11.2000 Bayern

Weiden – Es sieht ganz danach aus, als müsse sich Gabi Brenner an heftige Gefühlswechsel gewöhnen, wenn sie morgens Briefe öffnet oder ihre E-Mails abruft. Da schrieb ihr in dieser Woche ein anonymer Absender, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Juden „dieses Land ganz in ihre dreckigen Pfoten bekommen. Es sei denn, ein neuer Holocaust kommt ihnen zuvor“.

Am selben Tag erreichte sie aber auch ein Paket mit einem Strauß bunter Blumen, gedacht als Trost und Aufmunterung. Das habe sie „zum Heulen gebracht“, obwohl das ja gar nicht ihre Art sei. Dabei hätte Gabi Brenner, die seit sechs Jahren der jüdischen Gemeinde in der oberpfälzischen Stadt Weiden vorsteht, seit einem halben Jahr allen Grund dazu, ab und an die Fassung zu verlieren. Im Mai wurde ein Glas mit weißer Farbe gegen einen Gedenkstein geworfen, der an 34 von den Nationalsozialisten ermordete jüdische Weidener erinnert.

Dann wurde zweimal das jüdische Gemeindehaus angegriffen: Am 14. Juni flogen Steine in zwei Fenster, am 1. September ging ein Glas gefüllt mit Farbe auf den Eingangsstufen zu Bruch. Danach war vor wenigen Tagen das Geschäft des Ehepaars Brenner an der Reihe, das in Weiden einen Foto-Versandhandel betreibt: Mit Pflastersteinen wurden zwei Panzerglasscheiben beschädigt. Warum? Und wer sind die Täter?

Eine konkrete Spur gebe es leider noch nicht, sagt der Weidener Polizeidirektor Josef Wittmann. „Nach unserer Einschätzung sind diese Taten geplant“, aber noch gebe es keine Beweise dafür, „dass jemand aus der rechtsextremen Szene dafür verantwortlich zu machen ist“. 5000 Mark Belohnung für Hinweise hat das Landeskriminalamt ausgesetzt, und gerade bereitet die Polizei ein Flugblatt vor, in dem die Weidener „eindringlich“ um Mitarbeit bei der Fahndung gebeten werden.

Im übrigen glaubt Wittmann, dass es in und um Weiden auch nicht mehr Skinheads und sonstige Rechtsextreme gebe als andernorts. Dennoch: Wenn im jüdischen Gemeindehaus gebetet oder gefeiert wird, stehen Polizisten draußen Wache. Und neuerdings fahren die Beamten verstärkt Streife vor dem Geschäft und dem Wohnhaus der Familie Brenner.

„Ich mache meine Arbeit weiter, ich will meine Gemeinde nicht aufgeben“ – so spricht sich Gabi Brenner selbst Mut zu. Wegen Steinen und Farbe alles aufgeben? Da ist das florierende Geschäft mit 45 Angestellten. Da ist die zu einem regen gesellschaftlichen Leben erwachte jüdische Gemeinde: Seit sechs Jahren kommen zu Hunderten jüdische Kontingentflüchtlinge aus den GUS-Staaten nach Weiden, werden untergebracht in einer ehemaligen US-Kaserne und bedürfen der kräftigen Hilfe der eingesessenen Weidener Juden, um in der neuen, fremden Heimat auch nur halbwegs zurecht zu kommen.

„Ich mache die Gemeinde auf, ich habe eine offene Tür“ – das hatte sich Gabi Brenner vorgenommen, als sie 1994 zur Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde gewählt worden war. Sie lud alle Weidener ein zu Vorträgen, Lesungen, Musikabenden – mit großem Zuspruch. Eng arbeitet sie mit der örtlichen Volkshochschule zusammen. Bundeswehrsoldaten, Schulklassen und Frauengruppen erklärt sie Geschichte und Religion der Juden. Inzwischen haben die jüdischen Immigranten die Gemeinde auf gut 350 Mitglieder anwachsen lassen.

Auf gar keinen Fall, sagt Gabi Brenner, wolle sie so etwas sein wie ein „Vitrinenjude“, der still alles ertrage und möglichst nicht auffallen wolle: „Ich sage auch, was mir nicht passt.“ Und damit, glaubt sie, „haben manche Leute in Weiden Probleme“. Vor einiger Zeit kam es zu einer Verstimmung im Verhältnis mit der Stadt, weil Gabi Brenner im Zusammenhang mit den jüdischen Zuwanderern deutlich gesagt hatte, was ihr am Sozialamt nicht passt. Gut möglich, meint sie, dass der ohnehin als eigensinnig bekannte CSU-Oberbürgermeister Hans Schröpf deswegen immer noch beleidigt sei. Nur so könne sie es sich erklären, warum er trotz der antijüdischen Attacken bis jetzt noch kein persönliches Wort an sie als Vorsitzende der jüdischen Gemeinde gerichtet habe.

Vielfach haben Weidener Bürger und örtliche Kommunalpolitiker die Anschläge scharf verurteilt und ihre tiefe Bestürzung bekundet. Die CSU gab vor drei Tagen ein „klares, offenes Bekenntnis gegen rechte Gewalt“ ab, die „verwerflich und schändlich“ sei. „Den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde und der Familie Brenner bekunden wir unsere Solidarität“, hieß es in der CSU-Erklärung, die nur niemand an Gabi Brenner und ihren Mann schickte. Die beiden mussten vom Beistand der Weidener CSU aus der Zeitung erfahren – wie auch von einer Stellungnahme des Oberbürgermeisters, der von „hässlichen Attacken“ sprach, aber auch davon, dass nichts übertrieben werden dürfe: „Wenn bestimmte Ereignisse zu hoch aufgehängt werden, bewirkt man oft das Gegenteil von dem, was man will.“

Für Journalisten, die gerne mehr von ihm erfahren hätten, war Schröpf nicht zu sprechen: Ein Sprecher ließ wissen, der OB werde am Mittwochabend bei einer Gedenkfeier zum Jahrestag der Reichspogromnacht eine Rede halten und zuvor „grundsätzlich keine Interviews“ geben. Am „Mahnmal gegen Rassenwahn“ verurteilte und bedauerte Schröpf gestern Abend „diese Taten“ und verwies darauf, dass sich die Weidener „nicht von wenigen Chaoten einen antisemitischen oder rechtsextremen Stempel aufdrücken lassen“. In seinem Redemanuskript war Gabi Brenner allerdings mit keinem Wort erwähnt, dafür lobte der OB die örtliche Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Die zeige beispielhaft eine „vorurteilsfreie Gesinnung“.

Wenn es nur möglich gewesen wäre, dass der OB und die jüdische Gemeindevorsitzende miteinander hätten reden können, ganz vorurteilsfrei, dann hätte Schröpf erfahren können, wie diese schwierige Zeit auf ein kleines Mädchen wirkt. Die neun Jahre alte Tochter der Brenners sagte einmal beim Zubettgehen: „Mama, ich will eigentlich keine Jüdin mehr sein.“ Die Mutter antwortete, Juden hätten schon immer in einer besonderen Situation gelebt – und „das, was man ist, muss man auch leben“. Als Gabi Brenner davon dem Reporter erzählt, sagt sie noch: „Wenn wirklich mal was Ernstes sein sollte, haben wir ja immer noch die Option wegzugehen.“

Das bayerische Innenministerium indessen verzeichnet heuer zwar einen leichten Anstieg antisemitischer Straftaten – bis 30.Oktober wurden 112 Mal jüdische Häuser, Synagogen und Grabstätten geschändet, beschmiert, beschädigt. Dennoch, so betont ein Ministeriumssprecher, liege Bayern damit „immer noch am hinteren Ende der Statistik“.

haGalil onLine 09-11-2000

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved