Ungewöhnlich scharf hat der Präsident
des Zentralrats der Juden in Deutschland die Äußerungen führender
Unionspolitiker zur Ausländer- und Zuwanderungspolitik kritisiert.
Zentralratspräsident Paul Spiegel sprach am Donnerstag in Bonn von der
"Fremdenfeindlichkeit politischer Eliten".
Es sei unverantwortlich, wenn führende Politiker Formulierungen wie "Wunsch nach
nützlichen Ausländern" (Bayerns Innenministers Günther Beckstein, CSU) oder
"Kinder statt Inder" (Jürgen Rüttgers, stellvertretender Vorsitzender der CDU)
verwendeten oder aus wahltaktischen Gründen eine Kampagne gegen die doppelte
Staatsbürgerschaft (Roland Koch, hessischer CDU-Chef) geführt werde. "Dazu
gehört auch die für mich unbegreifliche Ankündigung von CDU/CSU-Fraktionschef
Friedrich Merz, im nächsten Wahlkampf die Zuwanderung zum Thema zu machen", so
Spiegel am Donnerstag in Bonn.
Derartiges eigne sich ganz bestimmt nicht zum demokratischen Vorbild, sagte
Spiegel vor dem so genannten Rheinischen Rat, der Vollversammlung der von
Städten und Kreisen entsandten Politiker im Landschaftsverband Rheinland. Der
Präsident des Zentralrats forderte einen gewissenhafteren Umgang mit Sprache
gerade von den "Vorbildern innerhalb der Gesellschaft".
Schöne Worte allein nützen wenig
Nötig sei gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus
endlich auch eine massive finanzielle Unterstützung. Gerade in der präventiven
Jugendarbeit müsse sehr viel mehr getan werde, die Mittel dafür seien jedoch in
den letzten Jahren so drastisch gestrichen worden, dass Tausende von
Jugendlichen "nicht nur auf der Straße stehen, sondern der Rechten förmlich in
die Arme getrieben werden".
Bezugnehmend auf die jüngsten Anschläge auf Synagogen und Gedenkstätten äußerte
Spiegel Zweifel daran, dass in Deutschland die richtigen Lehren aus der
Vergangenheit wirklich gezogen worden seien. Es sei noch immer unklar, wie man
der Gewalt begegnen und welche Konsequenzen die Politik "aus dem Rechtsruck in
der Bundesrepublik Deutschland und in einigen anderen europäischen Staaten"
ziehen wolle. Er haben noch im
Sommer das Gefühl gehabt, ein Ruck könne durch die Gesellschaft gehen, der auf
den wachsenden Rechtsextremismus aufmerksam mache und wachrüttele. Inzwischen
sei aber seine Zuversicht gesunken - vor allem nach den in der Zwischenzeit in
manchen Führungskreisen dieses Landes geführten Diskussionen zum Thema
'Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus'. Er frage, ob es nicht doch die
Bereitschaft gebe, Gewalttaten gegen Asylbewerber und andere Angehörige von
Minderheiten einfach hinzunehmen.
Wer Verbrechen rechtfertigt macht sich mitschuldig
Schon der Versuch, Gründe und Ursachen
für die Fremdenfeindlichkeit und den Antisemitismus zu finden, komme einer
Rechtfertigung gleich, kritisierte der Zentralratspräsident. Eine solche
Rechtfertigung könne und dürfe es für diese Gewaltverbrechen nicht geben.
Das seien "keine Lausbubenstreiche sozial vernachlässigter Jugendlicher,
sondern Gewaltverbrechen, die mit der gesamten Härte des Strafgesetzes
verfolgt und bestraft werden müssen", forderte Spiegel.
Schon im Sommer hatte Paul Spiegel die
Unterscheidung des bayerischen Innenministers in nützliche und unnütze
Ausländer kritisiert und war dafür von einem Mitglied im Vorstand der
IKG-München und CSU Sprecher gescholten worden.
Was bitteschön ist eine "deutsche
Leitkultur?"
ots - news aktuell Karikaturenservice
Gibt es eine deutsche Leitkultur?
Die neuen Äußerungen von
CDU/CSU-Fraktionschef Merz, Ausländer sollten sich der "deutschen Leitkultur"
unterordnen, kritisierte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel
Friedman. Er halte "die Missverständlichkeit dieses Begriffes" für äußerst
problematisch." Der Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, nannte
die Forderung von Merz "ausgemachten Nonsens". Einen Anpassungszwang oder
"Verhaltens-TÜV" dürfe es für Ausländer in Deutschland nicht geben, so Fücks im
MDR.
Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach
sich erneut gegen die Zuwanderung als Wahlkampfthema aus. Wahlkämpfe führten
fast zwangsläufig zu Überspitzungen, und ihm gehe es bei diesem Thema um
Sachlichkeit. Wahlkämpfe mit
grobschlächtigen, polarisierenden und primitivierenden Stimmungen sind zur
Auseinandersetzung mit diesem Thema sicher ungeeignet, im übrigen sei eine
Regelung dringend notwendig, meinte auch der Handwerkspräsident Dieter Philipp
in der Berliner Zeitung. Er forderte eine rasche Neuregelung für die Zuwanderung
um den bedrohlichen Arbeitskräftemangel beheben zu können.
haGalil onLine
19-10-2000
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