|
|
|
|
|
|
|
Was darf Satire? Diese einst
von Kurt Tucholsky aufgeworfene Frage beschäftigte dieser Tage die Berliner
Staatsanwaltschaft. Satire darf zumindest, so das Ergebnis der Untersuchungen,
mit deutlichen Worten Kritik an der mancherorts besonders drastisch zutage
tretenden Abschiebepraxis üben.
Folgende Worte des Kabarettisten Dieter Hildebrandt, der nach Ansicht des
Wiesbadener Oberbürgermeisters Hildebrand Diehl (CDU) wegen Beleidigung belangt
werden sollte, sind für die zuständigen Justizbehörden kein Grund, ein Verfahren
einzuleiten. In seinem
TV-Programm "Scheibenwischer" sagte er am 12. April dieses Jahres: "Eine kleine
Zwischenfrage sei gestattet. Was für Menschen sind eigentlich in der
Ausländerbehörde Wiesbaden, die einen Kurden, der schon zweimal halbtot der
Folter in der Türkei entkommen ist, Abdulcabbar Akyüz, wieder verhaftet haben.".
Und weiter: "Da frage ich mich, was sind das für Menschen, und dann meinen sie
noch, es wäre eine große Heldentat gewesen, jedenfalls tun sie so. Wollen diese
Damen und Herren vielleicht nachträglich noch in die SS eintreten oder gehören
sie zu den Leuten, die, ohne geprügelt zu werden, immer laut schreien, sie wären
stolz darauf Deutsche zu sein, oder sind es gar keine, vielleicht sind es sogar
rechtsradikale Türken und man weiß es nicht?"
Die Berliner Staatsanwaltschaft lehnte es nun ab, gegen den Kabarettisten
vorzugehen. Zwar habe dieser auf die Mitarbeiter der Wiesbadener
Ausländerbehörde moralischen Druck ausgeübt, doch müsse Hildebrandt zugute
gehalten werden, daß es sich um Äußerungen in einer Kabarett- Sendung gehandelt
habe und groteske Darstellungen zu deren Stilmittel gehörten. Im Mittelpunkt
seiner Darstellung, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft, stehe das Ziel,
dem Publikum "die Fassungslosigkeit über die Vollstreckungsmaßnahme der
Ausländerbehörde möglichst drastisch und effektvoll zu vermitteln".
Die Satire bzw. das Groteske an Hildebrandts Äußerungen bestehe ja gerade darin,
daß niemand nachträglich in die SS eintreten könne und auch niemand ernsthaft
vermuten werde, daß für die Tätigkeit in der Wiesbadener Ausländerbehörde
türkische Staatsangehörige mit einer bestimmten politischen Überzeugung
ausgewählt worden seien. Hintergrund des Rechtsstreits ist der bundesweit für
Schlagzeilen sorgende Fall der kurdischen Familie Akyüz.
Obwohl mehrere Angehörige der insgesamt elfköpfigen Familie in ihrem
Herkunftsland Türkei nachweislich Folter und sexuellen Mißhandlungen ausgesetzt
waren, wurde im Febraur dieses Jahres der Familienvater aus Deutschland
abgeschoben. Trotz vorliegender Gutachten einer Psychologin des Psychosozialen
Zentrums für Folteropfer in Frankfurt am Main, die den in Deutschland
verbliebenen Familienangehörigen schwerste Traumatisierungen als Folge der
erlittenen Mißhandlungen bescheinigte, entschied die Wiesbadener
Ausländerbehörde in der Zwischenzeit, daß nach dem Vater auch der Rest der
Familie in die Türkei zurück müsse. Der Vater lebt gegenwärtig in der Türkei in
wechselnden Verstecken, um seinen Peinigern zu entgehen. Die anderen
Familienangehörigen sind aus Angst davor, ebenfalls in das Land abgeschoben zu
werden, in dem sie neue Verfolgungen und Übergriffe von Sicherheitskräften
befürchten, in Deutschland untergetaucht.
Unterdessen
kommentierte Oberbürgermeister Diehl die Nachricht aus der Berliner
Staatsanwaltschaft, kein Verfahren gegen Hildebrandt einzuleiten,
mit den Worten: "Ich akzeptiere es nicht, ich erleide es".
Thomas Klein,
Wiesbaden
haGalil onLine
27-10-2000
|