Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 23.10.200
Im Internet gegen den Holocaust
polemisiert
FREIBURG. Ausgerechnet im jüdischen Online-Dienst haGalil-online hat ein Mann
aus Freiburg seine volksverhetzenden Thesen veröffentlicht. Er wurde zu einer
Freiheitsstrafe von einem halben Jahr auf Bewährung verurteilt.
Von Ute Köhler
Der 36-Jährige bezeichnet sich als Historiker mit guten Absichten: Lediglich
eine Diskussion habe er in Gang setzen wollen, versichert er vor Gericht, die in
Deutschland von Staats wegen verboten sei - die Diskussion darüber, wie viele
Juden denn nun wirklich während der Naziherrschaft ermordet wurden.
Allerdings ist der Mann weder Historiker, noch hat ihm das Gericht seine
Beweggründe abgenommen. Gerade drei Semester Geschichte hat der in der Schweiz
geborene Deutsche studiert. Viermal insgesamt hat er Ende vergangenen und Anfang
diesen Jahres auf der Seite des jüdischen Online-Dienstes haGalil einige sehr
ausgewählte Quellen platziert. Darin wurde unter anderem behauptet, die
Massentötung von Juden in Konzentrationslagern in dem heute international
angenommenen Umfang sei aus technischen Gründen "unwahrscheinlich''. Das Giftgas
ZyklonB etwa sei "viel zu teuer'' gewesen, um damit Menschen umzubringen: "Da
reicht normales Küchengas.''
Obwohl der 36-Jährige, der von einer Frührente lebt, den Holocaust an sich nicht
leugnet, hält er die Ergebnisse internationaler Forschung für falsch. Als
wichtigste Quellen dienen ihm dabei eine Ausgabe der "New York Times'' aus dem
Jahr 1948 und das Buch eines Historikers, das in der Freiburger
Universitätsbibliothek steht.
Dass sich der Mann berufen fühlt, seine Überzeugung auch anderen mitzuteilen,
begründet er unter anderem mit seiner eigenen Familiengeschichte. In der Schweiz
geboren, habe er zunächst feststellen müssen, dass auch die Schweiz während des
Dritten Reichs schuldig geworden war. Als bekannt wurde, welche Geschäfte der
vermeintlich saubere Alpenstaat mit dem Hitlerregime gemacht hatte, habe das in
ihm eine "unbändige Wut'' entfacht. Graffiti und Geldstrafen waren die Folge.
Hinzu sei dann die Überzeugung gekommen, dass "das mit den sechs Millionen Juden
nicht stimmen kann''. Ausgerechnet jüdische Mitschüler in einer Handelsschule,
die er nach einer gescheiterten Musiklehrerlaufbahn besuchte, hätten ihn darauf
gebracht. Sie selbst hätten Zweifel an den Zahlen geäußert, und die habe er
aufgegriffen: "Man muss sich doch helfen.'' Den jüdischen Online-Dienst haGalil
habe er ausgewählt, weil dort eine entsprechende Diskussion bereits
stattgefunden habe. Dass ihm das unverzüglich eine Strafanzeige einbrachte,
empfindet der seit einem knappen Jahr in Freiburg lebende Frührentner als
"merkwürdigen Stil''.
Das Gericht allerdings hat dem Studenten seinen angeblichen guten Willen nicht
abgenommen. Seit 1994 ist es, um die Empfindungen der Opfer und ihrer Nachkommen
zu schützen, unter Strafe gestellt, den Holocaust und seine Folgen zu leugnen
oder auch nur zu relativieren. Dem Angeklagten, so der Richter, sei denn auch
durchaus bewusst gewesen, welche Reaktionen er mit seinen Provokationen auslösen
würde. Auch über den politischen Hintergrund des Mannes habe die
Hauptverhandlung Aufschluss gegeben - dort nämlich, wo er angegeben hat, nur
deshalb keine Kontakte zur Skinheadszene zu haben, "weil die gewaltbereit
sind''.
Die Verurteilung zu einem halben Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung hat der
Student mit offensichtlichem Unverständnis entgegengenommen. Zu lautem Protest
aber veranlasste ihn die Mitteilung, dass die Tatwaffe - sein Computer -
eingezogen wird. Dort seien, monierte er, Forschungsergebnisse der vergangenen
drei Jahre festgehalten. Die Staatsanwaltschaft hat in Aussicht gestellt, dass
unbedenklich erscheinende Daten ihm überlassen werden könnten.
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