Nach fast
6-jähriger Diskussion und Planung:
Einweihung von Holocaust-Mahnmal und Museum auf dem Wiener
Judenplatz
Endlich war es
soweit, gestern, am Vorabend des österreichischen Nationalfeiertags,
wurde das Holocaust-Mahnmal am Wiener Judenplatz mit einem Festakt
eingeweiht. Nach langen Diskussionen und Verhandlungen wurde
schließlich der gesamte Judenplatz neu gestaltet und in eine
historische Gedenkstätte umgewandelt.
Mittelpunkt des Platzes bildet das Mahnmal der britischen Künstlerin Rachel
Whiteread. Die nahezu 4 m hohe Stahlkonstruktion, die eine umgekehrte Bibliothek
tausender Bücher mit unlesbaren Titeln darstellt, steht in enger Verbindung mit
dem Misrachi-Haus, dem ältesten Gebäude am Judenplatz. Hier findet sich im
Erdgeschoß eine Dokumentation zur Shoa, die die Namen und Daten der 65.000
österreichischen Juden, sowie die Umstände ihrer Verfolgung und Ermordung in
einer multimedialen Schau präsentiert. Ebenfalls im Erdgeschoß des
Misrachi-Hauses gibt es einen Raum, der die Genese des Gedenkprojektes anhand
von Skizzen, Vorstudien und Modellen illustriert.
Daneben wurde auch ein Museum des mittelalterlichen Judentums eröffnet, das eine
Ergänzung zum bereits bestehenden
Jüdischen Museum in Wien bildet. Am 5. November
wird schließlich noch eine Synagoge eröffnet, die das Ensemble abrunden soll.
Bei den Bauarbeiten am Judenplatz wurden Reste des mittelalterlichen Ghettos
gefunden, die sich schließlich als die Grundmauern der mittelalterlichen
Or-Saruga-Synagoge. Mit ihrem Bethaus hatten sich während eines Pogroms im Jahr
1421 mehr als 300 Juden verbrannt. "Ein Zeichen dafür," so Wiens Bürgermeister
Michael Häupl, "dass der Antisemitismus in dieser Stadt älter ist als der
Völkermord durch die Nationalsozialisten". Die jetzige Generation müsse es
jedoch schaffen, keine weiteren Belastungen für die Jungen zu hinterlassen, die
kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sei daher unerläßlich. In
Schauräumen unter dem Mahnmal können daher nicht nur sechs Jahrhunderte
jüdischer Tradition, sondern auch die lange Historie des Antisemitismus in
Zentraleuropa sichtbar gemacht werden.
Auch in Österreich zog sich Debatte über die Errichtung eines Mahnmals über
Jahre. Bereits 1987 hatte der Vorsitzende der israelischen Gedenkstätte Yad
Vashem den damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky aufgefordert, eine
Gedenkstätte mit den Namen der ermordeten Juden aus Österreich einzurichten.
Anfang 1995 wiederholte schließlich Simon Wiesenthal diesen Vorschlag. Nachdem
der Wiener Bürgermeister Michael Häupl den Vorschlag Wiesenthals aufgegriffen
und eine internationale Jury unter Vorsitz des Architekten Hans Hollein sich im
Januar 1996 für den Entwurf von Whiteread entschieden hatte, begann aber die
Debatte erst richtig, so dass sich der Bau bis heute hingezogen hat.
Simon Wiesenthal hat schließlich eine entsprechende Dokumentation zur
Platzgestaltung herausgegeben, die Reflektionen von Zeit- und Kunsthistoriker,
Architekten und Publizisten über ästhetische und theoretische Fragen der
Mahnmal-Architektur zusammenfaßt.
haGalil onLine
26-10-2000
|