Von Hohenems bis Berlin:
Unangenehme Töne aus Mitteleuropa
Antisemitismus in der
Welt
20. Oktober 2000 - Jedioth/Mariw - Mit den Worten "Jetzt kommt das Ende der
Juderei Berlins" reagierte der Leiter der "Deutschen Oper" auf die Erklärung
des israelischen Dirigenten Daniel Barenboim, er werde aus seinem Amt als
Leiter der Staatsoper zurücktreten.
"Jetzt kommt das Ende der Juderei Berlins"- mit dieser deutlich
antisemitischen Äußerung reagierte der deutsche Dirigent Christian Tillmann,
als er von der Absicht des israelischen Dirigenten Daniel Barenboim hörte,
aus der Leitung der Berliner Staatsoper zurückzutreten.
Der antisemitische Angriff auf Barenboim sorgte für große Aufregung und
machte am Wochenende in der Berliner Presse Schlagzeilen. Das antisemitische
Zitat Tillmanns erschien in der "Morgenpost". Tillmann ist der musikalische
Leiter der "Deutschen Oper", während Barenboim die "Staatsoper" leitet - die
beiden angesehenen Opernhäuser der deutschen Hauptstadt. Die Deutsche Oper
gilt als sehr deutsch und ist spezialisiert auf die Opern Richard Wagners,
des "nationalen Komponisten" Deutschlands. Vor drei Jahren, als diese Oper
Israel besuchte, hat ihr Bassist, Gert Reincke, für einen Skandal gesorgt,
als er seine Rechnung im Hotel in Natanja mit "Adolf Hitler" unterzeichnete.
Er wurde daraufhin entlassen.
Eran Tiefenbrunn berichtet in Jedioth, dass Tillmann, der für seine
nationalistische Weltanschauung bekannt ist, vom Vorstand der CDU in Berlin,
Klaus Landrowsky, Hilfe erhielt. Dieser erklärte: "Auf der einen Seite der
kulturellen Karte Berlins steht Tillmann, der der Erbe Karajans ist (der den
Nazis nahestand), auf der anderen Seite der Jude Barenboim."
Auch diese Äußerung löste Aufregung aus, da es in der Nazizeit üblich war,
dem Namen jüdischer Künstler und Intellektueller den Titel "der Jude"
vorauszustellen.
Barenboim, der erst vor kurzen zum Dirigenten des Jahres gekürt wurde,
fungiert seit 1991 als musikalischer Leiter der Staatsoper, die als die
angesehenste kulturelle Einrichtung Deutschlands gilt. In der letzten Zeit,
nachdem eine lange Reihe seiner etatbezogenen Forderungen abgelehnt worden
war, gab er bekannt, er beabsichtige, sein Amt niederzulegen. Barenboim ist
nicht der einzige jüdische Dirigent in Berlin, Auch Lior Shamdal und Elijahu
Enbal fungieren als musikalische Leiter Berliner Orchester.
In der letzten Zeit, besonders nach der Ernennung von Michael Blumenthal zum
Direktor des jüdischem Museums in der Stadt, wurden Stimmen laut, die dazu
aufriefen, die "Juderei in den Berliner Kultureinrichtungen zu stoppen".
In M'ariw berichtet Jigal Avidan über die "Aufregung nach dem Rücktritt
Barenboims aus der Leitung der Oper in Berlin" und fragt: "Mußte der
jüdische Dirigent wegen Antisemitismus zurücktreten?"
Avidan zitiert den ehemaligen Verantwortlichen für Kultur in Berlin, Ulrich
Roloff-Mumin: "Der Dirigent Daniel Barenboim sah sich gezwungen, aus seinem
Amt als Leiter der Berliner Oper zurückzutreten, weil er Jude ist".
Barenboim selbst sagte gestern, er sei Ziel antisemitischer Angriffe im
musikalischen Sektor geworden, nachdem die Berliner Stadtverwaltung eine
umstrittene Reform in drei Opernhäusern der Stadt bekanntgegeben hat. "Nach
all den Jahren, die ich mit großer Freude in Deutschland verbracht habe,
überrascht es mich zu hören, dass meine Zugehörigkeit zum jüdischen Volk in
irgendeinem Zusammenhang mit meiner Musik oder meiner Arbeit in der
Staatsoper stehen soll."
"Es ist untragbar, dass verantwortungsbewußte deutsche Politiker in ihren
Äußerungen immer wieder vom 'jüdischen Dirigenten Barenboim' sprechen",
schrieb Roloff-Mumin in einem offenen Brief an die FAZ. Auch in der Äußerung
einer hohen politischen Persönlichkeit, die im Geheimen zitiert wird, kommt
Antisemitismus zum Ausdruck: ‘Jetzt wird endlich mit der jüdischen Hegemonie
in Berlin Schluss sein’.
Die Berliner Morgenpost hat diese Anschuldigungen auf ihrer ersten Seite
veröffentlicht, und sie brachte auch die Äußerung des CDU-Vorsitzenden
Landrowsky: "In der Stadtratssitzung sprach ich von ‘dem Juden Barenboim’,
damit wollte ich ihm jedoch ein Kompliment aussprechen." Der Dirigent der
Deutschen Oper, Christian Tillmann, der als der musikalische Rivale
Barenboims gilt, bestritt mit Nachdruck, sich antisemitisch geäußert zu
haben: "Hierbei handelt es sich um dumme Gerüchte, auf die ich gar nicht
eingehen will." Politiker aller Parteien fordern Roloff-Mumin auf, den Namen
des Politikers zu nennen, der von "jüdischer Hegemonie" gesprochen haben
soll. haGalil
onLine 24-10-2000 |