Mit einem Festakt im Berliner
Hotel Adlon feierte der Zentralrat der Juden in Deutschland heute
seine Gründung vor 50 Jahren. An der Veranstaltung nahmen zahlreiche
Vertreter der Bundesregierung, Parteien und Gewerkschaften,
Botschafter, sowie Mitglieder der Kirchen teil.
Präsident Paul Spiegel erinnerte daran, dass
"einige wenige Überlebende" der Judenverfolgung die Organisation im Juli 1950 in
Frankfurt gründeten. Heute leben wieder rund 85.000 Juden in Deutschland. Jedoch
sei der Antisemitismus noch immer weit verbreitet und anders als in früheren
Jahren bekennen sich die Menschen heute mehr und mehr offen dazu. Besonders
bedrückend sei die Tatsache, dass darunter auch Vertreter aus Politik,
Wirtschaft und Kultur zu finden seien. Aber auch in der katholischen Kirche, bis
hinauf zu Kardinälen, gebe es Formen des Antisemitismus, beklagte Spiegel.
Spiegel verurteilte in seiner Rede
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit jeder Art aufs Schärfste.
Rechtsextremistische Gewalttaten in Deutschland seien aber nicht nur ein Angriff
auf die Juden in Deutschland, sondern "auf uns alle und unsere Demokratie".
"Fremdenfeindlichkeit ist Menschenfeindlichkeit", betonte er.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat den
Zentralrat der Juden in Deutschland in seiner Rede als "wichtige Säule der
Zivilgesellschaft" der Bundesrepublik gewürdigt. Er verwies auf das Engagement
des Zentralrates gegen Rechtsradikalismus und "jede Form der Ausgrenzung", die
Funktion des "Mahners der Vergangenheit" sei bei weitem keine ausreichende
Bezeichnung.
Schröder betonte, Bundesregierung und
Zentralrat verfolgten gemeinsam das Ziel, den "nur widerlich zu nennenden
Rechtsradikalismus" in Deutschland zu bekämpfen und dankte Spiegel für sein
Engagement gegen Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass. Der Zentralrat leiste
"unermüdlichen Einsatz für wahre Menschlichkeit" und sei ein "unverzichtbarer
Teil unserer Gesellschaft".
Schröder unterstrich auch die Notwendigkeit, die Erinnerung an die deutsche
Geschichte und die Verbrechen an den Juden wach zu halten. Der jungen Generation
müsse von den Menschen berichtet werden, die in düstersten Zeiten drangsalierten
und Verfolgten geholfen haben.
Der Zentralrat wurde 1950 als Dachorganisation
der jüdischen Gemeinden und ihrer Landesverbände in Frankfurt ins Leben gerufen.
1946 waren in Deutschland rund 15.000 deutsche Juden, die den NS-Terror überlebt
hatten, hinzu kamen rund 200.000 jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa.
Unter dem ersten Vorsitzenden Heinz Galinski war die Wiederherstellung der
Rechte der Juden ein und entsprechende Wiedergutmachung das vorrangige
politische Ziel.
Heute sind die wichtigsten Aufgaben die "Wächterfunktion zur Wahrung von
Demokratie und Menschenrechten" und die politische Vertretung jüdischen Lebens
in Deutschland, erklärte Spiegel.
Spiegel war nach Ignatz Bubis Tod als Nachfolger gewählt worden. Der Präsident
wird normalerweise alle drei Jahre vom neunköpfigen Präsidium, einer Art
Exekutivgremium des Zentralrats, gewählt. Daneben gibt es eine Ländervertretung,
das Direktorium, dessen Zusammensetzung wiederum von der Ratsversammlung
(Parlament) bestimmt wird, der mehr als 100 Vertreter angehören.
Gerade in den letzten Jahren stellten sich dem Zentralrat schwierige
Entwicklungen. Die jüdischen Gemeinden wachsen durch die Zuwanderung der
Kontingentflüchtlinge aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion rapide an.
Unter den nun rund 80 000 Juden in Deutschland ist die Mehrheit russischstämmig,
russischsprachig und oft genug der eigenen Religion entfremdet, wodurch sich
Probleme und Aufgaben stellen, die enorme materielle, soziale und pädagogische
Integrationsarbeit erfordern.
Bundeskanzler Schröder nannte den Zentralrat in einer Grußbotschaft zum
Gründungsjubiläum im Juli "eine unverzichtbare moralische Instanz".
Dieses Prädikat lehnt der Zentralrat jedoch von seinem Selbstverständnis her ab.
Moralische Autorität könne kaum aus einer Institution, sondern allenfalls aus
der Integrität und Persönlichkeit Einzelner erwachsen. Und dies war in der
Vergangenheit im Besonderen bei Heinz Galinski und Ignatz Bubis der Fall.
haGalil onLine
21-09-2000
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