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Weltwoche: Der
Indonesier Harianto Wijaya erhielt Anfang der Woche als erster
ausländischer Computerspezialist die Green Card, eine spezielle
Arbeitsgenehmigung für Deutschland. Wie würden Sie ihn
begrüssen?
PAUL SPIEGEL: Welcome to Germany.
Muss er, nach den
jüngsten Angriffen auf Ausländer, fortan in Angst leben?
Ich glaube, dass nicht nur viele Ausländer und Minderheiten Angst
davor haben, hier zu leben, sondern auch immer mehr Deutsche. Ich
hätte es niemals für möglich gehalten, dass diese Zeit wieder kommen
würde. Aber schauen Sie sich die Nachrichten an von heute, gestern,
der vorigen Woche und der vergangenen Monate – täglich lesen wir von
Angriffen auf Ausländer, Asylbewerber, auf Ausländerwohnheime, sogar
Synagogen und jüdische Friedhöfe. Da muss man sich leider fragen, ob
Ausländer wissen, was sie hier erwartet. Diese Frage stellen sich
auch viele Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die nie
gedacht hätten, dass so etwas in Deutschland nochmals möglich wäre.
Wenn Politiker wie der bayerische Innenminister Günther Beckstein
zwischen Ausländern unterscheiden, die nützen, und solchen, die
Deutschland ausnützen – was geht dann in Ihnen vor?
Ich halte eine solche Unterscheidung für äusserst fatal, und hoffe,
dass sie nicht Teil des neuen Einwanderungsgesetzes wird.
In ihrer Heimatstadt Düsseldorf wurden vergangene Woche bei einem
Sprengstoffanschlag zehn Menschen teilweise schwer verletzt. Sie
kamen aus der ehemaligen Sowjetunion, sechs von ihnen gehören
jüdischen Gemeinden an. Die Ermittler vermuten den oder die Täter im
rechtsextremen Milieu.
Solange nicht gesicherte Erkenntnisse vorliegen, sollte man nicht
spekulieren. Natürlich ist alles denkbar, auch die Tat eines
Einzelnen, eines Wahnsinnigen. Warten wir die Untersuchungen ab.
Vor seinem Tod
warnte Ihr Vorgänger Ignatz Bubis vor der Gefahr des neuen rechten
Terrors. Sie haben ihm damals widersprochen. Würden Sie das heute
noch tun?
Ganz entschieden nein! Ich habe damals nicht so weit in die Zukunft
gesehen wie er. Heute plagt mich grosse Sorge, wie es um dieses Land
bestellt ist. Dass ein Grossteil der Bevölkerung nicht hinsieht,
nicht aufschreit; dass man die Angriffe auf Ausländer und
Minderheiten nicht als Angriffe auf jeden von uns betrachtet; dass
man darin nicht eine Bedrohung der gesamten freiheitlichen
Grundordnung Deutschlands sieht – das alles bedrückt mich sehr.
Haben Politik und Justiz die Gefahr zu lange verharmlost?
Nein. Die Polizei macht sehr viel, der Verfassungsschutz auch. Die
Gesetze sind da, sie müssen nur konsequent angewendet werden. Es
darf nicht sein, dass Prozesse gegen Rechtsextreme über Monate und
Jahre verzögert werden. Was wir seit drei Monaten erleben, ist eine
Eskalation. Man kann die Augen davor nicht mehr verschliessen. Das
sehen auch alle demokratischen Parteien so, sie nehmen die Gefahr
sehr ernst. Das genügt aber nicht. Es muss mehr geschehen als eine
spektakuläre Aktion, die dann wieder in sich zusammenfällt. Die
Frage muss beantwortet werden: Was wurde versäumt? Was ist falsch
gelaufen? Wie konnte es so weit kommen?
Kennen Sie die Antwort?
Ein wichtiger Ort sind die Schulen. Der Mensch ist lernfähig, aber
die Lehrer sind nicht darauf vorbereitet, dieses schwierige Thema in
einer begreiflichen und didaktisch attraktiven Form zu vermitteln,
weil sie selbst nicht darauf vorbereitet wurden. Es fehlen
Fachseminare und Fortbildungskurse für Lehrer. Deshalb schlage ich
eine Zusammenarbeit mit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in
Jerusalem vor. Dort wurde ein grosses Lernzentrum aufgebaut, wo
Lehrer aus aller Welt mit Seminarien und Unterrichtsmaterial
vertraut gemacht werden. Natürlich hat das seinen Preis, man kann
nicht jeden Lehrer nach Israel schicken. Aber die Zusammenarbeit mit
Yad Vashem lohnt sich.
Bisher hiess es, der Fremdenhass in Deutschland sei in erster
Linie ein ostdeutsches Phänomen. Weshalb ist das rechtsradikale
Gedankengut dort besonders ausgeprägt?
Es stimmt, dass der Hass auf alles Fremde im Osten besonders häufig
zu beobachten ist und auch besonders gewalttätige Züge angenommen
hat. Aber man darf nicht vergesssen, dass die Keimzelle des
Neonazismus in Westdeutschland liegt, wo die rechtsradikalen
Parteien ihren Ursprung haben. Ich warne davor, immer alles dem
Osten anzulasten. Rechtsextremismus ist eine Gefahr, die ganz
Deutschland angeht.
Wie erklären sie dann die starke Häufung und die besondere
Brutalität von Gewalttaten im Osten?
Das hängt vielleicht mit der hohen Arbeitslosigkeit und der dort
allgegenwärtigen No-Future-Mentalität zusammen. Wenn Jugendliche
weniger Zeit mit Arbeit verbringen, haben sie mehr Zeit für das
Surfen im Internet. Und das Internet ist derzeit die grösste Quelle
für Rassismus. Im Internet korrespondieren Jugendliche mit
Gleichgesinnten, pumpen sich gegenseitig mit Hass auf. Das alles
passiert zu Hause, in der Anonymität, aber im Austausch mit
Tausenden. Wenn nicht bald etwas geschieht, fürchte ich, wird noch
viel mehr Gift über das Internet zu uns gelangen. Dann sehe ich ganz
grosse Probleme auf uns zukommen.
Also muss der Staat härter durchgreifen...
Nicht der Staat, die Staaten. Deutschland allein kann wenig machen.
Deshalb müssen alle europäischen Länder mitarbeiten und ganz
besonders Amerika, denn von dort kommen schlimme Dinge. Es geht
nicht darum, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Wir brauchen aber
einen Filter wie bei der Kinderpornografie, um das Internet von
diesem Gift zu befreien.
Fühlen sich Rechtsextreme zur Gewalt ermuntert, weil sie glauben,
eine schweigende Mehrheit zu vertreten?
Sie glauben, Vertreter einer Minderheit zu sein, die stark anwächst
und bis jetzt keine grossen Gegner hatte. Die Terroristen der Roten
Armee Fraktion wurden vom Staat massiv bekämpft, und sie hatten auch
keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Die Rechtsextremen denken
hingegen, auf viel mehr Sympathien zu stossen.
Im vergangenen Monat wurden auch drei Moscheen von Rechtsextremen
angegriffen. Sind Juden und Muslime gleichermassen die neuen Feinde?
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass Gotteshäuser in
Deutschland wieder Ziele von Anschlägen sind. Als ich 1945
hierhergekommen bin, sagten meine Eltern und deren Freunde: In
Deutschland wird es so etwas nie wieder geben. Und jetzt dies: Das
ist schlimm, tragisch, besorgniserregend. Ignatz Bubis und ich haben
immer wieder gesagt: Wehret den Anfängen. Doch es sind schon keine
Anfänge mehr. Es ist fünf nach zwölf.
Diskussion [
Terror von Rechts]
haGalil onLine
03-07-2000
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