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Machen wir uns nichts vor:
Macht und Einfluss des Zentralrats der Juden in Deutschland waren
seit seiner Gründung vor 50 Jahren stets abhängig vom Wohlwollen der
deutschen Obrigkeit. Dieses "Wohlwollen" war in den Anfangsjahren
der Bundesrepublik ein fast zwangsläufiges, ein beinahe
aufoktroyiertes, über das vor allem die Amerikaner wachten. Das
versteht sich, selbst wenn politische Figuren wie Theodor Heuss und
Konrad Adenauer durchaus auch - wohlgemerkt: auch! - ein ernsthaftes
Interesse an einer guten Beziehung zu den Juden in diesem Lande und
in der gesamten Welt hatten.
Der Zentralrat der Juden in
Deutschland wurde am 19. Juli 1950 gegründet. Seine Funktion sollte
in den Zeiten der Nachkriegswirren zunächst eine rechtspolitische
sein. Doch mit der Etablierung des Dachverbandes der jüdischen
Gemeinden in Westdeutschland wurde alsbald auch ein Signal gegeben,
dass Juden in Deutschland bleiben werden. Die Gründungsmitglieder
waren damals überwiegend deutsche Juden: Philipp Auerbach,
Staatskommissar für Wiedergutmachungsfragen, Heinz Galinski,
Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin, Norbert Wollheim,
stellvertretender Vorsitzender des Zentralkomitees der Juden in der
britischen Zone, Karl Marx, Gründer der "Allgemeinen Jüdischen
Wochenzeitung", Hendrik van Dam, ein Berliner Jurist, der dann
Generalsekretär des Zentralrats werde sollte.
Die Gründung war alles andere
als einfach. Noch 1998 konnte sich der inzwischen verstorbene
Norbert Wollheim an die Umstände bestens erinnern: "Von Beginn an
hatten wir versucht, die Juden in den Gemeinden
zusammenzuschließen." Aus einer Interessengemeinschaft wurde eine
Arbeitsgemeinschaft und der Plan für eine gemeinsame Organisation.
"So kamen wir dann zur Gründung des Zentralrats trotz vieler
Widerstände, besonders aus Bayern . Wir gründeten ein Direktorium:
so war Auerbach etwa für die amerikanische Zone zuständig, Josef
Rosensaft, Galinski und ich für die britische Zone, schließlich noch
Baer und Meyer für die französische und russische Zone."
Der Wille
zu bleiben
Anders als für die große
Mehrheit der Juden damals, die überwiegend aus Osteuropa stammten,
war es für diese deutschen Juden keine Frage, ob sie in diesem Land
- das für sie ihre alte Heimat war und vor allem: ihr kulturelles
und sprachliches Zuhause - bleiben sollten und wollten. Der
Zentralrat nahm auf diese Entscheidung aber kaum Einfluss, wie sich
Wollheim erinnerte: "Wir hatten Besuch von Rabbiner Leo Baeck aus
London, dem letzten großen deutschen Rabbiner vor dem Krieg, der die
Lager überlebt hatte. Er war sozusagen ein Halbgott für uns. Er
meinte damals, dass es keine Rolle spiele, für wie lange es wieder
Gemeinden in Deutschland gäbe, aber wenn es sie denn gibt, dann
sollten es gute Gemeinden sein. Wir bemühten uns damals also, sie
auf eine solide Basis zu stellen. Der Zentralrat hat meiner Meinung
nach nie ein Zeichen gegeben, dass Menschen bleiben sollen oder
nicht. Wo jemand hingehen will, das ist sein gutes Recht."
Der Zentralrat wurde damals
dringend gebraucht: als Anlaufstelle für die Bundesregierung, als
Sprachrohr für die Juden. Ihr Status war eminent in diesen
unmittelbaren Nachkriegsjahren, galt es doch für die Deutschen zu
beweisen, dass man aus der Shoah seine Lehren zog. Das Verhältnis
der Bundesrepublik zu ihren Juden wurde alsbald zu einer Art
Lackmustest für die Wandlungs- und Demokratiefähigkeit des deutschen
Volkes. Je "netter" man zu seinen Juden war, desto besser stand die
Bundesregierung im internationalen Ansehen da. Insofern wurde der
Zentralrat hofiert - ohne ihm aber in entscheidenden Fragen
politisches Gewicht zuzusprechen. Als Konrad Adenauer ausgerechnet
Hans Globke, den Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, zum
Staatsminister ernannte, protestierte der Zentralrat lauthals -
vergeblich.
Dennoch: Der Zentralrat
übernahm bereits in seinen Anfängen eine wichtige Funktion bei
Fragen zur Wiedergutmachung. Wichtig war die "Wächterrolle", wie
Lili Marx, die Witwe von Karl Marx, rückschauend betont: "Der
Zentralrat hat sich immer befleißigt, irgendwelche antijüdischen
Vorkommnisse, ob in Berlin oder München, anzuprangern und publik zu
machen." Ging es dabei immer um die Wahrung der Demokratie in
Deutschland? Mitnichten. Diese "Wächterfunktion" diente auch als
eine Art Alibi. Denn die große Mehrheit der internationalen
jüdischen Gemeinschaft konnte nicht begreifen, wieso Juden
ausgerechnet im Land der Mörder bleiben wollten. Die
"Wächterfunktion" als Rechtfertigung: Wir Juden passen auf, dass in
Deutschland kein zweiter Holocaust geschieht! So grotesk diese
Haltung aus heutiger Sicht erscheinen mag, so tragisch war sie in
Wirklichkeit. Denn sie zeigt, wie ambivalent jüdische Existenz in
der Bundesrepublik immer gewesen ist. Auch heute will der Zentralrat
seine "Wächterfunktion" ausüben, wie Paul Spiegel, der jetzige
Vorsitzende, diese Woche in einem Interview erklärte.
Der Fall
Nachmann
Der Zentralrat der Juden in
Deutschland befindet sich heute in einer eigenartigen Situation. Als
Mitte der achtziger Jahre, nach dem Tod Werner Nachmanns, der 22
Jahre die Geschicke des Zentralrats geleitet hatte, bekannt wurde,
dass dieser 33 Millionen Mark an Wiedergutmachungszahlungen auf
eigene Konten umgeleitet hatte, sah es zunächst so aus, als ob der
jüdische Dachverband das Wenige an Autorität, das er sich erworben
hatte, verspielt hätte. Es ist Heinz Galinski zu verdanken, dass es
nicht dazu kam. Er vertrat von Anfang an den Standpunkt, man müsse
diesen Skandal sofort öffentlich machen und aufklären. Dass die
deutsche Presse relativ verhalten mit diesem Debakel umging, hatte
mit der Angst der Deutschen zu tun, eine allzu laute
Berichterstattung könne den Antisemitismus fördern.
Ein weiteres Beispiel der
neuen "Normalität"...
Artikel vom 19. Juli 2000
haGalil onLine
19-07-2000 |