Vor vier Wochen tauchte im ostthüringischen Gera ein Steckbrief auf. Die
rechtsextreme "Kameradschaft Gera" hatte es darin auf den
Jugendbildungsreferenten des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) abgesehen.
Zwei Wochen später war es der evangelische Jugendpfarrer, gegen den indirekt
zur Gewalt aufgerufen wurde. Vor drei Tagen verübten Neonazis einen Anschlag
auf ein islamisches Gebetshaus.
Drei Fälle aus jüngster Zeit aus einer Stadt. Und längst nicht alle.
Rechtsextremismus ist alltäglich. "Ich weiß, wie das ist, wenn man spät
nachts von einem Termin nach Hause fährt und von Autos mit Skinheads
begleitet wird", sagt Härtel. Die Erfahrungen des Gewerkschafters sind keine
Ausnahme.
Egal, ob im thüringischen Gera oder im
schleswig-holsteinischen Elmshorn, wo ebenfalls Gewerkschafter von Neonazis
bedroht wurden: Der Rechtsextremismus in Deutschland sei "quicklebendig",
mahnt der Berliner Politikwissenschaftler Richard Stöss. Auf einer Tagung
der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung in Weimar warnte er am
Mittwoch vor einem Irrglauben: Schlechte Ergebnisse rechtsextremer Parteien
bei Landtags- oder Bundestagswahlen bedeuteten nicht, dass die Gefahr durch
Rechtsextremismus gebannt sei.
Nach einer Umfrage aus dem Herbst 1998
verfügten 14 Prozent aller erwachsenen Deutschen über ein "rechtsextremes
Einstellungspotential", 13 Prozent im Westen, 17 Prozent im Osten. Obwohl
"Wessis" natürlich nicht "immun" seien gegen Rechtsextremismus, gebe es
deutliche Unterschiede zwischen den alten und neuen Ländern. Im Westen sei
der Rechtsextremismus durch Parteien wie die DVU oder die "Republikaner"
geprägt, im Osten gehe es weniger parteiorganisiert, dafür militanter und
gewalttätiger zu: Nur 18 Prozent der Deutschen leben im Osten, dennoch
wurden dort 1998 die Hälfte aller rechtsextremistischen Gewalttaten verübt.
Und 43 Prozent aller militanten Rechten leben im Osten.
Warum die Verteilung so ist, weiß auch Stöss nicht. Es gebe nur vage
Vermutungen. Auffällig sei auch, dass es in Westdeutschland kaum Stadtteile
oder Plätze gebe, die von Rechten als "national befreite Zonen" betrachtet
würden. Das sei im Osten anders: Dort gebe es etliche dieser Orte und
drumherum Milieus, die Skinheads in dem Glauben bestärkten, sie seien
Vollstrecker des Volkswillens.
Neonazis handelten dort in einem "positiv
gestimmten Umfeld", so Stöss. Nach seinen Erkenntnissen hat es Mitte der
90er Jahre in Deutschland eine gravierende Veränderung gegeben: Bis 1994
hätten Rechtsextremisten in Westdeutschland bessere Wahlergebnisse erzielt,
seit 1998 in Ostdeutschland. "Es hat eine Verlagerung von West nach Ost
gegeben", sagt Stöss. Bis 1995, vermutet er, seien die Ostdeutschen die
größeren Optimisten gewesen, dann sei da etwas "weggebrochen". 40 Prozent
der Ostdeutschen seien mittlerweile systemverdrossen, ermittelte Stöss: "Das
ist ein Hammer."
Heinz-Gerd Jaschke von der Fachhochschule für Rechtspflege und Verwaltung in
Berlin warnte auf der Weimarer Tagung vor der Annahme, mit einem Verbot von
rechtsextremen Parteien oder Gruppen das Problem in den Griff bekommen zu
können. "Verbotspolitik ist symbolisch und kann keine Probleme lösen." Die
Erfahrungen nach den Anschlägen von Hoyerswerda, als anschließend elf
Gruppen verboten worden seien, belegten das.
27-07-2000 / Bernhard Honnigfort (Weimar)
/ FR
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