Nicht zufällig zum Sommerbeginn mit
Dauer fast genau bis zum Sommerende wurde im Historischen Museum der
Stadt Wien eine Fotoausstellung eröffnet, die Besuchern einen Rückblick
von 90 bis 140 Jahren in das Wien der Jahrhundertwende 1900, in das Wien
der Bau- und Gründerzeit und in das Wien des Fin de Sieclé ermöglicht.
Die Ausstellung folgt historischen
"City-Guides", den damals so genannten Reise(hand)büchern, und bietet
einen fotographisch-historischen 10-tägigen Stadtrundgang, dessen
zeitgenössische Wiederholung sich geradezu aufdrängt. Letztere bleibt
allerdings dem einzelnen Besucher und seinem Engagement sowie Zeit- und
Geldbudget überlassen – das Museum bleibt im historischen Blickfang. Dem
Stadtrundgang sind zwei Themenkreise angefügt: die Weltausstellung 1873
und die Ablichtungen der Fotographen und von Fotoateliers in Wien.
Museumskuratorin Susanne Winkler
stellte sich der Herausforderung, aus dem 250.000 Fotographien
umfassenden Sammlungsbestand des Historischen Museums rund 300
historische fotographische Arbeiten (Daguerreotypien, Stereoskopien und
Glasplatten) für eine Ausstellung unter dem Titel "Blickfänge einer
Reise nach Wien" zusammenzustellen. Vor allem spiegelt diese Ausstellung
die Stadtentwicklung und Baugeschichte der großen Bau- und Gründerzeit
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – zum Erschrecken des
zeitgenössischen Betrachters zeigen sich viele der Plätze und Bauwerke
trotz der Zerstörungskraft zweier Weltkriege, mehrerer
Herrschaftswechsel und den rund 100 Jahren Geschichte bis heute
unverändert. Ganz Wien ist ein Museum, könnte die berechtigte
Schlussfolgerung lauten.
Die mangelnde Veränderung spiegelt
sich auch darin wieder, dass die meisten der in der Ausstellung
gezeigten Plätze und Bauwerke bis in die Gegenwart zu den
Hauptattraktionen des touristischen Wien zählen. Die
Habsburgisch-herrschaftliche, aristokratische Ära scheint bis in die
Gegenwart fortzuwirken. Sie bestimmte nicht nur das historische
Stadtbild, die Stadtentwicklung, und deren fotographische Verewigung vor
hundert Jahren, sondern sie bestimmt auch die zeitgenössische Motivwahl
von Touristen aus aller Welt – und sie bestimmt die aktuelle Ausstellung
im Historischen Museum der Stadt Wien, die sich dem aristokratischen und
dem großbürgerlichem Wien mit geradezu penetranter Aufmerksamkeit
widmet, während etwa die Bauwerke und Plätze der Arbeiter und der
kleinbürgerlichen Gesellschaft so gut wie völlig ausgespart bleiben. Auf
eine entsprechende Ausstellung abseits der Aristokratie und der
absolutistischen Habsburgerherrschaft aus dem reichlichen Fundus des
Museums kann man gespannt sein.
Letztere Kritik gilt weniger der
konkreten Ausstellung, noch der verantwortlichen Kuratorin, sondern soll
vielmehr als Balance für die kaisergelb-lastige touristische Vermarktung
des Wien um 2000 dienen, die etwa Sisi zum Fetisch auf Kaffeetassen und
Marmeladegläsern stilisiert, und die dadurch Mitschuld trägt an der
mangelnden Veränderungs- und Umgestaltungsfreude der heutigen
demokratischen Stadtregierungen.
Zurück zur Ausstellung selbst:
wer diese Ausstellung versäumt, ist selber schuld. Punkt!
Nachsatz für Wien-Liebhaber:
der Katalog ist ein Muss!
Nachsatz für Foto-Experten:
technische Qualität und Motivwahl der historischen Aufnahmen sind ein
Genuss!
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 9.00 bis 18.00 Uhr
Eintrittspreis:
regulär ATS 50,-, Ermäßigungen für Senioren, Jugendliche, Behinderte,
Familien.
Tipp für Schnorrer und Preisbewusste:
Eintritt frei Freitag vormittags
(außer Feiertags).
anton legerer jr.
haGalil onLine 26-06-2000 |