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In Berlin eskaliert die Identitätskrise der Juden in Deutschland:
Eine Gemeinde im Machtkampf

Von Constanze v. Bullion


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Es war wie ein Streitgespräch ohne Worte. Nur Gesten verrieten, was sich wirklich im Festsaal der Neuen Synagoge abspielte. Da blieben hingestreckte Hände ungedrückt und Grüße unerwidert. 

Einen Stuhl in der ersten Reihe hielt man vergeblich frei, bis endlich der Bundeskanzler sprach. Und als die Berliner Feierstunde zum 8. Mai, dem 55. Jahrestag des Kriegsendes, vorüber war, als die Kamerateams aus aller Welt abzogen, da hatten wichtige Gäste einfach gefehlt: die Spitzen des Zentralrats der Juden zum Beispiel oder der liberale Rabbiner. Auch Gastgeber Andreas Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, tauchte schnell wieder von der Bildfläche ab. Als wollte er nicht gefragt werden wie es um sein Haus steht, das nun so oft im Rampenlicht steht und so schlecht damit umgehen kann.

Reichlich überfordert wirken die Vertreter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in letzter Zeit. Seit in der Hauptstadt täglich über deutsche Geschichte, Holocaust-Gedenken und Rechtsradikale diskutiert wird, bricht ein nie gekanntes Medieninteresse über die Juden der Stadt herein. Alle Welt will zuschauen, wie im einstigen Hauptquartier der Nazis neues jüdisches Leben aufblüht. Doch bei den Kindern der Überlebenden löst die Aufmerksamkeit wenig Begeisterung aus.

Streit um den Rabbi

Denn was da ans Licht gezerrt wird, ist ein wenig harmonischer Mikrokosmos. Unversöhnlich kämpfen in der Berliner Gemeinde Liberale gegen Orthodoxe, wenig Progressive gegen mäßig Moderne, jeder zankt sich da mit jedem. Die Hintergrundmusik zum großen Krach liefert der Zentralrat der Juden in Deutschland, der mit der World Union of Progressive Judaism, dem Weltverband liberaler Juden, um Einfluss in Deutschland konkurriert. Nach monatelangem Hickhack hat Berlins Gemeindevorsitzender Andreas Nachama kürzlich seinen Rückzug angekündigt. „Es ist extrem schwer“ erklärte der Historiker entnervt, „hier etwas Neues aufzubauen.“

Als Kapitulation haben viele das aufgefasst. Dabei gehört der Gemeindechef nicht zu den Opfern, sondern eher zu den Verantwortlichen der ganzen Affäre. Unter seiner Regie isolierte sich die größte jüdische Gemeinde der Republik zusehends. Berlin ist nicht mehr im Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland vertreten, weil man sich bei der letzten Wahl auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen konnte. Auch die Mitgliedschaft im Weltverband Progressiver Juden lässt Nachama, selbst ein Liberaler, ruhen. Er war es schließlich auch, der den englischen Rabbiner Walter Rothschild feuern ließ, weil er die Altvorderen der Gemeinde schockiert haben soll.

Dabei mag kaum noch einer glauben, dass der liberale Rabbiner gehen soll, weil er in der Synagoge mal ein Kondom aus dem Hut zog und auch sonst nicht zimperlich mit sexuellen Anspielungen war. Vielmehr hatte der Theologe die Kraftprobe gewagt. „Wer bestimmt, was zeitgemäßes liberales Judentum ist, wenn nicht der liberale Rabbiner?“, fragte Rothschild und mahnte Reformen der Liturgie, Aufwertung der Frauen und den Abschied von der Wagenburgmentalität deutscher Juden an. Solche Töne – zumal eines Zugezogenen – waren zu viel für die konservativen Autoritäten. Kantor Estrongo Nachama, der jetzt verstorbene Vater des Gemeindechefs, soll die Absetzung des Rabbis betrieben haben.

Walter Rothschild mag den Fehler gemacht haben, nicht rechtzeitig eine starke Hausmacht um sich geschart zu haben – und nicht sehr zartfühlend mit Tabus umgegangen zu sein. Dabei verprellte er auch manche seiner Mitstreiter. Sogar über die „gute alte Zeit in Buchenwald“ habe der Brite gescherzt, erzählt einer der Gemeindesenioren. Letztlich aber habe Rothschild nur beim Namen genannt, was fast jeder hier hinter vorgehaltener Hand sagt: dass in einer Gemeinde, wo der Vater die Synagoge beherrscht und der Sohn Repräsentanz, Kultus- und Finanzausschuss leitet, undemokratische Verhältnisse herrschen.

Inzwischen muckt die Basis auf. Drei der fünf nicht-orthodoxen Berliner Synagogen wollen ihren „Rebben“ behalten. Seitenweise wütende Leserbriefe an die Gemeindezeitung haben sie geschrieben. Die Briefe aber durften nicht erscheinen, bis die Repräsentanz hinter fest verschlossenen Türen Rothschilds Kündigung abgesegnet hatte. „Eine Diskussion in der Gemeinde ist unerwünscht“, resümiert Synagogenvorstand Jakob Schenavsky die Zensur. Der junge Mann, der für die progressiven Gläubigen spricht, fordert „mehr Mitsprache der Mitglieder“ und einen Abschied von „alten, zentralistischen Strukturen“.

Andere werden noch deutlicher. „Hier geht es zu wie in der Diktatur“, schimpft Julius Schoeps, Gemeinderepräsentant und Leiter des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien. „Undurchsichtiges Finanzgebaren“, Ärger in den Schulen und ein „zunehmend folkloristisches Kulturprogramm“ attestiert er den Verantwortlichen. „Das sind eben Immobilienhändler, die dem Intellektuellen eher abhold sind“, sagt Schoeps, der hinter dem Streit einen viel größeren Konflikt sieht.

„Die sind hier dabei, die Einheitsgemeinde zu zerstören“, sagt Schoeps. Wo unangepasste Figuren wie der Rabbiner weggemobbt würden, wo junge Künstler und nicht-deutsche Akademiker außen vor blieben, wendeten sich progressive Köpfe zunehmend vom Modell der Einheitsgemeinde ab. Unter ihrem Dach müssen sich in Deutschland – anders als in Holland oder England – alle jüdischen Glaubensrichtungen arrangieren und staatliche Gelder untereinander aufteilen. In Großstädten wie Berlin oder München aber wächst die Zahl derer, die sich der traditionellen orthodoxen Dominanz in den Gremien nicht mehr beugen.

Kräftigen Rückenwind bekommen die Liberalen nun aus den USA. Eine „eklatante und unerträgliche Diskriminierung“ liberaler Juden in deutschen Gemeinden prangerte Richard Block, der Präsident der World Union of Progressive Judaism an. „Die meisten deutschen progressiven Gemeinden erhalten keinerlei finanzielle Unterstützung aus Kultussteuern oder staatlichen Zuwendungen, obwohl viele ihrer Mitglieder die Steuern bezahlen“, schrieb er im April an die Berliner Gemeinde. Anders als in vielen Kleinstädten gibt es in der Hauptstadt zwar Gottesdienste für die Progressiven . Insgesamt aber sei das liberale Gemeindeleben noch hoffnungslos verstaubt, finden die jüdischen Organisationen der angelsächsischen Länder. Sie wollen ihren Glaubensbrüdern nun unter die Arme greifen – gerade in der deutschen Hauptstadt.

Ein großer Kreis soll sich in Berlin schließen. Die Stadt, in der bis 1933 die Blüte des aufgeklärten Judentums zu Hause war, wird nun den Konservativen und Orthodoxen streitig gemacht, die seit dem Krieg die Gemeinden prägen. „Springtime for Liberal Judaism – Frühling für das Liberale Judentum“ und eine „Wiedererweckung des deutsch-jüdischen Religionslebens“ kündigte der aus Augsburg stammende US-Rabbiner Walter Jacob im jüdischen Aufbau an. „Konsequente Schritte in eine neue Phase der jüdischen Existenz in Deutschland“ versprach auch Walter Homolka. Der Rabbiner, den manche wegen separatistischer Tendenzen „Luther des Judentums“ nennen, leitet die Kulturstiftung der Deutschen Bank und geht daran, den Liberalen eine eigene Plattform zu zimmern.

Unterkühlte Briefe

Zehn Millionen Mark sammeln Homolka und Rabbiner Jacob derzeit zusammen, um in Potsdam ein Rabbinerseminar zu gründen. Das Abraham Geiger Kolleg soll ab Oktober liberale Geistliche für Deutschland und Osteuropa ausbilden. „Da kommen Theologen aus Großbritannien und den USA, das Feinste vom Feinsten“, schwärmt Julius Schoeps, der das Kolleg an sein Mendelssohn-Zentrum angebunden hat – und genau weiß, wie argwöhnisch er dabei beäugt wird. Die Berliner Gemeinde klagt, nicht konsultiert worden zu sein. Und auch der orthodox geprägte Zentralrat der Juden in Deutschland, der ein deutsches Rabbinerseminar bislang für überflüssig hielt, fürchtet um sein Monopol.

„Pluralismus ist für uns kein Problem, so lange hier keine Neben-Institution geschaffen wird“, warnt unmissverständlich Michel Friedman, der Vize-Präsident des Zentralrats. Er bemüht das Bild vom großen Haus der Einheitsgemeinde, in dem jeder Gast sein Zimmer finden kann. Die World Union aber, so befürchten nun viele, strebt – nach über 50 Jahren Dornröschenschlaf der liberalen deutschen Juden – den Bau eines eigenen Hauses an. Unterkühlte Briefe gingen zwischen Zentralrat, World Union und Berliner Gemeinde hin und her, Einladungen wurden ausgeschlagen, jetzt herrscht totale Funkstille.

„Ein Ignatz Bubis hätte den Konflikt kreativer angegangen“, meint Zeit-Herausgeber Josef Joffe, der im Kuratorium des Potsdamer Abraham Geiger Kollegs sitzt und eine Verschärfung des Streits nicht ausschließen mag. „Eine Spaltung der deutschen Einheitsgemeinde ist sehr gut möglich“, sagt er, „weil der Zentralrat naturgemäß die Konflikte fürchtet, die das Mit- und Nebeneinander zweier so verschiedener Traditionen unter dem selben Dach mit sich bringt.“

In der Berliner Gemeinde lösen die Konflikte Angst vor der großem Explosion aus – selbst bei denen, die sich für eine vorsichtige Öffnung stark machen. Synagogensprecher Jakob Schenavsky etwa, der zu den Jungen Wilden in der Gemeinde gehört, kann sich einen Abschied von der Einheitsgemeinde noch nicht vorstellen. „Ich stehe zu diesem Land“, sagt er, „aber ohne starke jüdische Repräsentanz, die mit einer Stimme spricht, würde ich mich dem deutschen Staat irgendwie ausgeliefert fühlen.“

Ein Leserbrief:
Kein Platz für Liberale

Michel Friedman, der Vize-Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sieht die jüdische Einheitsgemeinde als ein großes Haus, in dem jeder Gast sein Zimmer finden kann. Leider entspricht das nicht der Realität. Mit Ausnahme Berlins und neuerdings auch Frankfurts hat bisher keine Einheitsgemeinde mit einer orthodoxen Mehrheit zugelassen, dass in ihren Räumen liberale Gottesdienste stattfinden und Geld zur Verfügung gestellt wird für liberale Rabbiner und für liberalen Unterricht.

Deshalb sind in den vergangenen Jahren unabhängige liberale jüdische Gemeinden entstanden, die sich über Deutschland hinaus zu der von mir geleiteten Union progressiver Juden verbanden. Unsere Aktivitäten konzentrieren sich darauf, Jüdinnen und Juden ein religiöses Leben in der liberalen Tradition zu ermöglichen. Andreas Nachama, der Präsident der Berliner Jüdischen Gemeinde, hat Recht: Es muss gelingen, einen Modus Vivendi zu finden, der es dem Zentralrat ermöglicht, als Stimme aller Juden im politischen Bereich aufzutreten, und andererseits den progressiven Gemeinden ihre Form des Judentums erlaubt.

Dr. Jan Mühlstein, München

haGalil onLine 19-06-2000

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