In der Jüdischen
Gemeinde hat der Kampf um die Nachfolge des Vorsitzenden Andreas Nachama
schon begonnen. Doch einen Favoriten für den harten "Managerjob" gibt es
noch nicht.
Nein, es war doch
kein "Bluff", wie anfangs völlig überraschte Gemeindemitglieder noch
vermutet hatten. Er will auch nicht bloß noch mal gebeten werden, wie
andere öffentlich oder hinter vorgehaltener Hand spekulierten - Andreas
Nachama hat sich entschieden: Der 48-jährige Historiker will nur noch
bis zur nächsten Wahl am 18. März 2001 Vorsitzender der Jüdischen
Gemeinde zu Berlin sein.
Das sei "kein
taktischer Winkelzug", wie sein Stellvertreter Moishe Waks betont. Nach
knapp drei Jahren im Amt will Nachama zurück auf seinen früheren Posten
als Direktor der in arge Finanznot geratenen Gedenkstätte "Topographie
des Terrors". Diese bezeichnet er als sein "Lebenswerk", und das soll
nicht vor die Hunde gehen. Aber auch die ineffiziente Arbeit in den
Gemeindegremien hat ihn entnervt: "Das ist nicht mein Leben auf Dauer",
sagte er der taz.
Dabei kann sich
Nachamas Bilanz sehen lassen. Selbst der von ihm gekündigte liberale
Rabbiner Walter Rothschild betont, Nachama sei "sehr erfolgreich"
gewesen: Als erster Vorsitzender, der nicht mehr den Holocaust erlebt
hat und deshalb als Hoffnungsträger der Jungen galt, sei es ihm
gelungen, die vorher heillos zerstrittene größte Gemeinde Deutschlands
wieder zu beruhigen. Bei einem Jahresetat von 43 Millionen Mark wurde
das Defizit von 3,5 auf nur noch 0,5 Millionen Mark reduziert. Nachama
schloss Sicherheitsverträge mit dem Senat ab. Erstmals seit 1945 gab es
unter ihm wieder Abiturienten an der Jüdischen Oberschule (der einzigen
in Deutschland), eine Sozialstation für alte Gemeindemitglieder wurde
eingerichtet, ein regelmäßiger egalitärer Gottesdienst in der
Oranienburger Straße etabliert.
Zuwanderer aus
Russland verändern die Gemeinde
Ein Problem aber
konnte er nicht lösen, weil es dazu eine Generation Zeit bräuchte: die
Integration der jüdischen Zuwanderer vor allem aus der GUS. Durch sie
verdoppelte sich seit Anfang der 90er-Jahre die Zahl der
Gemeindemitglieder auf etwa 12.000. Sie stellen mittlerweile etwa zwei
Drittel der Mitglieder. Da viele von ihnen in den sozialistischen
Staaten des Ostens kaum religiös erzogen wurden, brechen seitdem
"festzementierte Gemeindestrukturen und religiöse Orientierungen" auf,
wie der Soziologe Michal Bodemann analysiert. Hinzu kommt, dass die
meisten "Russen" eher schlecht als recht Deutsch sprechen, viele
arbeitslos sind und sich nur wenige von den Alteingesessenen voll
akzeptiert fühlen: Die "Russen" in die Gemeinde einzubinden, wird eine
der Hauptaufgabe von Nachamas Nachfolger(in) sein.
Und: Wer die
"Russen" gewinnt, hat gute Chancen, Gemeindevorsitzender zu werden. Das
Problem ist, dass sie kaum in die alten Kategorien der religiösen
Strömungen passen: Einerseits war das osteuropäische Judentum bis zur
Shoah eher traditionell geprägt. Andererseits stehen die meisten heute
eher liberalen Traditionen nahe, da die Zuwanderer jahrzehntelang von
einer atheistischen Staatsdoktrin geprägt wurden.
Die Liberalen haben
sich schon mal aus der Deckung gewagt: Der Rechtsanwalt Albert Mayer
(52) sagt, er könne sich vielleicht eine Kandidatur vorstellen. Doch er
will nur als eine Art Ehrenvorsitzender antreten, da er seine bisherige
Arbeit nicht aufgeben will. Ihn unterstützt der Leiter des
Moses-Mendelssohn-Zentrum für jüdische Studien in Potsdam, Julius
Schoeps, der einen Vorsitzenden deutscher Herkunft präferiert.
Nachama hält solche
Kategorien für veraltet - sie stammten aus dem vorigen Jahrhundert und
spielten doch heute keine Rolle mehr. Schoeps Lieblingsgegner Waks hält
dieses Kriterium gar für "fatal": Dadurch würde die Mehrheit der
Gemeindemitglieder ausgegrenzt. Er selbst geifere nicht nach dem
Vorsitz, erklärt der 47-jährige Leiter eines
Hausverwaltungs-Unternehmens. Aber er würde sich einer solchen
"Verantwortung" auch nicht entziehen, wie er betont. Außerdem verstehe
er sich selbst nicht als "deutscher Jude", sondern als "Jude in
Deutschland".
Das würde auch auf
einen weiteren möglichen Kandidaten zutreffen, der immer wieder genannt
wird: den Sicherheitsdezernenten der Gemeinde, geborenen Israeli und
Immobilienunternehmer Meir Piotrkowski (57). Er wird von konservativer
Seite zur Kandidatur gedrängt, hat aber offenbar eher keine Lust. Auch
Rafael Korenzecher (52), ebenso in der Immobilienbranche, wird von
Konservativen ins Spiel gebracht - für Liberale wäre er ein rotes Tuch.
Nachama selbst will
in den kommenden Monaten noch andere Persönlichkeiten ansprechen, ob sie
sich nicht die Aufgabe zutrauen. Die Lösung Michel Friedman aus
Frankfurt/Main, der schon vor drei Jahren im Gespräch war und jüngst
auch als möglicher Nachfolger des verstorbenen Zentralratspräsidenten
Ignatz Bubis gehandelt worden war, ist nicht mehr möglich. Seit kurzem
dürfen nur noch Kandidaten, die mindestens seit einem Jahr
Gemeindemitglieder sind, antreten - das ist zu knapp für Friedman.
Das Rennen ist also
noch völlig offen. Auch wegen des Wahlverfahrens: Denn der Gemeindechef
wird von den Mitgliedern des Vorstands gewählt, die wiederum in der
Repräsentantenversammlung, dem Gemeindeparlament, bestimmt werden. Darin
liegen viele Unwägbarkeiten. Die Truppen stehen da noch lange nicht, und
so wird jetzt schon darüber diskutiert, wieder zur 1997 abgeschafften
Listenwahl zurückzukehren, um Mehrheiten für einen Kandidaten zu
ermöglichen.
Die Wahl des
Nachfolgers ist noch völlig offen
Klar ist, dass das
liberale Judentum Berlins, das seit der Weimarer Republik eine große
Tradition in der Hauptstadt hat, Schwierigkeiten bekommen könnte. Es ist
kein Zufall, dass der liberale Rabbi Rothschild ohne nennenswerten
Widerstand in der Repräsentantenversammlung gekündigt werden konnte.
Auch die Entscheidung, die Mitgliedschaft in einem weltweiten
Zusammenschluss liberaler Gemeinden ruhen zu lassen, ist ein Symbol für
diese Tendenz. Das werde ein orthodoxe Gemeinde, unkt Schoeps bereits.
Sein Mitstreiter
Mayer meint sogar, dass diese Spannungen zwischen Liberalen und
Konservativen mittelfristig zu einer Spaltung der Gemeinde führen
würden. Rothschild kolportiert, einige erwägten bereits die Gründung
einer liberalen Zweiggemeinde, die das bisherige Prinzip der
Einheitsgemeinde sprengen würde. Waks hält diese Ängste für überzogen:
Das habe man schon vor der letzten Wahl befürchtet. Und den Satz
Friedmans, die Gemeinde sei in einer strukturellen Krise, kommentiert
ein Repräsentant nur trocken: "Vielleicht hat Friedman die Krise."
Dennoch bedarf es
keiner prophetischen Gabe, um vorauszusehen, dass der Job für das neue
Gemeindeoberhaupt eher belastender werden wird. Nachama hat immerhin den
"Managerjob" (Rothschild) der Leitung einer Gemeinde mit 400
Mitarbeitern mit einiger Bravour gemeistert. Er hat den Laden
zusammengehalten und der Gemeinde in der Öffentlichkeit immer wieder
respektables Gewicht verliehen. "Es ist relativ anstrengend, in der
ersten Reihe zu sitzen", sagt Nachama heute - und ein Leben in
Panzerlimousinen ist auch nicht immer verlockend. Wer sehnt sich danach?
Gut möglich, dass Kritiker Nachamas ihm schon bald eine Träne
nachweinen.
taz Berlin Nr. 6135 Mai 2000 / Bericht PHILIPP GESSLER / © Contrapress
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