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Von Mm207 am 20. Mai, 2000 - 18:40ZUM BEITRAG...

Da die Frage von Schuld und Verantwortung - eine der schwierigsten überhaupt - immer wieder auftaucht, möchte ich alle Mitlesenden und -diskutierenden gerne profitieren lassen von den außergewöhnlich tiefen und klaren Gedanken eines weisen Menschen.
Der folgende Aufsatz des Arztes und Bioethikers Professor Dr. Erich Loewy, liegt einem Vortrag zugrunde, den dieser vor kurzem, am 8. Mai, anlässlich eines Symposions zum Thema "Geschichte der NS-Euthanasie in Wien" hielt, das im Psychiatr. Krhs. Baumgartner Höhe stattfand. Dieses Krankenhaus hatte in der NS-Zeit einen anderen Namen und, vor allem, einen anderen Zweck: es war die Kindermordanstalt "Klinik am Spiegelgrund".
Professor Loewy, 1927 in Wien geboren, musste zusammen mit seinem Vater Ende 1938 in die USA emigrieren. Er lebt in Kalifornien.

Grüße an alle
Monika

P.S. Da der Text relativ lang ist, teile ich ihn in zwei Teile auf.

Täter, Mitläufer, Apologeten:
Wer ist an dem Bösen schuld?
Können wir es in Zukunft verhindern?

Die sogenannte Kindereuthanasie am Spiegelgrund die nahtlos zu der T-4 Aktion und später zu dem Holocaust geführt hat, zwingt uns, nicht nur das Geschehene historisch aufzuarbeiten, sondern uns mit der Frage der Schuld und der Verantwortung auseinander zu setzen.

In diesem Vortrag werde ich:

1) unterscheiden, was es heißt, schuldig zu sein oder für etwas Verantwortung zu tragen;
2) verschiedene Abstufungen von Schuld und Verantwortung herausarbeiten (z.B. zwischen "etwas nicht wissen" und "etwas schuldhaft nicht wissen")
3) zwischen Tätern, Mitläufern, Zuschauern und Helfern unterscheiden;
4) die Beweggründe dieser verschiedenen Gruppen vergleichen; und
5) über die heutige politische Situation, ihre Gefahren und mögliche Verhinderungsmaßnahmen sprechen.
Die heutige politische Situation in Österreich macht so eine Untersuchung besonders wichtig und prägnant.


Das Thema, dem dieses Symposium gewidmet ist, ist das Thema der sogenannten “Kindereuthanasie”. Euthanasie ist ein geschickt gewähltes Wort, ein Hüllwort hinter dem sich das tatsächliche Verbrechen zu verstecken sucht. Unter Euthanasie versteht man fast überall etwas ganz anderes, als man in Nazideutschland darunter verstanden hat. Euthanasie – wie immer man auch über dieses Thema denken will – bedeutet Töten eines Anderen ausschließlich in dessen Interesse und gewöhnlich auf dessen Verlangen. Was hier geschehen ist, war nicht Euthanasie – es war schlicht und einfach Mord, Mord an hilflosen und schwachen Menschen im Interesse einer Ideologie, im Interesse des Staats, im Interesse einer perversen sogenannten “Wissenschaft” -- aber ganz und gar nicht im Interesse der Toten. Das Wort Euthanasie, wie es von den Nazis verwendet worden ist, ist ein Tarnwort, ein Beispiel von dem, was Klemperer unter Lingua Tertii Imperii so gut beschrieben hat.

Dieser Kindermord war ja bekanntlich nur ein und auch nicht der erste Schritt in der Tragödie, die schließlich mit dem Holocaust ihren Gipfel erreichte. So etwas kann nur in einer Gesellschaft vorkommen, die es zuläßt. Nur einige Fanatiker, einige böse Menschen können so etwas nicht durchführen, ohne die Masse, die es schweigend oder halb zustimmend zuläßt. Der bürokratische und technische Aufwand, um so etwas machen zu können, ist viel zu groß. Nicht nur die, die töten oder das Töten befehlen, sind hier schuldig – um so etwas durchzuführen müssen viele mitarbeiten, viele, die Räder schmieren.

Die Vergangenheit aufzudecken, Details ausfindig zu machen, Vorgänge zu beschreiben, u.s.w. ist die Aufgabe von Historikern. Der Versuch, was geschah zu erklären und es zu verstehen (nicht zu entschuldigen, zu verstehen), ist die nächste, sich auf historische Tatsachen stützende Aufgabe. Es ist die Aufgabe von Historikern, Soziologen, Psychologen, Philosophen und Ethikern – es ist eine Arbeit die wir miteinander schaffen müssen. Und sich dann weitgehend damit auseinanderzusetzen ist, falls man so etwas in der Zukunft verhindern will, unentbehrlich. Meines Erachtens ist eine unserer Hauptaufgaben hier bei diesem Symposium “Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien” nicht nur das Geschehene zu beschreiben sondern zu versuchen, daraus Schlüsse zu ziehen, um das Wiedervorkommen dieser, oder einer ähnlichen Tragödie zu verhindern. Denn mir scheint, dass wir die ersten Schritte in diese Richtung bereits getan haben.

Die Gefahr von Veranstaltungen dieser Art, von Gedenkstätten oder Denkmälern ist, dass sie leicht zu einer Art “Sich die Hände reinwaschen” werden. Wir haben uns erinnert, wir haben schöne Worte gesprochen und damit haben wir unsere Pflicht getan. Wir fühlen uns tugendhaft, überzeugt davon, dass wir eben gute und die Täter böse Menschen sind. Ich denke, dass dieses Erinnern, dieses Sprechen von Worten sehr wichtig sein kann – aber nur falls es uns dazu bringt, etwas gegen das wiederholte Aufflackern solcher Gräuel in allen Weltteilen und besonders zu Hause zu unternehmen. Sonst wird es leicht zu einem "Sich-die-Hände-reinwaschen" und zu einer Sentimentalität, die nichts bringt – oder, noch ärger, die einen dazu bringt zu glauben, dass man jetzt doch schon seine Pflicht getan hat. Und Sentimentalität ist ja oft die Kehrseite der Brutalität.

Gleichfalls – über Schuld oder über Verantwortung zu sprechen darf nicht dazu führen, dass wir die Verantwortung abwälzen, die wir alle tragen. Falls wir wirklich etwas gegen Gräuel wie die, die hier geschehen sind, unternehmen wollen, so ist es wichtig, daß wir uns nicht mit der Frage begnügen, wer schuld war, sondern, dass wir uns auch unserer eigenen Verantwortung klar werden. Es ist wichtig, den Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung auszuarbeiten und daraus Konsequenzen zu ziehen.

Um ethisch schuldig zu sein, müssen gewisse Kriterien erfüllt werden. Leute, die wir schuldig nennen, müssen:
1) was sie tun bewußt tun;
2) wissen, dass, was sie tun, verwerflich oder schlecht ist und
3) die Möglichkeit haben, es anders zu tun.

Falls meine Autobremse, die ich gut instandgehalten habe, trotzdem versagt und ich daher in einen anderen Wagen fahre, oder sogar jemanden töte, so bin ich zwar verantwortlich, aber nicht (außer im engsten juristischen Sinn) “schuldig”. Ich wußte zwar, daß man nicht das Hab und Gut eines anderen beschädigen darf, hatte aber keine Wahl. Wenn ich etwas unwissend tue – mir nicht klar ist, dass Mord ein Verbrechen ist – so werde ich nicht für schuldig, sondern für geisteskrank erklärt werden.

Schuld kann größer oder kleiner sein. Wenn man unter schwerem Zwang steht, so tut man zwar das, was man tut, wissend, aber man hat allenfalls weniger Wahlmöglichkeiten – etwas anderes tun zu können, wird erschwert. Wenn man allerdings etwas anderes hätte tun können, so hat man die Wahl – mit einer Pistole konfrontiert könnte man sich zwar weigern mitzumachen, aber wenn man es unter solchem Druck tut, so ist es vollkommen verständlich. Allerdings wird diese “Pistole” in der Nazizeit überschätzt: die Wahl war öfters nicht zwischen mittun oder sterben, sondern zwischen mittun oder seine Karriere nicht fördern. Bekannterweise hatten selbst SS-Leute in den KZ die Möglichkeit, nicht weiter mitzumachen, sondern sich versetzen zu lassen. Und in der Tat – die johlende Menge, die sich den Bauch vor Lachen hielt, während jüdische Ärzte und Rechtsanwälte auf Knien das Trottoir schrubben mussten, unterlag keinerlei Zwang.

Falls man etwas tut, von dem man die Folge nicht wirklich weiß, wäre die Schuld eine viel kleinere. Der Mann, der die Fahrpläne für Züge nach Auschwitz gemacht hat, ohne zu wissen, wo diese Züge hingehen sollten, wäre nicht in demselben Sinne schuldig wie der Kollege, der es sehr wohl wußte. Leider aber wußten es die meisten, die die Fahrpläne machten, genau, oder sie haben es absichtlich nicht wissen wollen.

Obwohl Unwissen als mildernder oder sogar entschuldigender Umstand gelten kann, so kann Unwissen an und für sich schuldig oder unschuldig sein. “Ich wußte es nicht, weil ich es nicht hätte wissen können” ist etwas ganz anderes als “ich hätte es mehr oder weniger leicht wissen können, wollte es aber nicht wissen – um nicht zu wissen habe ich mich abgewendet.” Es ist klar daß in dem “ich wollte es nicht wissen” bereits ein Wissen oder wenigsten ein Ahnen steckt. Falls ich etwas tatsächlich nicht hätte wissen können, so wäre ich nicht schuldig – ich habe nichts bewusst getan. Falls ich es aber nicht wissen wollte, so habe ich meinen Willen zwischen das Wissen können und das sehr wohl Wissen mit voller Absicht gestellt. Und dann bin ich allerdings schuldig – schuldig nicht nur für was geschehen ist, sondern auch schuldig weil ich absichtlich Wissen abgelehnt habe. Wissen ablehenen heißt einem Willen Ausdruck geben.

Es stellt sich die Frage: was ist das, was man gewußt, oder nicht gewußt hat? Jeder der in Nazideutschland gelebt hat, musste manche Dinge wissen, hat andere fast unvermeidlich gewusst und hat einige vielleicht tatsächlich nicht gewußt. Niemand hat “nichts” von Judenverfolgung gewußt – jedes Kind in Wien 1938 mußte unvermeidlich die Mißhandlung von Juden auf den Straßen sehen und viele haben sich auf den Straßen oder in den Schulen beteiligt. Die KZ waren allgemein bekannt – in der Tat: der Zweck der KZ war Terror. Die Drohung, in ein KZ zu kommen, wäre ohne von KZ zu wissen unmöglich gewesen. Der Terror war wohl bekannt – die Witze, die in dieser Zeit verbreitet waren, können einen über den Stand der Dinge aufklären: man kann nicht über etwas, von dem man nichts weiß Witze machen. Und Witze über die KZ und was in ihnen geschieht, waren weit verbreitet.

Verantwortung für etwas zu haben heißt, für etwas zu sorgen, für etwas zuständig zu sein. Es ist eine bestimmte Beziehung zu Anderen, zur Gesellschaft, zur Natur und zu sich selbst. Man kann das Wort verschieden verstehen. Kausalverantwortung bedeutet, daß man in die Kausalkette ohne oder mit Schuld verstrickt ist. Kausalverantwortung kann schuldig sein – etwa “ich habe es mit voller Absicht getan”, oder “es war, was geschehen ist, zwar nicht meine Absicht, aber ich konnte, was geschehen wird, voraussehen und habe es trotzdem getan”. Andererseits kann Kausalverantwortung unschuldig sein “ich konnte es nicht verhindern (oder voraussehen), aber es ist durch mein Tun oder Lassen geschehen – meine Bremsen haben versagt und ich bin in ein anderes Auto hineingefahren.”

Andererseits kann Verantwortung eine Rollenverantwortung sein – als Lehrer oder Arzt habe ich gewisse Verantwortungen. Im Fall Omofuma, z.B., war der Innenminister zwar vielleicht nicht daran schuld, daß dieser Mann geknebelt und erstickt wurde, aber als Innenminister ist er wie auch der Polizeichef dafür verantwortlich. Als Arzt hat man einem Patienten gegenüber eine Verantwortung die ein Laie nicht hat. Ein Ehegatte hat Verantwortungen, die jemand anderer nicht hat.

Und vor allem haben wir als Menschen menschliche Verantwortung -- als Mensch bin ich für meine Mitmenschen verantwortlich. Wie weit diese Verantwortung geht – ob ich nur verantwortlich bin, ihnen nicht zu schaden, sondern auch Verantwortung habe, ihnen zu helfen, würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen.

Diese verschiedenen Verantwortungen sind selten einzeln. Man hat in erster Linie immer eine menschliche Verantwortung – selbst wenn meine Verantwortung als Konzentrationslagerwärter mir befiehlt, mich inhuman zu benehmen, so ist das kein Grund, solch ein Benehmen zu entschuldigen. Ein Führerbefehl genügt nicht, um menschliche Verantwortung zunichte zu machen.


Schuld ist immer persönlich, Kollektivschuld ist absurd. Verantwortung kann, allerdings, eine kollektive sein. Da ich in einer gewissen Gesellschaft lebe, bin ich für das, was diese Gesellschaft tut oder lässt verantwortlich. Dies ist besonders in einer Demokratie der Fall, stimmt aber ebenfalls in einer Diktatur. In einer Diktatur habe ich zwar weniger zu sagen, aber ohne tatsächliche oder stillschweigende Kooperation könnte kein Staat weitermachen. Ein Krieg wider den Volkswillen ist ein verlorener Krieg.

Man kann für etwas keine Schuld haben (also nicht selbst in die Kausalkette verstrickt sein), aber trotzdem dadurch, dass etwas auch ohne sein Dazutun geschehen ist, verantwortlich sein. Da ich nicht in der Sklavenzeit gelebt habe, trage ich für die Sklaverei keinerlei Schuld. Da ich, allerdings, als weißes, männliches, in Amerika wohnendes Wesen täglich und ohne es zu wollen durch die Tatsache, daß ich ein männliches weißes Wesen bin, bevorzugt werde, habe ich die Pflicht, alles um die Benachteiligung, die Folge der Sklaverei ist, gut zu machen – wenn ich das nicht tue, so werde ich für die weitere Benachteiligung Schuld tragen.

2. Teil:

Als Miglied einer Gesellschaft, die Kinder, Behinderte und andere Schwache, als “lebensunwert” deklariertes Leben ermordet hat, trage ich eine gewisse Verantwortung. Wie ein Land heute ausschaut (ob es arm, reich, fortgeschritten oder zurückgeblieben ist) ist unabdingbar mit der Geschichte dieses Landes verbunden. Als Österreicher z.B., tragen Menschen, die nach der Nazizeit geboren wurden, oder während der Nazizeit Kinder waren keine Schuld – aber sie sind sowohl für mögliches Wiedergutmachen wie auch dafür, daß sich so etwas in dieser Gesellschaft nicht wiederholt verantwortlich. Es ist an der Zeit, uns endlich klar der Vergangenheit zu stellen: Österreich war kein Opfer des Nationalsozialismus – es war nicht nur mitschuldig, sondern zumindest nicht minder schuldig als Deutschland.

Wenn wir noch immer heute Leute behaupten hören, daß entweder sie, oder ihre Eltern und Großeltern “von nichts gewußt haben”, so muss man sich fragen, was dieses “nichts” eigentlich war. Obwohl man daran zweifeln kann, so ist es möglich, daß einige oder mehrere nichts von den Vernichtungslagern gewußt haben. Zu bezweifeln ist es, weil genug Menschen in dieses Tun verstrickt waren, Fotos gemacht und Briefe geschrieben haben, zu Weihnachten nach Hause kamen, sich betrunken haben, u.s.w. Wie dem auch sei: es ist möglich. Es ist unmöglich, es ist schlicht eine Lüge, daß Leute, die damals gelebt haben, gar nichts von der Brutalität, mit der ihre Mitmenschen behandelt wurden, mitgekriegt haben. Die Judenausweisungen, Judenverfolgungen, Judenverschleppungen und andere Gräuel waren viel zu sichtbar. Jeder, der in Wien zu der Zeit gewohnt hat, hat das mitgekriegt. Vom Jubeln am Heldenplatz, zu den Angriffen auf den Straßen, zu den immer ärgeren Beschränkungen des täglichen Lebens, zu der Kindervernichtung, Behindertenausrottung und schließlich zum Holocaust ging es schrittweise vor.

Als Zeitzeuge kann ich Ihnen versichern, dass es alle haben sehen können, ja haben sehen müssen, und dass es viele gut geheißen haben. Der Versuch, so etwas zu leugnen, scheitert an einer überwältigenden Masse von Dokumenten und Zeitzeugenberichten. Wir, die entkommen sind, sind durch Zufall und mit einem bitteren Geschmack im Mund davongekommen. Es gab, allerdings, anständige Menschen, die geholfen haben, wo sie konnten, und die man nicht vergessen darf. Aber es gab ihrer blutwenige.

Wer also waren die Täter, wer die Mitläufer, wer die Zuschauer und wer die, die aktiv geholfen haben? Unter Tätern will ich nicht nur die SA, SS, Gestapo, u.s.w. verstehen. Täter waren genauso die, die aufgehört haben einem “Guten Morgen” zu wünschen. Genau wie es mehr oder weniger Schuldige gibt, so gibt es auch Täter verschiedenen Grades. Waren auch die, die stehen geblieben sind, um zuzuschauen, wie jüdische Ärzte das Trottoir säubern mussten Täter? Waren es nur die, die gejohlt und geklatscht haben? Waren es auch die, die sich “nur” ergötzt haben? Täter sind auch die, die sich durch Arisierung bereichert haben. So wie scheinbar die Ahnen der Herren Haider und Prinzhorn, die “dadurch Juden doch so geholfen haben”!!

Leute wie Herr Haider, der von der Waffen-SS als "ehrbare Leute" spricht, der die Arbeitspolitik des 3. Reichs lobt, dessen Partei mit denselben hasserfüllten Vokabeln gegen Ausländer hetzt, wie Hitler einst gegen Juden, sind ebenfalls in der Tat Täter.

Mitläufer waren diejenigen, die entweder weggeschaut, aber nicht geholfen haben, oder diejenigen, die sich einfach weigerten “gegen den Strom zu schwimmen.” Apologeten waren diejenigen, die bereits zur Nazizeit alles minimieren oder verschönern wollten; Apologeten heute entschuldigen, minimieren, verschönern oder relativieren was geschehen ist und was heute geschieht. Sie tun es, weil sie dadurch “ihre Ruhe” haben, ihr Seidl Bier, oder ihren Kaffee mit Schlag trinken können; weil sie dadurch ihrer Karriere weiterhelfen; weil sie nicht möglicherweise mehr Steuern für Unterstützung von Armen zahlen müssen – der Entschuldigungen gibt es kein Ende!

Man muß aber auch über die anständigen Leute sprechen. Es gab zwar nicht viel, aber doch Opposition gegen die Nationalsozialisten – bekannterweise sind es diese Leute, die Herr Haider einst als Verräter bezeichnet hat. Und Opposition wurde auch von denen, die einen weiterhin gegrüßt haben, die weiterhin Mitbürger als Menschen behandelt haben, die getan haben was sie eben konnten. In Deutschland oder Österreich hätte ohne die aktive und passive Hilfe vieler solcher Menschen kein Jude überleben können; noch weniger hätten herauskommen können. Wir schulden solchen Menschen ewigen Dank. Sie sind die – wie Herr Haider sie so schön nennt – Verräter, auf die wir stolz sein können. Heute sind die, die in Österreich protestieren, ihre Erben.

Wenn wir über Täter, Mitläufer, Apologeten und anständige Leute sprechen, die den Opfern in irgend einer Weise geholfen haben, so müssen wir uns auch klar sein, dass diese Kategorien oft nicht wasserdicht trennbar waren. Es gab Täter oder Mitläufer, die manchmal auch den Opfern geholfen haben – es gab sogar solche in der SS. Diese Tatsache erschwert es, ein einheitliches Urteil geben zu können.

Die Gräuel der Nazis haben klein angefangen. Man hat den ersten Schritt nicht begrüßt, hat ihn sogar als ungerecht empfunden: aber er war ja nicht an und für sich so arg. Und der zweite war ja nur ein klein wenig ärger; und der dritte, der vierte, der fünfte – und dann irgendwann einmal kam Spiegelgrund und Auschwitz: aber dann war es zu spät.

Tragödien die schließlich zu den Greueln führen, mit denen wir uns heute konfrontieren, kommen immer in drei Schritten:

1. Du sollst nicht als einer von uns leben (soziale Ausgrenzung)

2. Du sollst nicht mit oder unter uns leben (Ghettoisierung)

3. Du sollst nicht leben (Ausrottung)

Es ist der erste Schritt, den man immer verhindern müsste – Mitmenschen, ob Juden, Christen, Mohammedaner, Ausländer oder Bürger sind gleichwertige Mitmenschen. Wer das nicht anerkennt, kann sich schließlich und endlich für ein neues Auschwitz schuldig machen. Es scheint mir, daß wir hier in Österreich wieder den ersten Schritt gegangen sind und gar nicht so ungern den zweiten tun würden.

Manche behaupten, daß wir nicht zu verstehen oder zu erklären versuchen sollten – indem wir das tun nähern wir uns den Tätern. Aber das stimmt nicht – oft hasst und verachtet man etwas noch mehr, wenn man es versteht.

Wie Menschen auf Gräuel (in der Vergangeheit oder heute) reagieren, ist aufschlussreich. Es sind drei Stufen:

1. Das stimmt doch gar nicht, oder es ist doch gar nicht so arg (ein Verleugnen oder zumindest Beschönigen der Tatsachen)

2. Es ist doch ihre eigene Schuld – “sie” waren, oder sind anstössig, dumm, u.s.w., u.s.f. (was man “victim blaming” nennt – so wie etwa “hätte sie nicht so ein kurzes Kleid getragen, wäre sie nicht vergewaltigt worden”)

3. Und was soll ich denn machen? (wenn man einmal zugeben muß, dass die Tatsachen so sind und es nicht die Schuld der Opfer ist, dann protestiert man gegen seine eigene Unfähigkeit, irgendetwas zu tun, und lehnt Verantwortung ab.)

Wie Täter, Mitläufer, Apologeten und die, die in der Opposition waren, erklären was sie getan, oder nicht getan haben, ist aufschlussreich. Es kam in drei Stufen:

1. Es waren arge Zeiten

2. Es war gefährlich, anders zu handeln oder Opfern zu helfen.

3. Was hätte ich den tun können? Das war doch selbstverständlich.

Die Worte sind aufschlussreich – wie ich mich selbst verstehe, wer ich als Mensch bin. In einem Video über Rassismus in den Vereinigten Staaten, das alle meine Studenten vor ihrer Promotion sehen müssen, kommt eine Stelle vor, in der ein Lynchmob einen jungen Schwarzen aufhängen soll. Die ersten zwei (die mit irgendetwas tatsächlich involviert waren) waren bereits aufgehängt und man war gerade im Begriff den dritten aufzuhängen. Ein Mann (einer!!) hatte den Mut zu rufen “Lasst den Buben in Ruh! Der hat nichts getan”.

Wie können wir heute in Österreich und in der Welt so etwas in der Zukunft verhindern? Erstens denke ich, daß wir uns endlich der Vergangenheit stellen müssen – dass wir zugeben müssen, was geschehen ist, dass wir unsere Rolle in dem Geschehenen bekennen müssen und trachten müssen, nicht nur “wieder gut” zu machen, sondern auch denen, die heute ähnlich betroffen worden sind, unsere Hilfe zuzusprechen. Wir können nur verhindern, wenn wir klar zugeben, was geschehen ist, was heute geschieht.

Veranstaltungen dieser Art haben nur dann einen Sinn, wenn sie konkrete Folgen haben. Die Vergangenheit ist nicht mehr in unseren Händen – wir müssen uns ihr stellen, wir müssen, m.E., die nicht wenigen Schuldigen, wie Herr Gross [Euthanasiearzt, M.] z.B., die noch frei herumlaufen, bestrafen. Aber das ist nur der Anfang. Wir müssen uns vor allem der Zukunft stellen, wir müssen einsehen, daß diese Zukunft unsere Verantworung ist.

Was uns heute droht ist ein Wiederaufflackern von Menschenhass – gleich, ob gegen Juden, Ausländer, Schwarze, oder wen immer gerichtet. Wenn man die Vokabeln, die Leute wie die Freiheitlichen verwenden, untersucht, wenn man sie mit dem, was war, vergleicht, so bekommt man vor dem was kommen mag Angst. Leute, die hassen, wird es immer geben – man findet sie in allen Kulturen, bei allen Rassen, bei allen Religionen. Aber es sind nicht wirklich die, die hassen, es sind nicht die, die wir als Übeltäter anprangern: es sind nicht die Hitlers, Eichmanns, Mengeles, Gross oder Haiders. Es sind - und das ist schmerzhaft zuzugeben - WIR. Es sind wir, die mitlaufen, die Opportunisten sind, die ihre Ruhe haben wollen – es sind eher die "Herr Karls" dieser Welt, die das Böse erst möglich machen.

In allen von uns steckt schließlich und endlich ein SS-Mann, alle von uns sind fähig Gräueltäter zu sein. Aber die meisten von uns sind auch fähig Wohltäter und anständige Menschen zu sein. Nur indem wir uns dieser zwei miteinander streitenden Fähigkeiten klar sind, können wir die eine fördern, die andere unterdrücken.

Unsere sozialen Umstände sind fähig Böses zu fördern, oder zu unterdrücken. Bei manchen Menschen ist das leichter als bei anderen. Eine wahre Demokratie, eine gute Ausbildung, eine Kultur, die zivilen Ungehorsam schätzt und Kadavergehorsam verabscheut, eine Umwelt die Menschlichkeit schätzt und Unmenschlichkeit verabscheut, kann viel dazu beitragen, solche Gräuel zu verhindern. Der Preis (wie Jefferson einmal sagte) der Freiheit ist unausgesetzte Wachsamkeit.

Um aber eine echte Demokratie zu verwirklichen – und ich halte das für die einzige Möglichkeit, sich dem Bösen zu stellen – müssen drei Grundbedingungen erfüllt werden.
Eine politische Demokratie ist nur der Gipfel einer Pyramide und ohne die Grundbedingungen erfüllt zu haben kann eine politische Demokratie gefährlich sein: denn allzu leicht wird sie durch Machthaber und Demagogen bestimmt werden.
Die Grundbedingungen sind also (wie Dewey es vor langer Zeit ausgedrückt hat) drei:
1) eine persönliche Demokratie in der wir bereit sind miteinander zu diskutieren, andere Ansichten ernst zu nehmen und andere Menschen und ihre Ansichten zu respektieren;
2) eine ökonomische Demokratie, in der es keine Blutarmen und Steinreichen gibt; und
3) eine Bildungsdemokrate, in der alle Menschen gut ausgebildet sind und vollen Zugang zur freien Ausbildung haben.

Wenn wir von “Allen” sprechen – von “Allen”, die sich am Aufrechterhalten so einer Demokratie beteiligen müssen – so müssen die Schwachen genauso wie die Starken einen hohen Stellenwert haben. Alle, die in unserer Gesellschaft leben und die betroffen werden, sind gleichberechtigt hier mitzusprechen. Indem wir miteinander ins Gespräch kommen, uns gegenseitig schätzen und mit einander als gleiche Partner unsere Zukunft aushandeln schaffen wir eine evolutionäre Ethik – eine Ethik die Habermas “Diskursethik” nennt.
Wir haben schon viel zu lange eine Ethik der Starken und wenn es gut geht, eine Ethik für die Schwachen betrieben. Es ist an der Zeit, daß wir in einer Demokratie eine Ethik mit den Schwachen betreiben.

Die Kultur einer Gesellschaft wird zum Teil davon bestimmt, wie sie mit den Schwachen umgeht – mit den Kranken, den Behinderten, den Alten, den Ausländern. Wie wir uns als Bürger einer Demokratie zu den Schwachen, den Armen, den Behinderten, den Ausländern, den Kranken stellen, bestimmt wer wir sind, was für uns selbstverständlich und was für uns nicht selbstverständlich ist. Es ist an der Zeit, daß wir den Mut aufbringen, aufzustehen und NEIN zu sagen – nein zur Wiederkehr des braunen Übels, welches heute vielleicht nur blau ausschaut. NEIN zum Menschenhass, zur Ausländerfeindschaft und zum Rassismus. Und letztendlich NEIN zu uns selbst, sollten wir in Versuchung kommen, Täter, Mitläufer oder Apologeten zu sein.

Dr. Erich H. Loewy
Professor and Endowed Alumni Association Chair of Bioethics
Associate, Department of Philosophy
University of California, Davis

 

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