Die Gabbaim der
Synagoge Oranienburger Strasse
in einem Fax vom 28. Februar 2000 an die
Jüdische Gemeinde zu Berlin:
Sehr geehrter Herr Dr. Simon,
wie wir erfahren haben, hat die
Repräsentantenversammlung am 16.2.2000 beschlossen, sich von
Gemeinderabbiner Walter Rothschild vorzeitig zu trennen.
Davon sind wir insofern
überrascht, als sich nach unserer Auffassung noch in der
Kultusausschußsitzung vom 8.2.2000 keinerlei Anzeichen für das
Bevorstehen einer solch schwerwiegenden Entscheidung abgezeichnet haben.
Unsere Synagoge hat bisher gut
mit Rabbiner Rothschild zusammengearbeitet, die dabei mitunter auch
aufgetretenen Auseinandersetzungen waren interessant und fruchtbar für
alle Seiten, weil wir keine homogene Gemeinde sind, sondern eine
Vielfalt an theologischen und liturgischen Perspektiven vertreten.
Besonders erleben wir ihn als anregenden Prediger, seine Draschot haben
uns schon vielfach neue Interpretationsmöglichkeiten der Thora
aufgezeigt.
Mehr als möglicherweise für
andere ist es für unsere Synagogengemeinde wichtig, einen
liberal-religiösen Ansprechpartner, vorzugsweise natürlich einen
Rabbiner, zu haben. Gerade die Erfahrungen der letzten Wochen und Monate
haben uns gezeigt, daß wir einen solchen Ansprechpartner in
Gemeinderabbiner Rothschild finden können. Umso trauriger und auch
nachteiliger wäre es für unsere noch im Aufbau befindliche
Synagogengemeinde, diesen Ansprechpartner zu verlieren.
Deshalb bitten wir Sie, uns -
soweit davon nicht personalrechtlich vertrauliche Gründe ausschlaggebend
sind - über die Gründe zu informieren, die zur Entscheidung der
vorfristigen Trennung geführt haben. Wir wünschen, Gemeinderabbiner
Walter Rothschild weiter zu beschäftigen.
Wir bitten Sie, dieses Schreiben
auch den anderen Repräsentanten zur Kenntnis zu geben.
Mit freundlichen Grüßen
Miriam Rosengarten
Esther Eimerl
Jakob Schenavsky
Jakob Schenavsky
schrieb in einem Leserbrief am 6.3.2000 an das Jüdische Berlin:
Die Repräsentantenversammlung
beschloß am 16.2.2000, sich von Rabbiner Walter Rothschild zum frühest
möglichen Zeitpunkt zu trennen und der Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas
Nachama hat dem Rabbiner am 3.3.2000 die außerordentliche und fristlose
Kündigung ohne Nennung eines Kündigungsgrunds zustellen lassen. Das
Mobbing des Vorstandsvorsitzenden und Kultusdezernenten Nachama kommt in
seine Schlußphase.
Dabei hatte alles ganz anders
angefangen. Nachama wollte Rabbiner Rothschild unbedingt nach Berlin
holen, hat ihn deshalb in der Repräsentantenversammlung durchgesetzt und
ihn aus einem bestehenden Vertrag in Aruba herausgekauft. Doch die
Synagoge Pestalozzistraße konnte sich von Anfang an nicht mit dem neuen
Rabbiner anfreunden. Oberkantor Estrongo Nachama s.A., anderen
Entscheidungsträgern und Teilen der Beterschaft ist Rabbiner Rothschild
irgendwie ungenehm. Wirkliche Gründe aber bestehen nicht, ansonsten wäre
die außerordentliche Kündigung begründet worden.
Bei der Suche nach einem neuen
Gemeinderabbiner ist die Synagoge Pestalozzistraße als größte Berliner
Synagoge mit der Joachimstaler Straße das Maß aller Dinge. Aber einen
geeigneten Rabbiner für die Pestalozzistraße zu finden, ist nahezu
ausgeschlossen. Die Pestalozzistraße ist ein Hybrid: Ein konservativer
Rabbiner wird nicht kommen, weil er einen gemischten Chor und Orgel
ablehnen wird, ein liberaler Rabbiner dagegen kann mit Chor und Orgel
leben, er will aber die Gebetsinhalte liberaler (=zeitgemäßer) und
verständlicher fassen, was in der Synagoge Pestalozzistraße anscheinend
nicht möglich ist, da man sich auf seine Tradition beruft.
Die anderen Synagogen werden
deshalb wieder auf Jahre hinaus auf rabbinische Betreuung verzichten
müssen. Wenn Juden wieder beten und zum Gebet kommen sollen - und das
nicht nur an den Jamim Noraim - dann brauchen die Synagogen und die
Gemeinde gute und interessante Rabbiner als Lehrer, die Zeit haben, sich
mit den Betern zu beschäftigen, sie zu besuchen, sie zum Lernen und
Beten zu animieren.
Die Situation für die Synagogen
Fränkelufer, Rykestraße und Oranienburger Straße hatte sich gebessert,
nachdem Rabbiner Rothschild nur noch diese betreuen mußte. Wenn jetzt
wieder ein neuer Gemeinderabbiner gefunden werden soll, der für fünf
Synagogen zuständig ist, dann wird er, wie vorher auch Rabbiner
Rothschild, für die einzelne Synagoge wenig Zeit haben. Wenn jetzt auch
noch jemand kommen sollte, der sich vollkommen zurückhält, weil dies das
einzige Überlebensprinzip in der Gemeinde ist, dann sollte sich niemand
wundern, wenn die Synagogen am Schabbat leer bleiben.
Es ist das gute Recht der
Synagoge Pestalozzistraße, sich einen neuen Rabbiner zu wünschen. Aber
es ist auch das gute Recht der anderen Synagogen an Rabbiner Rothschild
festzuhalten und sich von der Synagoge Pestalozzistraße abzunabeln. Dies
war auch der Stand in der Kultusausschußsitzung am 8.2.2000; es sollte
ein dritter - d.h. ein zweiter liberaler Rabbiner - für die Synagoge
Pestalozzistraße gesucht werden. Mit der Entlassung von Rabbiner
Rothschild aber stehen die Synagogen jetzt statt mit zwei liberalen
Rabbinern, wieder einmal ganz ohne Rabbiner dar.
Dem Oberrabbiner Andreas Nachama
in spe steht Rabbiner Rothschild anscheinend im Weg. Der Kultusdezernent
ist wohl der einzige in der weiten Welt, der die Tradition der Synagoge
Pestalozzistraße ungebrochen weiterführen könnte. Wäre diese Art von
Familienbetrieb für die größte jüdische Gemeinde in Deutschland wirklich
würdig? Und steht ein Kultusdezernent, der persönliche Ambitionen hat,
Rabbiner zu werden, nicht in einem Interessenkonflikt und müßte seine
Funktion im Vorstand abtreten?
Jakob Schenavsky
Vorstand der Synagoge Oranienburger Straße
Jalda Rebling
an die
Repräsentantenversammlung
Sehr geehrte Mitglieder der
Repräsentantenversammlung,
nach dem G´ttesdienst in der
Oranienburger Strasse, erfuhr ich gestern, daß Rabbiner Walther
Rothschild vorfristig gekündigt werden soll. Diese Information hat mich
erschreckt und zutiefst beunruhigt.
Da ich selten in der Pestalozzistrasse bin, habe ich den ganzen Streit
nicht so recht verstanden und will mir darüber auch kein Urteil
erlauben. Unterschiedliche Meinungen und Auffassungen können sehr
stimulierend sein solange man miteinander redet. Die Kündigung von
Rabbiner Rothschild ist mir jedoch völlig unverständlich.
Unsere sehr große Berliner
Gemeinde braucht dringend einen liberalen Rabbiner, nicht nur wegen der
liberalen Berliner Traditionen, sondern vor allem weil wir in der
Gemeinde viele Menschen haben, die einen liberalen Rabbiner wollen und
seinen Rat brauchen. Ich kenne auch viele Juden, die keine Mitglieder
der Gemeinde sind, die von Rabbiner Rothschild und seinen G´ttesdiensten
so beeindruckt waren, daß sie überlegten doch in die Gemeinde zu kommen.
Wie will die Gemeinde sich immer wieder auf die großen liberalen
Traditionen berufen ohne einen liberalen Rabbiner? Wie will unsere
Gemeinde eine jüdische Zukunft in Berlin gestalten ohne einen liberalen
Rabbiner?
Ich bitte die Repräsentanten
dringend ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken und vor allem
breiter und demokratischer mit den Betern zu diskutieren.
Mit freundlichen Grüßen
Jalda Rebling
Salomea Genin
schreibt an die Repräsentantenversammlung:
Ausgerechnet im Tagesspiegel
bekomme ich endlich offiziell bestätigt, was ich seit Wochen nur als
Gerücht hörte. Rabbi Rothschild ist gefeuert! Schön, daß wir keinen
anderen Ausweg haben, als unsere Streitigkeiten in derÖffentlichkeit
auszutragen!
Mit welchem Recht beschließt die
Repräsentantenversammlung uns Betern in der Oranienburger Straße unseren
Rabbiner wegzunehmen? Und das ohne uns, die sich von ihm gut betreut
fühlen, irgendeine Begründung zu geben! Im Tagesspiegel vom 7.3. steht,
er habe die Gefühle der Gemeinde zu wenig beachtet. Wer ist hier "die
Gemeinde". Ich kenne keinen, dessen Gefühle er verletzt hat. Im
Gegenteil, ich und manch anderer haben sich über seine Witze herzlich
amüsiert und über seine Lockerheit und seine interessanten Predigten
erfreut. In den letzten 12 Monaten ist unsere Synagoge oft überfüllt
gewesen. Diesen wachsenden Zuspruch haben wir AUCH Rabbiner Rothschild
zu verdanken. In der Pestalozzi mag er nicht willkommen sein, bei uns
aber wird er sehr geschätzt. Wenn Rabbi Rothschild geht, werden wir -
die wir uns als Reformjuden verstehen - wieder keinen haben, an dem wir
uns wenden können. Denn einen Nachfolger zu finden, dürfte unmöglich
werden. Die Mobbing-Erfahrungen von Rabbi Dick und jetzt auch Rabbi
Rothschild haben sich nämlich international herumgesprochen; Erfahrung
die ihnen beschert wurden von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde, die
glauben, daß sie allein "die Gemeinde" sind und sich herausnehmen,
allein solche Entscheidungen zu treffen.
Wenn Rothschild geht, wird keiner
mehr nach Berlin kommen wollen. Rabbi Rothschild muß bleiben, denn er
leistet für den nicht-orthodoxen Teil der Gemeinde gute Arbeit.
Salomea Genin
Beterin in der Oranienburger Straße
Prof. Dr. Yacov Ben-Chanan
schrieb am 27. März an die Repräsentantenversammlung:
Sehr geehrte Damen und Herren,
widrige Umstände gestatten es mir
erst heute, als Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gegen die Art
und Weise zu protestieren, wie Vorstand und Repräsentantenversammlung in
ihrer Mehrheit in den letzten Monaten mit dem liberalen Rabbiner der
Gemeinde, Herrn Walter Rothschild, umgegangen sind.
Ich werfe Ihnen dreierlei vor:
- Sie haben, ohne daß Sie dafür
Gründe vorbringen oder, wenn Sie Gründe vorbrachten, deren
Stichhaltigkeit beweisen konnten, den Ruf und die Ehre eines
ehrenwerten, in meinen Augen vorbildlichen Menschen beschädigt, den
ich bisher nicht persönlich. kennen gelernt habe, dessen Wirken ich
aber mit großer Sympathie und Anerkennung beobachten konnte.
- Sie haben dem Ruf der
jüdischen Gemeinde zu Berlin innerhalb der deutsch- jüdischen wie
der europäisch- jüdischen Umwelt und darüber hinaus in den Augen der
nichtjüdischen Umwelt schweren Schaden zugefügt und den Ruf Berlins
und seiner jüdischen Gemeinschaft als einer toleranten, weitherzigen
und weltoffenen schwer beschädigt, in Teilen auch lächerlich
gemacht, wie ich bei vielen Gelegenheiten bei Begegnungen mit
Menschen aus beiden Umwelten erleben mußte. Sie haben zugelassen,
daß höchst persönliche Interessen über sachliche und ethische
Gesichtspunkte die Überhand gewonnen haben.
- Sie haben mit alledem in
gravierender Weise gegen ethische und rechtliche Grundsätze des
Judentums verstoßen, die uns darüber unterrichten, wie man in der
jüdischen Gemeinschaft miteinander umgehen soll. Was Sie hier
gemacht oder zumindest zugelassen haben, ist eine Beleidigung des
jüdischen Namens und des jüdischen Geistes. Ich weiß nicht, wie ich
meine nichtjüdischen Studenten glaubwürdig jüdische Geschichte und
Kultur lehren soll, wenn eine so wichtige und von so vielen Menschen
beachtete jüdische Gemeinde sich in ihren gewählten Repräsentanten
so unglaubwürdig verhält.
Ich bitte Sie, alles zu tun, um
den entstandenen Schaden wieder gut zu machen.
(Prof. Dr. Yaacov Ben- Chanan)
Franz Chotzen
schrieb am 9.März an das Jüdische Berlin
Liebe Leserinnen und Leser.
Nachdem in der Jüdischen Gemeinde in Berlin eine grosse Unruhe
ausgebrochen ist, möchte ich, der sich seit Jahren von den Geschäften
der Gemeinde zurückgezogen hat, meine Stellungsnahme zu den Vorgängen
abgeben.
Ich habe Herrn Rabbiner Rothschild seit den ersten Tagen seiner Ankunft
in Berlin beobachtet. Ich war bei vielen seiner Predigten in der
Oranienburger Str., am Fränkelufer und in der Rykestr. anwesend.
Rabbiner Rothschild hat ein grosses Wissen, und seine Predigten basieren
immer auf der Thora, den Geboten und den Grundsätzen des Judentums. Ich
selbst, ein Überlebender der Shoa, habe volles Verständnis für die
modernen Predigten eines Nachgeborenen, trotzdem ich auch Verständnis
für die alten Beter in der Pestalozzistr. habe, welche an ihrem
teilweise Vorkriegsritual festhalten möchten.
Ich bedaure es sehr, denn es ist
nicht meine Art polemisch zu werden, aber trotzdem werde ich meine
Meinung vortragen.
Rabbiner Rothschild hat seine fristlose Kündigung ein paar Stunden vor
Schabbat erhalten. Ich bin davon überzeugt, dass so etwas nur ein Goij
veranlasst haben kann, denn ich kenne keinen Juden, der so etwas einem
Rabbiner antun würde, ausser, er hat einen unsäglichen Hass auf ihn.
Es ist ja so, dass wir den Vorstand und die Repräsentantenversammlung
gewählt haben. Wir haben also keine Möglichkeit, irgend eine
Entscheidung anzufechten. Als gewählte Vertreter können sie jede ihrer
Entscheidungen durchsetzen.
Ich möchte jetzt einmal meine Fantasie spielen lassen und folgende
Möglichkeit
für eine Änderung der Kündigung vorstellen:
Man beantragt die Genehmigung
einer Demonstration von 20-30 Mitgliedern der Gemeinde vor der
Fasanenstr., und geht dort mit Schildern wie z.B: „Wir wollen Rabbiner
Rothschild behalten", „Rabbiner Rothschild bleiben Sie bei uns" oder
„Dr. Nachama treten Sie zurück".
Bei genügend Presse und Fernsehen, wird es in Israel, New York und
England sehr bald bekannt sein. Ich glaube zwar nicht, dass Dr. Nachama
einen Rabbinerposten in der Pestalozzistr. anstrebt, aber ich glaube,
nach einer solchen Demonstration wäre er nicht mehr tragbar.
Franz Chotzen
Während des WIZO-Bazars am 2 + 3.
April vor dem Gemeindehaus in der Fasanenstraße 78-80 ist eine
öffentliche Demonstration angemeldet, die bereits amtlich genehmigt ist.
Wir weisen
darauf hin, daß alle hier veröffentlichten Texte auf ausdrücklichen
Wunsch der Verfasser zur Veröffentlichung gebracht wurden.
Rabbiner in Berlin
haGalil onLine
02-04-2000
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