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Krach um Rabbiner Rothschild beim
WIZO- Basar:
Diskussion um Demokratieverständnis
entfacht
Leserbriefe wurden nicht
veröffentlicht:
War das Zensur?
Von Jola Merten
Der zweitägige WIZO-Basar der Berliner
Women's International Zionist Organization ist wie traditionell üblich im
jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße gestern eröffnet worden. Doch
erstmals protestierten hier Gemeindemitglieder. «Keine Zensur im ¸Jüdischen
Berlin´» stand auf den Schildern, die sie sich um den Hals gehängt hatten.
Der Grund: In der neuesten Ausgabe des Gemeindeblattes «Jüdisches Berlin»
wurden Leserbriefe, die zur fristlosen Kündigung des Rabbiners Walter
Rothschild Stellung bezogen, nicht veröffentlicht. Die
Repräsentantenversammlung hatte sich am 16. Februar überraschend für dessen
fristlose Kündigung ausgesprochen. Seitdem rumort es in der Gemeinde
zwischen Anhängern und Gegnern des liberalen Rabbiners.
«Wir sind empört. Der von uns gewählte
Vorstand hatte mehr Demokratie und Transparenz versprochen, und nun
unterdrückt er Leserbriefe. Unter dem fadenscheinigen Vorwand, so lange das
Verfahren noch anhängig sei, habe die Repräsentantenversammlung dies
beschlossen», sagt Madleine Marcus-Melchers. Sie und sechs andere verteilten
die nicht veröffentlichten Leserbriefe an die Besucher des WIZO-Basars. Doch
viele Gemeindemitglieder gingen vorbei, würdigten die Demonstranten keines
Blickes. «Nicht wenige haben Angst, sich öffentlich zu ihrer Kritik zu
bekennen», weiß Jakob Schenavsky, Vorstand der Synagoge Oranienburger
Straße. Nicht so Franz Chotzen. «Ich kann es immer noch nicht fassen, dass
dem Rabbiner fristlos gekündigt wurde, und noch dazu eine Stunde vor Beginn
des Shabbat. Und nun dieses Verbot.»
Der Regierende Bürgermeister Eberhard
Diepgen, der die Kunstauktion eröffnete, sagte: «Ich will mich in diese
Fragen nicht einmischen.» Tom Freudenheim, stellvertretender Direktor des
Jüdischen Museums, ergriff für Rothschild Partei: «Dass sich Juden hier so
streiten, macht mich als Amerikaner sehr traurig. Um neues interessantes
jüdisches Leben einzuführen, dafür muss man verschiedene Stimmen haben.» Der
pensionierte Rabbiner Ernst Stein dagegen fuhr die verdutzten Protestler
empört an: «Schämt ihr euch nicht, hier vor laufender Kamera zu stehen?» Er
offenbarte die Haltung vieler älterer Gemeindemitglieder, die den Streit
lieber unter die Decke kehren wollen. «Das ist eine Ghettomentalität, die
wir endlich abstreifen sollten», kritisierte Giora Baum. Eine Frau sagte
sarkastisch: «Wir fordern von Deutschland Demokratie und sind selbst nicht
fähig zum demokratischen Handeln.» Auch Jael Botsch-Fitterling,
Präsidiumsmitglied und Schriftführerin der Repräsentantenversammlung,
plädiert für mehr Öffentlichkeit. Sie berichtete, dass in der letzten
geschlossenen Repräsentantenversammlung der Entschluss gefasst wurde, die
Briefe nicht zu veröffentlichen. «Ich bin der Meinung, dass keine Vorzensur
stattfinden darf.»
Der geschmähte Rabbiner Rothschild ließ
sich trotz allem nicht von einem Besuch des WIZO-Basars abhalten. Am
Wochenende wurde er als «Gastrabbiner» in die Synagoge Rykestraße
eingeladen. So umschiffen die drei Synagogen, die Rothschild behalten
wollen, geschickt dessen Kündigung als Gemeinderabbiner. «Ich hoffe noch
immer, dass eine offene Diskussion mit dem Vorstand und der Repräsentanz
möglich ist», sagte Rothschild. Er kann seine fristlose Kündigung noch immer
nicht fassen. «Am 8. Februar hatte der Kultusausschuss erwogen, einen
zweiten liberalen Rabbiner einzustellen. Da ein Rabbiner allein kaum die
Beter von vier Synagogen betreuen kann. Doch eine Woche später kam die
Kündigung. Jetzt hat die Gemeinde gar keinen Rabbiner», sagte er. Esther
Eimerl und die anderen kämpfen weiter für ihn. «Wir Jungen brauchen den
progressiven Rabbiner.»
haGalil onLine
02-04-2000
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