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Die Jüdische Gemeinde zu Berlin steht
offenbar vor einer Zerreißprobe zwischen orthodoxen und liberalen
Kräften. Das Gemeindeparlament hat am Mittwochabend überraschend
entschieden, die Mitgliedschaft in der weltweiten Vereinigung der
liberalen Gemeinden ruhen zu lassen. Mit dem Beschluss haben, wie es
heißt, Gemeindevorsitzender Andreas Nachama und andere Liberale eine
Niederlage erlitten. Nachama hatte sich der Stimme enthalten. Nur
Hermann Simon, Direktor des Centrum Judaicum, der Leiter des
Moses-Mendelssohn-Zentrums, Julius Schoeps, und Anwalt Albert Meyer
stimmten dagegen.
Teile der Berliner Gemeinde werfen
der Weltunion des progressiven Judentums, der zwei Millionen Juden in 43
Ländern angehören, vor, sich gegen den Zentralrat der Juden in
Deutschland zu stellen. Parallel würde die Union ihre Positionen in der
Bundesrepublik ausbauen. Auch große Teile des Zentralrats lehnen die
Union vor allem wegen der geringen religiösen Ausprägung ab. "Wir müssen
uns irgendwann fragen, ob wir im Zentralrat oder in der Weltunion sein
wollen", sagte Gemeindeparlamentsmitglied Norma Drimmer. Die Weltunion
will bereits im Mai ein Berliner Büro in der Antwerpener Straße 50
eröffnen.
Für die rund 12 000
Gemeindemitglieder geht es letztlich um einen Richtungsstreit und damit
um die Zukunft der Einheitsgemeinde - in dieser Form einmalig in
Deutschland. "Die Einheitsgemeinde ist nicht aufrechtzuerhalten", sagt
das Gemeindeparlamentsmitglied Rafael Korenzecher, Befürworter eines
vollständigen Unions-Austrittes. Solche Stimmen sind für Julius Schoeps
fast das Ende: "Das ist eine Absage an die liberale Tradition Berliner
Judentums." Schließlich sei die Weltunion 1926 vom bekannten Rabbiner
Leo Baeck mit ins Leben gerufen worden. Die Gemeinde zähle zu den
Gründungsmitgliedern. Nach der gereizten Diskussion lässt Schoeps seinen
Sitz in der Repräsentantenversammlung ruhen und empfiehlt, das Bild
Baecks abzuhängen. Dann geht Schoeps.
Nachama sieht die Situation
deutlich gelassener. "Die Weltunion war in den 50er-Jahren fast die
einzige Organisation, die in Deutschland tätig war", sagt Nachama. Dem
Zentralrat empfiehlt er: "Man muss sich auch für jüdische Kulturvereine
öffnen können." Ansonsten würden manche Gemeinden dem Zentralrat
davonlaufen. Als normal bezeichnet es Nachama, dass in einer
einheitlichen Gemeinde darüber gestritten werde. Nachama hat am Mittwoch
seinen Sitz in der Weltunion aufgegeben, den er privat inne hatte. Dies
erklärt Nachama mit der "brüskierenden" Absage eines Treffens mit
Unions-Präsident Richard Block. Auf orthodoxer Seite war Nachamas
Engagement dort ohnehin umstritten.
Auf der Repräsentantenversammlung
muss sich Nachama darüber hinaus Kritik anhören. Wegen nicht gedruckter
Leserbriefe im Gemeindeblatt zur Kündigung des liberalen Rabbiners
Rothschild entzieht ihm die Mehrheit die Herausgeberschaft. "Es darf
keine Zensur geben", sagt der stellvertretende Vorsitzende Moische Waks.
Die Diskussion zu den Wahlen am 18. März 2001 hat damit bereits
begonnen.
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haGalil onLine
17-04-2000
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