Die Sätze stammen aus einem 9.
Klasse Geschichtsheft einer bayerischen Waldorfschule. Das Heft
beschäftigt sich mit der Zeit des Nationalsozialismus. Unter der
Überschrift "Die Juden im 3.Reich" finden sich genau sieben Sätze, den
Abschluß bilden die oben zitierten. Daß es sich hier nicht etwa um die
sprachlichen Kapriolen eines unaufmerksamen Schülers handelt, zeigt das
handschriftliche Lob des Lehrers unmittelbar unter der Heftpassage. "Es
fehlt Hitlers Judenbild, sonst gut."
Das Wort "Restbestand" im
Zusammenhang mit der Ermordung von 6 Millionen europäischen Juden hat
bei der kontrollierenden Lehrkraft anscheinend keinerlei Unbehagen
ausgelöst. Im übrigen kommen Begriffe wie Konzentrationslager,
Holocaust, Auschwitz, Gaskammern, Deportationen oder Massenmord in
diesem Schulheft nicht vor.
Waldorfschüler lernen weitgehend
ohne Bücher. Statt dessen dokumentieren die Schüler den Lehrstoff
ausführlich in ihren Heften. Das zitierte Waldorfschul-Heft ist ein
Einzelfall. Doch nicht der einzige. Seit ein Beitrag der Sendung "Report
aus Mainz" andere Geschichtshefte aus Waldorfschulen zeigte, in denen
umgedrehte Hakenkreuze und Begriffe wie "Arier", "Arierwanderungen" und
"Arieropferfeuer" auftauchen, sind Waldorfschulen in die Diskussion
geraten. In der gleichen Sendung berichteten enttäuschte Mütter, daß
Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie und der Waldorfschulen
als eine Art Führerfigur verherrlicht werde und daß sie die Schule als
"rassistisch geprägt" empfunden hätten.
"Diffamierende Meinungsmache" sei
der Bericht, so eine Pressemitteilung des "Bundes der Freien
Waldorfschulen" am 3.3. 2000. Als "ausgesprochen infam" wertete man in
dieser Mitteilung insbesondere eine Aussage des Schweizers Samuel Althof
in dem Beitrag. Der Sprecher der Basler Initiative "Aktion Kinder des
Holocaust", die sich seit einigen Jahren mit dem Thema Antisemitismus in
der Anthroposophie auseinandersetzt, hatte festgestellt, daß ihm
zunehmend über antisemitische Diskriminierungen an Waldorfschulen
berichtet werde.
Die Aussagen von Samuel Althof
werden nun auch von Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrates der
Juden in Deutschland bestätigt. In der Sendung "Wortwechsel" am
19.3.2000 im SWR sagte Paul Spiegel in Bezug auf die Waldorfschulen:
"Seit ungefähr anderthalb Jahren wird mir von antisemitischen Vorfällen
berichtet, aus verschiedenen Städten. Bisher konnte ich nicht aktiv
werden, da die Eltern, die mir davon erzählt haben, nicht bekannt werde
wollten. Deshalb konnte ich bisher nichts tun."
Fälle von antijüdischen
Diskriminierungen an Waldorfschulen sind auch Rabbiner Joel Berger dem
Sprecher der Rabbiner-Konferenz bekannt. Vor einigen Jahren baten ihn
zum Beispiel zwei seiner Schülerinnen um ein vertrauliches Gespräch. Sie
besuchten eine Waldorfschule und wurden dort massiv mit antijüdischen
Stereotypen konfrontiert. Jüdisch zu sein - so vermittelten ihnen einige
Lehrer – sei nicht in Ordnung, bedeute einer Religion anzugehören, die
zersetzend und abstrakt sei. Die Diskriminierungen hatten allerdings –
wie Rabbiner Berger feststellt - letztlich doch noch eine positive
Auswirkung: Seine Schülerinnen hätten sich gerade durch diese Erlebnisse
besonders stark mit dem Judentum identifiziert
Auch einer ehemaligen Lehrerin für
jüdische Religion aus Nordrhein-Westfalen ist eine Waldorfschule in
schlechter Erinnerung. Während des zweiten Golfkrieges z.B. wurden ihre
Schüler dort massiv unter Druck gesetzt. Sie galten als die
Repräsentanten Israels und waren antisraelischen Attacken ausgesetzt. An
keiner anderen Schule – so erinnert sich die Religionslehrerin – hätten
ihre jüdischen Schüler jemals ähnliche Angriffe erlebt.
Der Basler Theologieprofessor Dr.
Ekkehard Stegemann beschäftigt sich seit einigen Jahren mit
antisemitischen Stereotypen in der Anthroposophie. Laut Stegemann sah
schon ihr Begründer Rudolf Steiner im Judentum eine überholte Religion.
So heißt es bei Steiner u.a.: "Das Judentum als solches hat sich aber
längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen
Völkerlebens, und daß es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der
Weltgeschichte." ( Zitat aus: Rudolf Steiner Gesamtausgabe Band 32 ).
Rabbiner Joel Berger erscheint es
besonders problematisch, daß in der Anthroposophie auch Theorien über
den Zusammenhang zwischen Seelenwanderung und Holocaust verbreitet
werden. Der Grund dafür ist, daß Rudolf Steiners Anthroposophie unter
anderem auf der Annahme beruht, daß der Geist jedes Menschen eine Reihe
von Wiedergeburten durchläuft. In diesem Zusammenhang spielt auch die
Idee des Karma eine Rolle – alles, was einem Menschen geschieht, steht
in direktem Zusammenhang mit seiner vorherigen Existenz. In Bezug auf
den Holocaust führe dies – wie Rabbiner Berger feststellt – zu einer
"Verniedlichung" des Massenmordes an den Juden. Er spricht aus eigener
Erfahrung. Vor ca. zwei Jahren erhielt er einen Anruf des in Stuttgart
ansässigen "Forum 3" einer anthroposophischen Kultureinrichtung. Man
fragte an, ob ein Rabbiner Yonassan Gershom aus den USA den Schabbat in
seiner Gemeinde verbringen könne. Zuerst sah Rabbiner Berger darin gar
kein Problem, als er jedoch erfuhr, welche Theorien der Gast aus Amerika
bei einem Vortrag im "Forum 3" zum Besten geben wollte, war er
fassungslos. Rabbiner Gershom vertrat die Überzeugung, daß die von den
Deutschen ermordeten Juden inzwischen als Wiedergeborene in den USA
lebten.
In eine ähnliche Richtung zielt ein
Theaterstück, daß im April im "Forum 3" aufgeführt werden soll. Darin
geht es unter dem Titel "Und die Wölfe heulten" um die Erlebnisse der
Schwedin Barbro Karlen. Barbro Karlen, deren Bücher in
anthroposophischen Kreisen weit verbreitet sind, behauptet sie sei die
wiedergeboren Anne Frank. Auch dies sei – so Rabbiner Berger – eine
unglaubliche Verharmlosung des Holocaust.
Für die meisten Lehrer an
Waldorfschulen ist Rudolf Steiners Anthroposophie eine wichtige
Leitlinie, der sie sich verpflichtet fühlen. Dies heißt nicht, daß alle
Waldorflehrer Zusammenhänge zwischen Wiedergeburt und Holocaust
herstellen oder im Judentum eine überholte Religion sehen. Auch Rabbiner
Berger betont, daß er Schüler habe und hatte, die sich an der
Waldorfschule wohl fühlten.
Trotzdem - manche Erlebnisse
jüdischer Kinder an Waldorfschulen lassen sich vielleicht darauf
zurückführen, daß hier Menschen unterrichten, die den oben beschriebenen
Theorien nahe stehen. Dies könnte auch der Grund sein, warum in dem
eingangs zitierten Geschichtsheft der Holocaust völlig übergangen wird.
Zur Zeit werden im Internet unter
der Adresse www.waldorf.net
Schüler von Waldorfschulen gezielt aufgerufen, Protestbriefe an die
Redaktion des Magazins "Report aus Mainz" zu schreiben. Der kritische
Bericht in der Sendung am 28.2.2000 hat offensichtlich erhebliche
Emotionen freigesetzt. Wir sind keine Rassisten und Antisemiten – so der
Tenor der offenen Briefe. Doch eine sachliche Auseinandersetzung mit dem
Thema findet zur Zeit von Seiten der Waldorfbewegung noch nicht statt.
AKdH - Aktion Kinder
des Holocaust
Allg. Jüd. Wochenzeitung
haGalil onLine
30-03-2000
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