Hasstiraden:
Vorwurf der Aufhetzung
Untersuchung in Israel
gegen einen Rabbiner
Der israelische
Generalstaatsanwalt hat nach längerer Überlegung eine polizeiliche Ermittlung
gegen den geistigen Führer der orthodoxen Shas-Partei, Rabbi Ovadia Yosef, wegen
des Verdachts auf Mordaufhetzung gegen den linksliberalen Erziehungsminister
einleiten lassen.
gsz. Jerusalem, 27. März
Nicht die Enttäuschung über
die missglückten Verhandlungen zwischen den Präsidenten Clinton und Asad in Genf
beherrscht seit Montag das Tagesgeschehen in Israel. Die Öffentlichkeit wird vor
allem von einer innenpolitischen Angelegenheit ergriffen. Generalstaatsanwalt
Elyakim Rubinstein hat die Polizei angewiesen, gegen den geistigen Führer der
orthodoxen Shas-Partei, Rabbi Ovadia Yosef, eine polizeiliche Ermittlung
einzuleiten. Anlass für die strafrechtliche Untersuchung ist eine Predigt des
Rabbiners vor einer Woche, in der er den Erziehungsminister Yossi Sarid von der
linken Meretz-Partei mit biblischen Erzfeinden des jüdischen Volkes verglich und
seine Anhänger aufforderte, sein Andenken auszulöschen.
Von vielen Israeli wurden
seine Worte als verhüllter Aufruf zur Beseitigung des Ministers interpretiert.
Etwas verspätet schickte der Rabbi die Erklärung nach, er habe keinesfalls
gemeint, man dürfe dem Minister physisches Leid zufügen, um im gleichen Atemzug
hinzuzufügen, dass Sarid ein Feind aller thoragläubigen Juden sei. Offenbar hat
der geistige Führer der drittstärksten Partei des Landes von dem Trauma der
Ermordung des früheren Regierungschefs Rabin nichts gelernt. Der Mörder von
Yitzhak Rabin hatte angeblich vor seiner Untat das Einverständnis eines
Rabbiners eingeholt.
Die Anklagepunkte werden
voraussichtlich auf Aufhetzung und üble Nachrede lauten. Parteigänger von Shas
behaupten, dass der Entscheid des Staatsanwalts von Feindseligkeit gegen die
Religion geprägt sei, wohlweislich darüber hinwegsehend, dass die hasserfüllte
Tirade des Rabbiners den Auftakt für die Angelegenheit darstellte. Rabbiner
Yosefs Anhänger warnten vor Ausschreitungen, die am Montag schon ihren Anfang
nahmen. Sie könnten es nicht akzeptieren, dass ihr geistiger Führer von der
weltlichen Gerichtsbarkeit zur Rechenschaft gezogen werde. Die Minister von Shas
drohen mit einem Austritt aus der Koalition, was allerdings wegen der
Abhängigkeit ihrer Partei vom Geldbeutel der Regierung unwahrscheinlich ist. Dem
Generalstaatsanwalt wurde von der Polizei eine Leibwache zugeteilt. Die
Ermittlungsabteilung der Polizei kann sich dieser Tage wahrlich nicht über
Arbeitsmangel beklagen. Abgesehen von den alltäglichen Betrügereien stehen
Untersuchungen gegen Präsident Weizman (Steuerhinterziehung), den ehemaligen
Ministerpräsidenten Netanyahu (Unterschlagung von Staatsgeschenken), seinen
damaligen Generaldirektor Lieberman (üble Nachrede), den ehemaligen
Polizeiminister Kahalani (Bestechlichkeit), den jetzigen Transportminister
Mordechai (versuchte Vergewaltigung) sowie den amtierenden Ministerpräsidenten
Barak (illegale Parteifinanzierung) auf dem Dienstplan.
Den Hintergrund für die
Feindseligkeit des Rabbiners stellen Probleme im Schulsystem der Shas-Partei
dar. Der Erziehungsminister hatte seinerzeit mit der Partei ein Programm
ausgehandelt, das die marode und korrupte Institution sanieren sollte. Nun
wollen die Orthodoxen das Programm neu aushandeln und einen ihrer
Vertrauensleute zum Vizeminister für das Shas- Schulsystem ernennen lassen.
Diesem Ansinnen widersetzt sich Sarid, und Meretz droht mit einem
Regierungsaustritt, falls der Ministerpräsident ihren Erziehungsminister
desavouiere.
Neue Zürcher Zeitung,
28. März 2000
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29-03-2000 |