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Schon wieder steckt Israels
Regierung in der Krise. Es geht um Tod und Leben eines Ministers. Um die
Reihen zu schliessen, orakelt Barak über den Friedensprozess.
VON CHARLES A. LANDSMANN, TEL AVIV
Der israelisch-syrische Friedensprozess
steht offenbar nicht nur unmittelbar vor der Wiederbelebung, sondern gar vor
dem entscheidenden Durchbruch. Israels Ministerpräsident Ehud Barak hat
nämlich in seinem Aufruf zur Beendigung der jüngsten Regierungskrise die
zerstrittenen Koalitionspartner Shas und Meretz nicht einfach zur Beilegung
des Konfliktes aufgefordert. Vielmehr begründete er die Notwendigkeit der
'nationalen Aussöhnung' mit 'schicksalshaften und historischen
Entscheidungen, die bevorstehen'. Das wiederum kann nur bedeuten, dass es
bei den Geheimkontakten mit Syrien zu erheblichen Fortschritten gekommen
ist, dass wichtigste Einigungen erzielt werden konnten.
Clinton und Assad in Genf
Unmittelbar nach Baraks Aufruf zur Rettung seiner Regierung gab dann
US-Präsident Bill Clinton in Bangladesh bekannt, dass er sich am Sonntag in
Genf mit Syriens Staatsoberhaupt Hafis el Assad treffen werde, zum ersten
Mal seit sechs Jahren. Allerdings warnte er vor übertriebenen Erwartungen.
Doch Baraks Sprecher drückte die Hoffnung aus, dass dieses Gipfeltreffen die
Wiederaufnahme der Verhandlungen auslösen werde. Anderseits würde eine
solche Erneuerung des Friedensprozesses mit Syrien bedeuten, dass Barak zur
Rückgabe der Golanhöhen bereit ist, ein Umstand, der eine unlösbare
Regierungskrise auslösen würde, weil in diesem Fall die Nationalreligiösen
und die Aliya-Einwandererpartei aus der Koalition ausscheiden wollen.
Die gegenwärtige Krise wiederum wurde, wie schon alle früheren, von der
ethnisch-religiösen Shas-Partei ausgelöst, diesmal durch deren allein
entscheidenden Parteipatron Ovadia Josef, den ehemaligen sefardischen Landes
oberrabbiner.
Todesgefahr durch Rabbinerspruch
Im Vorfeld des jüdischen Purim-Festes, vergleichbar der christlichen Fasnacht,
griff er den Chef der sozialdemokratischen Meretz-Partei, Erziehungsminister
Yossi Sarid, auf beispiellose Art und Weise an. Rabbi Josef forderte seine
zahlreichen Anhänger auf, an Purim (an dem der Errettung der persischen
Juden gedacht wird) im Gebet Sarid genauso zu verfluchen wie Haman, den
notorischen Judenfeind und höchsten Berater des persischen Herrschers Xerxes
(König Ahasveros). Damals wurden die Gebete erhört, Haman, der als Inbegriff
eines Feindes des Volkes Israel gilt, und seine Familie wurden öffentlich
erhängt.
Deshalb sehen nicht nur Meretz-Anhänger in der Verfluchung durch den
Oberrabbiner eine Aufforderung zur Ermordung Sarids: 5 Prozent der
Shas-Wähler sehen es genau so, von der gewaltbereiten rechtsextremen Szene
ganz zu schweigen - also mehrere zehntausend Fanatiker. Dass Ovadia Josef
Minister Sarid verdammt hat, wiegt unendlich schwerer als die damalige
tödliche Verfluchung Yitzhak Rabins durch ein paar Rechtsextremisten - mit
der Ermordung des Premiers als Folge.
Anklage?
Der greise Rabbiner hat inzwischen klar gestellt, dass er jede Gewalt ablehne,
doch will er dies ausdrücklich nicht als Entschuldigung verstanden wissen.
Der Justizberater der Regierung und Chef der Anklagebehörde, Elyakim
Rubinstein, muss nun entscheiden, ob erneut gegen Ovadia Josef eine
Untersuchung wegen Aufhetzung eingeleitet werden soll. Alle Gesetze und
unabhängigen Juristen sprechen dafür, die Shas-Partei hält freilich dagegen:
'Wenn es eine Untersuchung gibt, gibt es keine Regierung mehr.'
Ausgabe vom Dienstag, 21. März 2000
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