Die katholische Kirche verehrt
ihn, vielen Juden jedoch gilt er als Schurke: Papst Pius XII. Untrennbar
ist das Pontifikat von Pius mit dem Vorwurf verbunden, sein Schweigen
zum Massenmord der Nationalsozialisten an den Juden habe den Holocaust
gefördert oder gar erst möglich gemacht. Der von 1939 bis 1958
regierende Pontifex hat seinem Nachfolger Johannes Paul II. ein schweres
Erbe hinterlassen, das die bevorstehende Reise nach Israel überschattet.
Historisch sind die Beziehungen
zwischen der römischen Kirche und dem Judentum ohnehin belastet.
Pogrome, Kreuzzüge, Inquisition: Die Liste der Judenverfolgungen, an
denen Vertreter der Kirche maßgeblich beteiligt waren, ist lang. Nicht
zu Unrecht haben Juden der Kirche immer wieder vorgeworfen, den
Antisemitismus ihrer Mitglieder verursacht oder zumindest genährt zu
haben.
Johannes Paul II. genoss wegen
seiner Bemühungen, die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und dem
jüdischen Staat zu verbessern, lange Zeit einen guten Ruf in Israel. Die
Bemühungen fanden 1994 ihren Höhepunkt, als der Vatikan und Israel die
Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbarten. Pläne, Pius XII. selig
zu sprechen, haben in Israel aber die alte Skepsis gegen Kirche und
Papst wachsen lassen. Ultranationalistische und ultraorthodoxe Juden
haben nicht zuletzt deshalb die Absicht von Israels Oberrabbinern, mit
dem Papst zusammenzutreffen, scharf kritisiert. Sie befürchten, der
Besuch des katholischen Kirchenoberhaupts werde die christliche
Missionstätigkeit erneut anfachen.
Schon wurden Slogans wie «Kein
Treffen mit dem Papst» und «Nein zu Blasphemie, Nein zu einem Treffen
mit dem Papst» an das Haus des Oberrabbinats gesprüht. Die Rabbis
verurteilten die Graffitis und nannten Johannes Paul einen «Freund».
Einen Sturm der Entrüstung
entfachte kürzlich der päpstliche Gesandte in Israel, Erzbischof Pietro
Sambi, der Pius' Schweigen zum Holocaust verteidigte. Der Papst habe
geschwiegen, weil er das Leben von Juden retten wollte, erklärte Sambi
im israelischen Rundfunk. Der Chefhistoriker der Holocaust-Gedenkstätte
Jad Vaschem, Jisrael Gutman, wies diese Einschätzung prompt zurück. Das
Verhalten von Pius sei zu verurteilen, sagte Gutman. «Schweigen war
natürlich keine Hilfe. Es kann nur interpretiert werden als mangelndes
Interesse oder mangelnder Wille, sich in die Politik und das Morden der
Nazis einzumischen.»
Antisemitismus und Kommunistenhass
Historiker werfen Pius XII.
Antisemitismus und Hass auf Kommunisten vor. Diese Einstellung habe ihm
den Willen genommen, die Gegner von Juden und Kommunisten, eben die
Nationalsozialisten, öffentlich zu verurteilen. Die Kirche begegnete den
Anschuldigungen stets mit dem Hinweis, dass Pius sich im Verborgenen für
das Leben Tausender Juden eingesetzt habe.
Für Furore sorgte vor wenigen
Monaten ein Buch des britischen Autors John Cornwell, der in seiner
Biographie «Pius XII. Der Papst und der Holocaust» dem Pontifex
unverhohlenen Antisemitismus vorwirft. Cornwell hatte Zugang zum Archiv
des Vatikans, wo er bislang unveröffentlichte Dokumente auswertete.
Unter den Dokumenten ist ein Brief des späteren Papstes, als er noch
vatikanischer Nuntius für Bayern war. 1919 beschrieb er eine Gruppe von
Bolschewiken in Deutschland als «eine Bande junger Frauen von
zweifelhafter Erscheinung, Juden wie alle anderen, die mit provokativem
Benehmen und zweideutigem Grinsen herumhängen». Anführer sei ein
russischer Jude, den Pius als schmutzig, vulgär, intelligent und
verschlagen bezeichnete.
Cornwell zufolge traten 1942
Vertreter der USA und Großbritanniens an Pius heran und ersuchten ihn,
die Nazi-Gräuel zu verurteilen. In seiner Weihnachtsbotschaft desselben
Jahres bedauerte der Papst lediglich das Schicksal «Hunderttausender,
die auf Grund von Rasse oder Nationalität dem Tod oder der Ausrottung
geweiht sind». Der Papst soll laut Cornwell im Oktober 1943 auch von der
bevorstehenden Deportation von 1.000 Juden aus Rom gewusst haben. Er
habe aber nichts unternommen, um sie zu warnen. Nur 15 von ihnen
überlebten.
Der Vatikan wies die Vorwürfe des
Briten zurück. In seinem Buch «Papst Pius XII. und der Zweite Weltkrieg»
stellte der französische Jesuitenpriester Pierre Blet Dokumente aus dem
Archiv des Vatikans zusammen und vertritt die These, Pius habe während
des Krieges nie geruht, um die Leiden der Kriegsopfer zu lindern. Blet,
der bei der Vorstellung seines Buchs im vergangenen Herbst von Kardinal
Pio Kaghi begleitet wurde, schreibt, der Vatikan habe nie konkrete
Beweise für Hitlers «Endlösung» erhalten. Pius sei «leise und diskret»
vorgegangen, «mit dem Risiko, untätig und gleichgültig zu erscheinen».
Der israelische
Holocaust-Spezialist Jehuda Bauer nannte in einer jüngst in der
«Jerusalem Post» veröffentlichten Rezension zu Cornwells Biographie das
Schweigen von Pius einen moralischen Fehler. «Hätte Pius XII. seine
Stimme erhoben, hätte er vielleicht keinen einzigen Juden damit
gerettet, möglicherweise aber seine Seele.»
Von AP-Korrespondentin Dina
Kraft
Dienstag, 14. März 2000
Literatur zu diesem Thema:
Pius XII - Papst im Zwielicht
Er führte das
Papsttum auf eine seit dem Mittelalter nicht mehr erreichte Höhe der Macht.
Zur Verfolgung und Vernichtung europäischer Juden schwieg der Stellvertreter
Christi auf Erden. Selbst die Deportation römischer Juden nahm er
widerspruchslos hin. Innerhalb der Kirche bekämpfte er jeden Widerspruch. Er
lebte wie ein Heiliger und herrschte wie ein Diktator.
John Cornwell schildert
Leben und Pontifikat des Papstes Pius XII: Während sich Europa auf den
Zweiten Weltkrieg zubewegt, wird im März 1939 in Rom ein neuer Papst
gewählt. Die Wahl des Konklaves fällt auf Eugenio Pacelli. Der Kardinal, der
sich fortan Pius XII. nennt, blickt auf eine steile Karriere als Kirchenmann
zurück.
Bereits das Konkordat
mit dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 trägt seine Handschrift. Es
verschaffte dem NS-Regime wertvolle innen- und außenpolitische Anerkennung.
Während des Krieges steuert Pius XII. einen Kurs strikter Neutralität,
selbst dann noch, als sich die Niederlage der Achsenmächte abzeichnet. Er
vermeidet jede klare Verurteilung der Judenverfolgung, über deren Ausmaß er
weitgehend unterrichtet ist.
John Cornwell erzählt die Geschichte eines Papstes, der sich im Konflikt
zwischen Macht und Moral für das Schweigen entschieden hat und damit für das
Einvernehmen mit der Tyrannei - und letztlich mit der Gewalt.
haGalil onLine
14-03-2000
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