(idw). Geld aus Unternehmertaschen diente
auch schon in den Gründungsjahren der Bundesrepublik der "politischen
Landschaftspflege". Zu diesem Ergebnis kommen zwei Historiker der Universität
Tübingen mit ihren Forschungen zur Biographie des Papierwarenfabrikanten Frietz
Kiehn aus Trossingen.
Dr. Cornelia Rauh-Kühne von der Abteilung für Neuere Geschichte des
Historischen Seminars und Dr. Hartmut Berghoff von der Abteilung für
Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Wirtschaftswissenschaftlichen
Seminars haben aufgrund von Recherchen in 20 Archiven und der Befragung
von Zeitzeugen den Lebensweg des nationalsozialistischen Funktionärs und
mittelständischen Unternehmers Fritz Kiehn (1885-1980) rekonstruiert.
Sie haben diese bewegte politische Biographie, die viele exemplarische
Züge der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 20. Jahrhundert
trägt, nun in einem Buch zusammengefasst.
Danach wurde Kiehn noch vor 1933 zu einem der wichtigsten Geldgeber und
Aktivisten der württembergischen NSDAP. Er war Gründer der Trossinger
Efka-Werke, ein wichtiger Hersteller von Zigarettenpapier. Nach der
"Machtergreifung" zahlte sich das frühe Engagement für die "Hitler-Bewegung" in
Form zahlreicher neuer Posten für den bewährten "alten Kämpfer" aus.
Kiehn - von 1932 bis 1945 für die NSDAP im
Reichstag - wurde unter anderem Präsident der Industrie- und Handelskammer
Stuttgart und Leiter der "Wirtschaftskammer für Württemberg-Hohenzollern". 1938
gelangte er in den aus zahlungskräftigen Industriellen bestehenden
"Freundeskreis Reichsführer SS". Diese privilegierte Stellung garantierte Kiehn,
dass er im Wettlauf um die "Arisierung" jüdischen Eigentums nicht 'zu kurz' kam:
Zu Preisen, die weit unter dem tatsächlichen Wert lagen, konnte er mehrere
Unternehmen aus jüdischem Besitz aufkaufen.
Doch überdauerte Kiehns auf Raub und Korruption gegründetes neues
Imperium das Ende des NS-Regimes nicht. Nach fast vierjähriger
Internierungshaft - der längsten, die im Land Württemberg verbüßt wurde,
durfte sich der Fabrikant glücklich schätzen, dass der
Entnazifizierungselan der frühen Nachkriegszeit mittlerweile einem
prinzipienlosen Pragmatismus gewichen war. Die Spruchkammer erklärte den
prominenten NS-Funktionär zum "Minderbelasteten", beließ ihm - weil es
Arbeitsplätze und Steuerkraft zu erhalten galt - sein Trossinger
Unternehmen, sah von einem Berufsverbot ab und verhängte lediglich eine
Geldstrafe.
Schon 1949, kaum aus der Haft entlassen, hatte der wendige Unternehmer
wieder wichtige politische Kontakte geknüpft, diesmal zu den Spitzen der
demokratischen Parteien CDU und FDP. Diese Beziehungen nutzten nicht nur
seiner politischen Rehabilitierung, sondern auch seinem Start ins
Wirtschaftswunder. Ausgerechnet der ehemalige SS-Obersturmbannführer und
"Nutznießer" des NS-Unrechts erhielt noch vor dem Abschluss seiner
Entnazifizierung vom Bundesland Württemberg-Hohenzollern einen
millionenschweren Kredit, mit dem er seine unternehmerischen
Expansionspläne fortsetzen konnte, die er wenige Jahre zuvor noch mit
Rückendeckung Himmlers betrieben hatte. Die Folge war einer der ersten
Subventionsskandale der jungen Bundesrepublik.
Trotz einiger Gerichtsverfahren, die sich mit Kiehns Verhalten vor und
nach 1945 befassten, konnte der Unternehmer seinen Rückweg in die
"Ehrbarkeit" relativ geradlinig fortsetzen. Er liebäugelte nicht noch
einmal mit rechtsradikalen Organisationen, sondern tauchte wie so viele
ehemalige Nationalsozialisten gleichsam in den Wohlstand ab, so das
Fazit der Tübinger Wissenschaftler.
Kiehn wurde nach seiner Entnazifizierung Gründungsmitglied des Lions Klubs in
Tuttlingen und Mitglied des "Freundeskreises der Universität Innsbruck",
schließlich auch Ehrensenator dieser Universität. In der Kleinstadt Trossingen
profilierte er sich als respektierter Arbeitgeber, wichtiger Steuerzahler und
großzügiger Mäzen. So gab die Stadt Trossingen Fritz Kiehn 1955 stillschweigend
seinen 1935 verliehenen Ehrenbürgertitel zurück, benannte einen Platz und eine
öffentliche Turnhalle nach ihm. Trotz des Wissens um seine Rolle im 'Dritten
Reich' wurde Kiehns Vergangenheit in seiner Wahlheimat zum Tabu. 1980 starb der
Unternehmer als angesehener Einwohner Trossingens. Die Stadt steht bis heute zu
ihrem "braunen Ehrenbürger".
Die Ergebnisse der historischen Studien sind nachzulesen in: Hartmut
Berghoff und Cornelia Rauh-Kühne:
Fritz K. - Ein deutsches Leben im 20. Jahrhundert. Stuttgart und München
(Deutsche Verlags-Anstalt) 2000, 49,80 DM.
Pressemitteilung der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Michael Seifert
haGalil onLine 01-03-2000
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