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Mit einem deutlichen
"Nein, wir leben nicht unter Bedrohung" antwortete der Präsident des Bundes der
Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs und der IKG Wien, Ariel Muzicant, im
Telefonat mit der Rundschau auf die Frage, ob sich IKG-Mitglieder von der
aktuellen politischen Lage bedroht, oder, wie die israelische
Einwanderungsministerin Juli Tamir am Montag formulierte, "unter Verfolgung
lebend" fühlten.
Vor allem ältere Mitglieder
der IKG – Überlebende der Shoa – würden durch diese "kontraproduktiven Aufrufe"
aus Israel, die zur sofortigen Alija aufrufen, noch mehr verunsichert und
seelisch belastet werden. Muzicant zeigte sich enttäuscht über die
"Profilierungssucht" einiger israelischer Politiker und darüber, dass kein
Kontakt mit der IKG gesucht und keine Stellungnahme der IKG eingeholt worden
wäre.
Von ESRA, der
IKG-Sozialabteilung mit Schwerpunkt psychosozialer Betreuung von Überlebenden
und deren Nachkommen sowie Immigranten, ist zu hören, dass seitens der Klienten
keine persönlichen existenziellen Ängste geäußert werden. Das dringlichste und
bereits seit Jahren aktuelle Problem bestünde in der restriktiven
österreichischen Einwanderungspolitik, die den Zuzug auch von (vor allem
osteuropäischen) Juden erschwere. Allerdings würden seit den Wahlen zum
Nationalrat Anfang Oktober antisemitische Anrufe bei der Sozialabteilung
registriert.
Oberrabbiner Paul Chaim
Eisenberg betonte im Telefongespräch mit der Rundschau den größeren Kontext der
politischen Entwicklung, der nicht nur Juden, sondern - und das vor allem –
viele Nichtjuden in Österreich beträfe und beunruhige. Es wäre übertrieben, von
Befürchtungen zu sprechen, aber eine allgemeine Besorgnis wäre auch unter den
Wiener Juden spürbar.
Brigitte Ungar-Klein vom
Jüdischen Institut für Erwachsenenbildung in Wien bestätigte im Gespräch mit der
Rundschau eine allgemeine Verunsicherung bei den Hörern des Instituts, eine
konkrete Auswirkung auf die inhaltliche und budgetäre Arbeit erwartet sie
allerdings – vor allem wegen der Einbindung des Institutes in das Wiener
Volkshochschulprogramm – nicht.
Noch völlig offen ist die
weitere Vorgangsweise hinsichtlich der Restitution. Noch vor einem Monat war der
nunmehr abberufene österreichische Bundeskanzler Viktor Klima bei der
internationalen Konferenz in Stockholm aufgetreten und hatte eine rasche Lösung
zugesichert. Sowohl IKG-Präsident Muzicant als auch der Vertreter der Claims
Conference in Wien, Moshe Jahoda wollten derzeit keine konkrete Stellungnahme
zum weiteren Verlauf der Restitutionsverhandlungen abgeben. Derzeit, so beide
unisono, gäbe es keine Verhandlungen mit der neuen Regierung.
Abgesehen von einigen, die
der FPÖ als Regierungspartei tatsächlich "eine Chance" geben wollen, wenden sich
die meisten österreichischen Juden gegen die Regierungskoalition, aber zugleich
auch gegen undifferenzierte und pauschalierende Reaktionen von der
internationale Staatengemeinschaft. Zuletzt kamen einschlägige pauschalierende
Stellungnahmen und Kommentare nicht nur aus Israel und den österreichischen
Partnern in der Europäischen Union, sondern selbst aus entfernteren Staaten
(Russland, China, Australien, Argentinien, USA). In Leserbriefen und
öffentlichen Stellungnahmen wehren sie sich österreichische Juden gegen die
Vereinnahmung aller Österreicher und sehen, wie es auch in einer
Presseaussendung der IKG heißt, "das in diesem Land Erreichte" gefährdet. Manche
betonen ihren Österreich-Patriotismus und sprechen der internationalen
Staatengemeinschaft ihr Recht auf Kritik ab. Heftig umstritten sind jedenfalls
alle Boykottaufrufe.
Während die IKG im Gegensatz
zur Kundgebung gegen Rassismus am 12. November des Vorjahres bei den jetzigen
Demonstrationen nicht als Mitveranstalter auftritt, sondern nur ihre allgemein
alle Initiativen, die sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wenden,
unterstützt, sind unter den Künstlern und Intellektuellen, die an vorderster
Front gegen die Regierung auftreten, zahlreiche IKG-Mitglieder oder auch
Nicht-Mitglieder mit jüdischer Familiengeschichte.
Die Schriftstellerin
Elfriede Jelinek möchte etwa ihre Theaterstücke nicht mehr in Österreich
aufgeführt sehen, und der Historiker und Schriftsteller Doron Rabinovici
publiziert und skandiert bei Kundgebungen gegen den "Pakt mit der FPÖ". Auch
Allround-Künstler André Heller und die Philosophin und Publizistin Isolde Charim
engagieren sich gegen die FP/VP-Regierung. Die liberale Or’Chadash wird an einer
für Samstag geplanten Großkundgebung in Wien teilnehmen, und zahlreiche
Mitglieder der progressiven Vereinigung beteiligen sich an einem Inserat in der
International Herald Tribune, das ebenfalls am Samstag geschaltet werden soll.
Jüdische Rundschau Nr. 7
vom 17. Februar 2000
Anton Legerer, Jr./ anton@hagalil.com
haGalil onLine 14-02-2000
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