Ob Haider oder LePen - sie sehen sich
als Opfer:
JMP mag keinen Chagall
Wegen eines gewalttätigen
Wahlkampfauftritts droht Jean-Marie Le Pen, dem Chef der rechtextremen
Front National, der Verlust seiner Abgeordnetensitze in der
Regionalversammlung Provence-Alpes-Côte d'Azur und im Europaparlament.
Le Pen kündigte Einspruch an und bezeichnet sich als Opfer "politischer
Verfolgung".
Seine Hetztiraden und rassistischen
Ausfälle hat er längst geleugnet und relativiert - und bei nächster
Gelegenheit wiederholt. Er hat nur seine Meinung gesagt, und die denen
diese nicht passe sind nun die Verfolger.
In einer Diskussionsgruppe schrieb eine
Teilnehmerin, es gehöre 'zum Täter, daß er seine Tat stets leugnet'.
Durch Verdrehungen und ständiges Wechselspiel erreichen Populisten aber
noch mehr als die bloße 'Leugnung der Tat'. Durch Inszenierung und
Verwirrung, soll die Mehrheit des 'Wahlvolks' zum Rückzug bewegt
werden.
Die Politikverdrossenheit soll gefördert werden. Der Boykott
'demokratischer Quasselbuden' (Goebbels über Parlamente) ist ein
Etappenziel. Das Mittel dahin heisst 'hier blickt ja eh keiner mehr
durch'. Wenn neueste Umfragen (zB Forsa in der BRD) von 45% Nichtwählern
sprechen, scheint das Ziel in greifbare Nähe zu rücken.
Ein Merkmal der revisionistischen Taktik
ist, neben der Leugnung der Tat, die Inszenierung der eigenen
Opferposition.
JMP fühlt sich genötigt zur Chagall-Verehrung.
Haider fühlt sich missverstanden. Seine Entschuldigungen im Stil 'Ja
wenn hier jemand meint, sich beleidigt fühlen zu müssen, dann kann ich
sagen, dass ich die mir zugeschriebenen Äußerungen bedauerlich finde'...
Lüge wird ganz gezielt in den Raum gestellt, wird sie tatsächlich
überführt, heisst es in allerletzter Konsequenz '...ich habe nie
verlangt, dass man mir glauben muss', '...niemand muss sich
meiner Meinung anschliessen', '...ich fordere nur mein Recht zur
Meinungsäußerung'.
Lüge und Beleidigung werden zur 'vorsichtigen Anfrage' zur
'Meinungsäußerung' erklärt. Zick-Zack und wir sind wieder bei der
Tagesordnung, die Plattform ist bereit für die nächste Lüge,
Beleidigung, Verächtlichmachung, Unterstellung...
Aus Dutzenden von e-Mails die wir z.Zt.
erhalten geht hervor, dass sich die Schreiber allesamt unschuldig in
eine Ecke gedrängt sehen. Sie alle drohen, mehr oder weniger deutlich,
mit Gegenmaßnahmen. Alle sehen sich als Opfer 'sozialistischer' und/oder
'israelisch-jüdischer Einflüsse'. Klestil wird zum 'Verräter'. Gesetze
wie das von 'Ursache und Wirkung' werden nicht einmal als irrelevat
bezeichnet, sondern einfach ignoriert.
Die Verneinung der Kultur
Ein vielzuwenig beachtetes Merkmal des
Populismus ist die polemische Verneinung jeglicher Diskussionskultur.
Eine Beleidigung jagt die nächste und wenn der Beleidigte eine
Entschuldigung fordert, erhält er die nächste Erniedrigung: "...wenn
hier jemand meint, sich beleidigt fühlen zu müssen...".
Jede Wiederholung einer solchen 'zugeschriebenen Äußerung' wird
ihrerseits zur Fälschung oder Verfälschung erklärt. Die Fakten liegen
auf dem Tisch, der Populist lehnt sich zurück und fordert 'Fakten und
Beweise'.
Jede Mahnung nach Kultur wird verächtlich gemacht (nicht umsonst zieht
JMP Chagall heran, um sich als einen 'wie du-und-ich' darzustellen).
Auch Haider geht und ging immer wieder auf 'Leute die meinen Künstler zu
sein' (zB E.Jelinek) ein. Goebbels sprach vom 'überspitzter
Intellektualität' und meinte genau dasselbe.
Gauweiler lässt sich über 'Negerhäuptlingsfrauen beim deutschen Friseur'
aus, die Ablehnung solcher Äußerungen wird 'linken Chaoten' oder
'schöngeistigen Blumenkindern' zugeschrieben.
Appelliert wird an niedere Instinkte. Persönliche Beleidigungen werden
ganz gezielt eingesetzt - wenn das Gegenüber sich verletzt zeigt, kommt
vom Täter gönnerisch '...ach, das habe ich schon längt
verwunden'.
Das Niveau soll gedrückt werden. Werte wie
Umgangston, Toleranz, Offenheit werden lächerlich gemacht.
Verletzbarkeit wird als Schwäche deklarieret und das Schwache soll sich
ducken.
Die Minderheit wird minderwertig und die populistisch vertretene 'Volkes
Stimme', wird zur mehrheitlichen Ansicht erhoben. Dumpfes Ressentiment
wird geschürt und zeitgleich zum legitimen Gefühl der Masse erklärt.
Das Gegenteil von Liebe ist nicht
Hass,
sondern Gleichgültigkeit
Die Frage stellt sich, wie kann alldem
begegnet werden. Wie ist es möglich gegen Polemik und hemmungslose
Verdrehung anzugehen, ohne dabei sich selbst zu deformieren?
Wie ist es möglich die Mehrheiten, die Gleichgültigen, zu erreichen und
zu bewegen?
Wie ist es möglich sich selbst immer wieder zu motivieren, sich nicht
'beleidigt' zurückzuziehen (wie z.Bsp. von Elfriede Jelinek in der
letzten Woche angekündigt).
Eli Wiesel hat einmal gesagt, das
Gegenteil von Liebe sei nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Wir müssen
die Gleichgültigen mit einbeziehen und ihre Verantwortlichkeit
einfordern. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und zur Tagesordnung
übergehen, wenn die 'Anständigkeit der SS' gelobt wird, und wir dürfen
uns nicht abspeisen lassen von rotzig dahin genuschelten
'Entschuldigungen'.
David Gall / haGalil onLine
10-02-2000
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