Israel sagt Spiegel
Unterstützung zu:
Der richtige Mann für eine schwierige Aufgabe
Berlin (dpa) – Der israelische
Botschafter in Deutschland, David Walzer, hat dem neuen Präsidenten des
Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, Unterstützung bei seiner
Arbeit zugesagt. „Wir werden im kulturellen und religiösen Bereich, wie
schon mit seinem Vorgänger Ignatz Bubis, auch mit Paul Spiegel kooperieren“,
sagte Walzer im Saarländischen Rundfunk. Man strebe danach, den guten
Kontakt und die Beziehungen zwischen Israel und den jüdischen Gemeinden
weiter zu vertiefen.
Spiegel habe eine schwierige Mission vor sich,
aber er sei der richtige Mann für diese Aufgabe und er werde sie bewältigen,
sagte Walzer. Die Bedeutung zeige sich schon darin, dass in Deutschland
mittlerweile die drittgrößte jüdische Gemeinde in Europa existiere. Für die
Zukunft wünschte sich Walzer, dass alle Juden der Welt in Israel lebten.
Grundsätzlich solle aber jeder, „sei es Jude, Nichtjude, Christ oder
Moslem“, wohnen können, wo er sich zu Hause fühle.
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Paul Spiegel war am 09.01. zum Nachfolger von
Ignatz Bubis
gewählt worden. Seine Stellvertreter sind Charlotte Knobloch und Michel
Friedman. Spiegel will die Arbeit im Zentralrat mehr
auf das gesamte Präsidium verteilen. Danach soll Knobloch vor allem für
Verwaltung und Personal, Organisation und Institutionen sowie die Jewish
Claims Conference zuständig sein. Friedman werde sich besonders um
internationale Belange kümmern, darunter vor allem die Beziehungen zu
Israel, hieß es. Friedman löst Spiegel als Herausgeber der Jüdischen
Allgemeinen Wochenzeitung ab. Er wurde außerdem in Brüssel zum
Vizepräsidenten des European Jewish Congress gewählt.
Präsident des Übergangs
VON MATTHIAS DROBINSKI
Der Favorit hat gewonnen, der harte
Streit ist vorbei – vorerst. Der neue Präsident des Zentralrats der Juden in
Deutschland heißt Paul Spiegel, Künstleragent aus Düsseldorf; sein
Verbündeter Michel Friedman und seine geschlagene Gegenkandidatin Charlotte
Knobloch sind die ungleichen Vizepräsidenten. Ein Übergangspräsident, hieß
es im Vorfeld, mit zu kleinen Schritten für die Fußstapfen von Ignatz Bubis,
von zu geringem Gewicht, um zu der moralischen Instanz zu werden, die der im
August gestorbene Zentralratspräsident war.
Das Wort von der Übergangs-Präsidentschaft
beschreibt auch ohne Polemik realistisch den Zustand der jüdischen
Gemeinden. Spiegel gehört selber einer Übergangs-Generation an: zu jung, um
Deportation und Konzentrationslager erlitten zu haben, aber alt genug, um
Holocaust-Überlebender zu sein. Eine belgische katholische Bauernfamilie
rettete nach dem Einmarsch der Deutschen den Flüchtlingsjungen; erst nach
dem Krieg sah er seine Eltern wieder.
Schon Spiegels Nachfolger wird nach der
Befreiung von Auschwitz geboren sein. Er wird ein Judentum repräsentieren,
das mit dem vor zwanzig Jahren nichts mehr zu tun haben wird. Die Mehrheit
der Mitglieder wird aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, die Nachkommen
der Holocaust-Überlebenden werden eine Minderheit sein. Das jüdische Leben
wird vielfältiger, hier liberaler, dort strenger orthodox sein; vielleicht
findet es in den gewachsenen Einheitsgemeinden statt oder, wie in den
Vereinigten Staaten, in einer Vielzahl von Gemeinschaften. Spiegel wird
diesen Übergang gestalten müssen, die Debatten moderieren, den Streit
aushalten. Die strukturelle Überforderung seines Vorgängers kann er da nicht
auf sich laden: das Gewissen der Nation zu sein.
„Normalisierung“ ist dieser Prozess genannt
worden. Als könne nun das Verhältnis von jüdischer Minderheit und
nichtjüdischer Mehrheit in Deutschland „normal“ werden, einer Norm
entsprechend, von einer wie immer gearteten Mehrheit formuliert, die
Abweichler kennzeichnend. Gibt es nicht genug Belege, dass 55 Jahre nach dem
Ende des Nationalsozialismus die Shoah zur Vergangenheit wird? Die Juden aus
dem Osten kommen, weil sie dem Antisemitismus ihrer Heimat entfliehen –
Deutschland, ein Ort für Juden. Paul Spiegels Düsseldorfer Gemeinde hat mehr
Mitglieder als 1933; die derzeit 80 000 Juden in der Bundesrepublik bilden –
nach Großbritannien und Frankreich – die drittgrößte israelitische
Gemeinschaft in Europa. Die Politik des Landes verhält sich erträglich
korrekt. Tut sie dies nicht, folgt ein Aufschrei. Das Alarmsystem, manchmal
als Alarmismus abgetan, funktioniert; dass viele Juden sich lautere Kritik
nach der Rede über die „Banalität des Guten“ von Martin Walser gewünscht
hätten, ändert nichts daran. Auch Paul Spiegels Stimme wird gehört werden,
selbst wenn sie leiser sein sollte als die von Bubis.
Trotzdem – „normal“ wird nichts werden im
Verhältnis von Juden und Nichtjuden in Deutschland. Der jüdische Historiker
Dan Diner schrieb vor 14 Jahren: „Seit Auschwitz – welch tragische List –
kann tatsächlich von einer deutsch-jüdischen Symbiose gesprochen werden –
freilich einer negativen“. Deutsche und Juden, ob sie wollen oder nicht,
sind untrennbar zu einer Lebensgemeinschaft verwachsen – Diners Analyse von
der „negativen Symbiose“ stimmt trotz allen Wandels. Keine Absicht, keine
Kommission kann dies ändern. Im Gegenteil: Immer, wenn jemand den Judenmord
zu historisieren suchte, war die Shoah den Deutschen, den Juden, den
jüdischen Deutschen besonders gegenwärtig.
Für die kleinere Seite dieser Symbiose bedeutet
diese Verflechtung ihr Leben. Micha Brumlik, der Heidelberger
Pädagogik-Professor, hat vor gut einem Jahr Selbstbeschreibungen junger
Juden gesammelt, mal in Deutschland geboren und mal zugewandert. Sie zeigen
sich genervt vom beflissenen Philosemitismus ihrer nichtjüdischen Umgebung,
der das negative Klischee einfach ins Positive verkehrt, fröhlich untermalt
von jiddischer Klezmer-Folklore. Wer will schon ein besserer Mensch sein,
bloß weil er Mitglied einer bestimmten Religion ist und seine Vorfahren in
der Gaskammer ermordet wurden? Doch gleichzeitig schwingt die Angst mit. Da
sind polizeibewachte Jugendlager, Kontrollen vor der Synagoge, Nachrichten
über geschändete Friedhöfe, über Skinheads und Hakenkreuzschmierereien.
Fünfzehn Prozent Antisemiten hat dieses Land, seit Jahrzehnten bleibt die
Zahl konstant, ein trauriges Kontinuum bundesdeutscher Geschichte. Es
genügt, solche Biografien zu lesen, um zu begreifen, dass es auch für diese
Generation keine „Normalität“ im deutsch-jüdischen Verhältnis geben kann.
Für den Vorschlag des Politologen Rafael Seligman, künftig vom
Zentralrat
deutscher Juden zu reden statt vom Zentralrat
der Juden in Deutschland, ist es noch zu früh.
Der neue Präsident Paul Spiegel wird damit
leben müssen. In einer Hinsicht könnten ihn die Mehrheits-Deutschen aber
entlasten. Sie könnten ihn von der Moral- und Mahnmal-Funktion befreien, in
der sich Bubis aufrieb, in der er auch instrumentalisiert wurde nach dem
Motto: Wenn es zum Bau eines steinernen Mahnmals nicht reichte, hatte man ja
die lebende Erinnerung an die Shoah. Erinnern – das sollten die
nichtjüdischen Deutschen aber nun selber lernen.
haGalil 23-01-2000