Einmal, weil ganz offensichtlich
niemand an der schönen, aber eben völlig falschen Geschichte gezweifelt hat,
die der Schatzmeister der hessischen CDU, Prinz Casimir zu Sayn-Wittgenstein
immer wieder erzählt hat. Warum dies? Lag es nur an der Faulheit oder
Devotheit der bürgerlichen Journalisten, die aus ihrer Kotauhaltung vor
Helmut Kohl nicht herauskommen konnten und wollten? Dies sicherlich auch,
aber dies sicherlich nicht allein. Niemand wagte den Wahrheitsgehalt der
Spendenmär in Frage zu stellen, weil es sich um jüdische Spender gehandelt
haben sollte. Vor allem hat niemand zu fragen gewagt, warum und mit welcher
Absicht hier gespendet wurde und ob dies alles auch legal gewesen sei. Juden
traut man eben überhaupt nichts Schlechtes zu, nachdem und weil die
Faschisten ihnen alles nur erdenklich Böse zugetraut haben. Doch dieser
vorgetäuschte Philosemitismus hat auch eine Kehrseite. Und dies ist ein
versteckter Antisemitismus, der ebenfalls mit der Legende von den jüdischen
Spendern deutlich wurde.
Antisemitisch konnotiert ist zunächst
einmal der Hinweis auf die ominösen, aber unzweifelhaft »reichen Juden«, die
der hessischen CDU großherzig eine Million nach der anderen »gespendet«
haben sollen. Antisemitisch, ja eigentlich schon revisionistisch ist die
Annahme, dass so viele »reiche Juden« den Holocaust überlebt haben, um dann
nichts Eiligeres zu tun zu haben, als der Christlich- Demokratischen Union
so großherzig zu helfen. Warum gerade dieser Partei? Liegt es daran, dass
die CDU so »christlich« ist, dass sie, allerdings gegen eine kleine Spende,
»den Juden« gnädig verzeiht, was sie den Christen alles so angetan haben?
Vom Christusmord über die hartnäckige Weigerung der Juden, Christen zu
werden, bis hin zum Holocaust, unter dem wir Christen, Demokraten und
Deutsche so unendlich zu leiden haben. Doch die CDU ist gegenteiligen
Beteuerungen zum Trotz schon lange keine christliche Partei mehr. Daher wird
man ihr zugute halten müssen, dass sie auch keine christlichen Vorurteile
gegenüber den Juden mehr hat.
Bleibt die Frage, was gerade diese
Partei für die Juden getan haben soll, die den Holocaust überlebt haben,
weshalb sich einige von ihnen veranlasst gesehen haben sollen, diese
christlich-demokratischen Wohltaten durch »Spenden« an die Parteikasse zu
vergüten. Hier kommt nur die »Wiedergutmachung« in Frage. Obwohl immer
wieder Mitglieder und Mandatsträger der CDU durch antisemitische Reden
unliebsam aufgefallen sind, konnte die Partei insgesamt den Eindruck
vermitteln, sie sei schon deshalb judenfreundlich und pro-israelisch, weil
sie das »Wiedergutmachungs»-Abkommen durchgesetzt und verwirklicht habe.
Doch auch dies ist eine Legende. Sie
beginnt bereits mit dem Begriff. Er ist nämlich weder von den Christlichen,
noch von anderen deutschen Demokraten erfunden worden. Israel musste auf
Druck der Amerikaner darauf verzichten, "Reparationen" von Deutschland zu
fordern, weil - so die kuriose Begründung - es während des Zweiten
Weltkrieges noch keinen israelischen Staat gegeben hatte. Folglich sprachen
die Israelis von shilumim, was zwar einfach "Zahlungen" heisst, im Deutschen
aber "Wiedergutmachung" übersetzt wurde. Obwohl »Wiedergutmachung« die
fatale Assoziation weckt, man könne (noch dazu durch Geld) den Massenmord an
den Juden »wieder gut machen«, ist dieser Begriff auch von jüdischer und
israelischer Seite aus nicht kritisiert worden.
Tatsächlich ging es um absolut
berechtigte »materielle Ansprüche«, die von der Jewish Conference on
Material Claims against Germany und vom Staat Israel erhoben wurden. Man
wollte schlicht eine »Entschädigung« für das den Juden von den Deutschen
geraubte Eigentum und das ihnen angetane Leid. Dies wurde von der CDU
vehement abgelehnt. Nur weil er von der SPD unterstützt wurde, konnte sich
Konrad Adenauer gegen seine eigene Partei durchsetzen. Das von ihm am 10.
September 1952 mit Repräsentanten der Juden und des Staates Israel
abgeschlossene Luxemburger Abkommen wurde schließlich doch vom Bundestag
gebilligt.
Es sah einmal eine so genannte
Globalentschädigung vor, die an den Staat Israel und die erwähnte Jewish
Conference on Material Claims against Germany gezahlt wurde. Ferner
verpflichtete sich die Bundesrepublik, individuelle Entschädigungen an
Überlebende des Holocaust zu zahlen. Die Modalitäten wurden im Bundesgesetz
zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) vom
29. Juni 1956 geregelt. Dieses in der Folgezeit noch mehrmals novellierte
Gesetz sah vor, dass alle Personen entschädigt werden sollten, die aus
»politischen, religiösen und rassischen Gründen« verfolgt worden waren und
im Gebiet des Deutschen Reiches von 1937 gelebt oder zumindest zum
»deutschen Kulturkreis« gehört hatten. In letzteren wurden auch die
osteuropäischen Juden mit der schon merkwürdigen Begründung eingemeindet,
dass ihre Sprache, das Jiddische, so etwas wie ein deutscher Dialekt sei.
Ausdrücklich nicht zum »deutschen
Kulturkreis« gerechnet wurden dagegen die ausländischen Sinti und Roma und
die Angehörigen slawischer Völker, und zwar auch diejenigen nicht, die als
Sklavenarbeiter nach Deutschland deportiert worden waren. Ihre
Entschädigungsansprüche wurden im Londoner Schuldenabkommen von 1953 auf den
berühmten Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, nämlich auf die Zeit nach einer
Wiedervereinigung Deutschlands und dem Abschluss eines Friedensvertrages.
Erstaunlicherweise ist diese
Ungleichbehandlung der so genannten anderen Opfer des Nationalsozialismus
nur von ganz wenigen kritisiert worden. Dafür waren wiederum gewisse
philosemitische Motive maßgebend. Denn wer wollte sich schon dem Verdacht
aussetzen, die »Wiedergutmachung« zu kritisieren. Schließlich taten dies
neben der DDR nur rechte und auch einige linke Antisemiten. Die CDU hatte
hier leichtes Spiel. Musste sie doch nur mit echter oder auch nur
vorgetäuschter Entrüstung auf diesen linken Antisemitismus (den es
unzweifelhaft gegeben hat) hinweisen, um sich selber ins rechte Licht zu
rücken.
Leidtragende waren die deutschen und
nichtdeutschen »anderen Opfer« des nationalsozialistischen Rassismus. Von
den »Asozialen« und Homosexuellen über die »Erbkranken« bis hin zu den
ausländischen Sinti und Roma und den Millionen von ehemaligen
Zwangsarbeitern. Und sie sind es immer noch. Denn die Erfüllung des Londoner
Schuldenabkommens steht noch aus. Deutschland ist zwar seit nunmehr fast
zehn Jahren wiedervereinigt und die Zwei-plus-vier-Verhandlungen von 1990
waren zumindest eine Art Äquivalent für einen Friedensvertrag, dennoch
weigert sich auch die heutige Bundesregierung, sich vertragskonform zu
verhalten und das Londoner Schuldenabkommen zu realisieren. Stattdessen soll
es nur einen Entschädigungsfonds für noch nicht entschädigte Opfer geben,
der ganze zehn Milliarden Mark enthalten soll, sofern sich die deutsche
Industrie »großmütig« dazu bereit finden sollte, die noch fehlenden
Milliarden endlich einzuzahlen.
Doch dies ist ein anderes Thema, das
jedoch mit dem behandelten durchaus zu tun hat. Einmal zeigen die
Schmiergelder an die CDU, deren Gesamtsumme von Tag zu Tag immer höher wird,
dass wirklich genügend Geld da ist. Zum anderen zeigt die traurige
Geschichte der Nicht-Entschädigung der so genannten anderen Opfer des
Nationalsozialismus, dass absolut kein Anlass besteht, die
»Wiedergutmachung« auf das Haben-Konto der CDU zu buchen. Dennoch hat sie
mit den falschen Meldungen von den großherzigen jüdischen Spendern den
ebenso falschen Eindruck suggeriert, hier würden sich die mutmaßlichen
Empfänger von mutmaßlich exorbitant hohen »Wiedergutmachungs»-Summen noch
dafür bedanken. Und dies ist wirklich mehr als perfide.
Dass sich die CDU dafür entschuldigt
hat, reicht nicht aus. Sie sollte zumindest veranlasst werden, das
unrechtmäßig erhaltene und ebenso unrechtmäßig ins Ausland verschobene Geld
denjenigen zu spenden, die es brauchen und die auch einen Anspruch darauf
haben - den nicht entschädigten Opfern des Nationalsozialismus.