"Das Tagebuch
der Anne Frank":
Eine Mono-Oper von Grigori
Frid
Von
Heide Kramer, Hannover
Am
22. Februar 2003 erlebte ich im "KinderMusikTheater"
der Deutschen Oper Berlin die Premiere der
Oper "Das Tagebuch der Anne Frank".
Deutsche Oper Berlin: Raquela Sheeran als
"Anne Frank".
Foto: ©Heide Kramer, 22. Februar 2003
Beschreibung der Szene "Traum" (Nach der
Tagebucheintragung vom 27. November 1943, an
die Freundin Hannah Goslar gerichtet):
"Gestern, abends spät, ich wollte gerade
einschlafen, da sah ich plötzlich deutlich
meine Freundin Lies. Wie sie da vor mir
stand: Ganz ausgemergelt und entkräftet, in
Lumpen... . Trotz der Dunkelheit sah ich es
genau, wie sehr sie abgemagert war. Ihre
großen Augen, die schauten auf mich voller
Vorwurf... . Lies sah mich an, als wollte
sie sagen: "Anne, rette mich aus dieser
Hölle!"... Und ich kann ihr gar nicht
helfen. Ich kann nur zu Gott beten, dass er
sie beschützen möge. Lieber Gott, hilf ihr,
dass sie zu uns zurückkommt! Lieber
Gott!"-----
Die Protagonistin ist spürbar einsam und
verzweifelt. In ihrer Not versucht sie sich
mit der erlebten Vision und den dadurch
entstandenen Ängsten auseinander zu setzen,
indem sie den Wachtraum als
Tagebucheintragung dokumentiert. -
Anne wird in allen Episoden von einem
Pantomimen umgeben, der auf diese Weise
jeweilige Situationen und Mit-Schicksale in
ihrem Leben demonstriert: So schlüpft er
(wechselnd) in die Rolle der Eltern, der
Freundinnen, in die der Schwester Margot
oder in die jener unglücklichen Mitbewohner
aus dem Versteck in der Amsterdamer
Prinsengracht.
Der Schattentänzer symbolisiert auf diese
Weise auch die Freundin Lies (Hannah
Goslar). Er schlüpft unter ein schwarzes
Tuch und ist somit nur noch schemenhaft
wahrnehmbar. Dann richtet er unter dem Tuch
seine ausgestreckten Arme, die in dieser
Pose wie Stümpfe wirken, auf Anne. --- In
jenem fatalen Augenblick nähert sie sich der
schwarzen (knienden) Tuchgestalt (Lies) und
steckt ihr einen weißen Luftballon zwischen
die Stumpfhände. Doch der Ballon zerplatzt
und Anne Frank stößt einen
Verzweiflungsschrei aus. -
Szene "Traum" (Deutsche Oper Berlin:
Raquela Sheeran als "Anne Frank").
Foto: ©Heide Kramer, 22. Februar 2003
Es folgt
ein musikalischer Abgang dieser Szene, die
im Publikum große Betroffenheit ausgelöst
hat. Die anwesenden Kinder sind völlig
still. Es herrscht absolutes Schweigen,
nicht allein die Kinder blicken nachdenklich
in die schwarze Szene, die nur durch einen
fernen gelben Lichtschein durchbrochen wird.
Grigori Frid hat Anne Franks Tagebuch als
ein "bleibend aktuelles, philosophisches und
zutiefst ethisches Werk" charakterisiert,
'worin die Probleme der Gegenwart
angeschnitten werden', so wörtlich zitiert:
"Freiheit und Würde des Menschen, der
Vorrang des Geistes vor dem Körper und des
Bewusstseins vor der Materie, die Einsamkeit
der Jugend, die ihre Positionen verteidigen
muss‚ zu einer Zeit, in der alle Ideale
Schiffbruch erleiden, wo die Menschen an der
Wahrheit und der Gerechtigkeit zweifeln, und
schließlich auch das Wesen des Menschen,
dessen eigentliche Natur erst in seinem
Verhalten in konkreten Situationen zutage
tritt'".
Der im Jahre 1915 in St. Petersburg geborene
Grigori Frid studierte am Moskauer
Konservatorium. Das seit 1960 in der UdSSR
bekannte "Tagebuch der Anne Frank" nahm Frid
als Vorlage für seine Komposition. Er begann
im Juni 1969 die Arbeit und legte bereits im
August 1969 eine "Partitur für Klavier und
Gesang" vor: Das ca. einstündige,
zweiteilige, durch vier Szenen unterteilte
Mono-Drama vollzieht sich 21 Episoden. 1972
wurde das Werk als Orchesterfassung für 26
Musiker in Moskau uraufgeführt. 1978
gelangte die Partitur in die U.S.A. und
wurde zum Begriff der internationalen Bühne.
(Zitate:©Programmheft für die Neuproduktion
"Das Tagebuch der Anne Frank", herausgegeben
von der Dramaturgie der Deutschen Oper
Berlin, 2003.)
Bild- und Textbeitrag: ©Heide Kramer,
Hannover, März 2003
(Aktualisiert: Februar 2009)
haGalil.com 09-06-200