Die Siedlungen expandieren und werden weiter ausgebaut, ein
Abzug aus den besetzten Gebieten scheint wieder unwahrscheinlicher und die
Umsetzung der “Zwei Staaten Lösung”, die die rechten Parteien schon lange ad
acta legen wollen, wird immer schwieriger. Grund genug, sich mit einigen
Analysen und Berichten zur Lage in den “besetzten Gebieten”, wie sie Sharon
nannte, oder “Juda und Samaria”, wie sie die messianistischen Eiferer
nennen, zu befassen… Israelische Siedlungen
Wo kaum Wünsche offen bleiben
Vom Tennisplatz bis zum Swimmingpool – die jüdischen Siedler leben
komfortabel.
Thorsten Schmitz (SZ vom 23.6.2003)
Seit der Eroberung des Gaza-Streifens und des
Westjordanlandes im Sechs-Tage-Krieg von 1967 hat Israel die Besiedlung
dieser Gebiete vorangetrieben. Dies verstößt gegen das Völkerrecht, das
einer Okkupationsmacht die Besiedlung der von ihr besetzten Gebiete
untersagt.
Wohl nirgendwo sonst leben Todfeinde so eng beisammen wie im Gaza-Streifen
und im Westjordanland. Im 365 Quadratkilometer großen Gaza-Streifen leben
1,3 Millionen Palästinenser auf nur 250 Quadratkilometern – der Rest wird
von der israelischen Armee kontrolliert und von rund 5000 jüdischen Siedlern
bewohnt.
Im Westjordanland leben inzwischen rund 210.000 jüdische Siedler in etwa 150
Siedlungen, die wiederum von zehntausenden israelischen Soldaten beschützt
werden. Aus Sicht aller israelischen Regierungen verhindert diese Besiedlung
territoriale Kontinuität eines künftigen Palästinenser-Staates und erhöht so
den Schutz Israels vor Angriffen.
Gelockt werden potenzielle Bewohner in das für Israelis lebensgefährliche
Gebiet mit günstigen Krediten und Spottpreisen. In der Regel kostet ein
Einfamilienhaus im Westjordanland 50.000 Dollar, wobei lediglich 2500 Dollar
angezahlt werden müssen.
Russische Immigranten wohnen im Westjordanland und viele strenggläubige
Juden, die in der Besiedlung von „Judäa“ und „Samaria“, wie sie die
besetzten Gebiete nennen, eine Erfüllung von Gottes Auftrag sehen.
Die gläubigen Siedler rechtfertigen die Besiedlung mit dem Alten Testament,
worin es in einer Passage heißt: „Und sollt das Land einnehmen und darin
wohnen, denn euch habe ich das Land gegeben, dass ihr‘s in Besitz nehmt.“
Ökonomisch betrachtet, ist die Besiedlung ein aberwitziges Unternehmen:
Jährlich fließen 250 Millionen Euro in den Schutz der Siedlungen, den Ausbau
von Straßen und Abwassersystemen. Insgesamt hat das Siedlungsprogramm nach
israelischen Expertenschätzungen bislang 33 Milliarden Dollar verschlungen.
Dabei erwirtschaften die strategischen Wehrdörfer so gut wie nichts.
Im Durchschnitt leben in jeder Siedlung etwas mehr als tausend Menschen. Ein
Großteil dieser Ortschaften kann als bloße Schlafsiedlungen bezeichnet
werden, deren Bevölkerung tagsüber zur Arbeit oder zum Studium nach Israel
fährt und abends zurückkehrt.
Um Schutz vor palästinensischen Angriffen zu gewährleisten, werden die
jüdischen Siedlungen im Westjordanland stets auf Hügeln errichtet, von denen
aus man auf die palästinensischen Dörfer und Städte hinabblickt. Die
Unterhaltung des Siedlungsprogramms ist ein gigantischer logistischer
Aufwand, fast alles muss aus dem israelischen Kernland importiert werden:
Fernseher, Wohnzimmerschränke, Windeln, Lebensmittel.
Im Gegensatz zu den Palästinensern dürfen sich die jüdischen Siedler im
Westjordanland frei bewegen. Sie verfügen über eigene Straßen, die
weiträumig palästinensische Orte umfahren. Und sie können die Kontrollpunkte
der Armee ungehindert passieren. Den Siedlern fehlt es in ihren Städten und
Dörfern an fast nichts, kaum ein Wunsch bleibt offen.
Sie besitzen Swimmingpools, Tennisplätze, Tankstellen, Kinos, Kindergärten,
Schulen – und Wasser. Über 30 Tiefbrunnen durften die Siedler in den 36
Jahren der Besatzung bohren, den Palästinensern dagegen ist fast jeder
Bauantrag für einen Brunnen abgelehnt worden. In den heißen Sommermonaten
kommt bei vielen von ihnen nur stundenweise Wasser aus den Hähnen, bei den
Siedlern hingegen rund um die Uhr.
Selbst die vielen Soldaten können allerdings nicht verhindern, dass
palästinensische Terroristen Siedler töten. Nur wenige Siedler verfügen über
gepanzerte Privatwagen, viele Jugendliche benutzen die gepanzerten
Linienbusse im Westjordanland, die das besetzte Gebiet mit Jerusalem
verbinden.
Schulbusse werden von Soldaten eskortiert, die Siedlungen selbst sind
allesamt mit Zäunen gesichert, die über Bewegungsmelder, Nachtsichtgeräte
und Infrarotkameras verfügen.
Die meisten Siedler erzählen gerne, sie schätzten die „Ruhe“ im
Westjordanland sowie dessen Natur – obwohl sie sich wegen zu großer Gefahr
dort gar nicht aufhalten. Und sie verweisen darauf, dass das Leben in Tel
Aviv und Jerusalem genauso gefährlich sei, wegen der zahlreichen
Selbstmordattentate.
Viele Siedler verlassen ihre Häuser nie ohne Waffen, für orthodoxe Frauen
werden seit kurzem in Jerusalem Kurse im Umgang mit Handfeuerwaffen
angeboten. Die Siedler betrachten sich als „Pioniere Gottes“ und werden von
Regierungschef Ariel Scharon immer wieder gelobt. Jahrelang haben sie durch
die Errichtung von Außenposten sogar geltendes israelisches Recht verletzt –
und erst im Nachhinein eine Genehmigung für diese „wilden Siedlungen“
beantragt. Die wurde in allen Fällen auch gewährt.
Selbst kleinste Siedlungs-Außenposten, die nur aus einer Handvoll Wohnwagen
bestehen, werden durch Soldaten der Armee rund um die Uhr geschützt.
Bei den Außenposten, die geräumt wurden, seit sich vor drei Wochen Scharon
mit Palästinenser-Premier Machmud Abbas und US-Präsident George W. Bush in
Akaba getroffen hat, handelt es sich – mit einer Ausnahme – um unbewohnte
Posten. Ein Sprecher der israelischen Friedensbewegung Peace Now urteilt
denn auch: „Was bislang als Räumung verkauft wurde, ist eine Augenwischerei.
Die Armee hat nur ein paar rostige Karawane von einem Hügel auf einen
anderen gesetzt.“
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