Machmud Abbas:
Palästinenserpräsident ohne Rückhalt im VolkVon Thorsten Schmitz
Das Auffälligste an Machmud Abbas ist seine Abwesenheit. Der frühere
Grundschullehrer und promovierte Jurist gibt fast nie Interviews. Und immer,
wenn es in den Palästinensergebieten brennt, verlässt der
Palästinenserpräsident, PLO- und Fatah-Chef das Westjordanland und fliegt in
arabische, europäische oder amerikanische Städte. Während die Zahl der von
Israels Luftwaffe getöteten Palästinenser im Gaza-Streifen auf mehr als 400
angestiegen ist, weilt Abbas nun in New York, weil er den Sicherheitsrat zu
einer Resolution drängen möchte, mit der die israelische Militäroffensive
"Gegossenes Blei" beendet werden soll.
Es ist aber fraglich, ob Abbas Einfluss ausüben kann auf die Ratsmitglieder,
wenn es ihm in den vergangenen fünf Jahren nicht einmal gelungen ist, seine
Popularität im eigenen Volk zu steigern, geschweige denn den Friedensprozess
voranzubringen. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, kochte
am Mittwoch vor Wut und sagte, er verstehe nicht, weshalb Abbas den
"brutalen Angriffen" der israelischen Armee untätig zusehe: "Du bist doch
der Präsident aller Palästinenser, tue endlich etwas!"
Um seinen Job ist Abbas, der täglich betet, aber Religion in der Politik
strikt ablehnt, nicht zu beneiden. Viele Palästinenser - beileibe nicht nur
Anhänger der seiner Fatah feindlich gesonnenen radikal-islamischen Hamas -
sehen in ihm eine Marionette Israels und der Amerikaner, die machtlos ist
gegen die alltäglichen Folgen der israelischen Besatzung.
Tatsächlich ist seit Abbas" Amtsantritt die Zahl der Armee-Kontrollpunkte im
Westjordanland und die der jüdischen Siedler deutlich gestiegen. Obwohl er
wie die meisten Palästinenser nach Israels Staatsgründung zum Flüchtling
wurde, vermissen viele Landsleute beim Anzug tragenden Abbas jene
Volksverbundenheit, die sie bei seinem stets uniformierten Vorgänger Jassir
Arafat so geschätzt haben. Die USA und Israel betrachten Abbas als
politisches Auslaufmodell, weil er wegen geringer Unterstützung im Volk zu
schwach sei, um der Hamas Paroli zu bieten. So ist er ein
Interims-Präsident: Die Palästinenser und die westlichen Regierungen warten
auf einen einflussreicheren und populäreren Nachfolger. Als einer der
Favoriten gilt der Fatah-Führer Marwan Barghuti, der allerdings in
israelischer Haft sitzt.
Doch der 72-jährige Abbas, der seit dem Putsch der Hamas im Gaza-Streifen de
facto nur noch Präsident der Westjordanland-Palästinenser ist, möchte sich
Zeit mit dem Ruhestand lassen. Zuerst wollte er nur für eine Amtszeit zur
Verfügung stehen. Die läuft am 9. Januar offiziell aus. Überraschend hat
Abbas, der sich nach seinem verstorbenen Sohn Masen "Abu Masen" nennt,
zuletzt seine Absicht bekanntgegeben, noch mindestens ein Jahr im Amt
bleiben zu wollen, bis zu regulären Parlamentswahlen.
Die israelische Offensive kommt Abbas, der maßgeblich am gescheiterten
Friedensprozess von Oslo beteiligt war, nicht ungelegen: Israels Soldaten
rechnen jetzt mit der Hamas ab, wozu Abbas nicht in der Lage ist. Abbas
Kritik an dem Militärseinsatz ist denn auch auffallend schwach: Er sagt, die
Hamas trage dafür selbst Schuld. |