Zur Einführung:
Gefälschte Talmud-Zitate
Dr. Kroner, Dr.
Bloch und der Prozess Rohling/Bloch vom November 1885
AK Rechtsextremismus des
Duisburger
Instituts für Sprach- und Sozialforschung
Ende des 16. Jahrhunderts wurde
die Index-Kongregation des Vatikan zum Urheber einer kapitalen
Fälschung. Hebräische Druckwerke wurden einem schweren Eingriff der
christlichen Zensur unterzogen. War in hebräischen Schriften von –
gleich zu achtenden – Nicht-Juden die Rede, d.h. auch von Christen,
setzten die Zensoren z. B. das Akronym "akum" – für abodath kochabim
u mazzaloth: Anbeter von Sternen und Tierkreiszeichen.
In der Tat – der archaischen
Vielgötterei und später den Römern hatten jüdische Autoren wenig
Freundliches an den Hals gewünscht. Indem die Zensoren nun aber
Nicht-Juden, Christen und ‚Götzendiener' in den gleichen
begrifflichen Topf warfen, mussten Breitseiten gegen die Römer und
gegen ‚Götzendiener' plötzlich als Angriffe gegen die Christen, ja
gegen alle Nicht-Juden erscheinen.[1]
Emanuel Deutsch schreibt dazu (Der Talmud, Berlin 1869):
"In der Baseler Ausgabe [des Talmud]
von 1578 - die dritte der Zeit nach und seitdem fast ausschließlich
die Musterausgabe - trat jene wunderliche Creatur, der Censor, auf
die Bühne. In seiner Angst um den "Glauben" , den er vor aller und
jeder Gefahr zu schützen hatte - denn man meinte, der Talmud berge
unter den allerunschuldigst aussehenden Worten und Wendungen
allerlei Bitteres gegen das Christenthum - führte dieser
gewissenhafte Beamte merkwürdige Dinge aus. (…) Ein- oder zweimal
ist es versucht worden, den Text von seinen häßlichsten Flecken zu
säubern. Vor etwa zwei Jahren wurde sogar ein Anlauf zu einer
"kritischen" Ausgabe genommen, wie es deren nicht blos für
griechische und römische, sanskritische und persische Classiker
giebt, sondern wie man sie für den reinsten Schund in diesen
Sprachen längst veranstaltet haben würde. Auch fehlt es (…) durchaus
nicht an talmudischen Handschriften, wie fragmentarisch sie auch
zumeist seien. Unzählige Lesarten, Zusätze und Berichtigungen wären
aus den Codices der Bodleiana und des Vatikans, der Bibliotheken von
Odessa, München und Florenz, Hamburg und Heidelberg, Paris und Parma
heranzubringen. Allein ein böses Auge scheint auf diesem Buche zu
ruhen. Jene berichtigte Ausgabe bleibt ein Trümmerstück, gleich den
beiden ersten Bänden von Talmudübersetzungen - zu verschiedenen
Zeiten begonnen, deren zweite Bände nie das Licht der Welt erblickt
haben. Es schien daher rathsam auf die Editio princeps zu verweisen,
als diejenige, welche zum Wenigsten von den Censur-Unbilden späterer
Zeitalter frei geblieben." (S. 6/7)
Erst Lazarus Goldschmidt unternahm
(während mehrerer Jahrzehnte, zwischen 1897 und 1936) die
vollständige deutsche Übersetzung des unzensierten Talmud in 12
Bänden. Dies änderte jedoch wenig: Die Grundlage der
gesamteuropäischen, antisemitischen Zitier- und
Abschreibgemeinschaft hat bis heute Bestand: Die Fälschungen der
Index-Kongregation wurden über die Jahrhunderte weitergereicht,
verschärft und mit weiteren Kompilationen angereichert, die niemand
nachprüfen konnte oder wollte.
Eine der international schlimmsten
Früchte (Entdecktes Judentum) legte im Jahr 1700 der Heidelberger
Orientalist Johann Andreas Eisenmenger (1654-1704) vor.[2]
Er gab an, mit dem Werk auf die Konversion einiger Christen zum
Judentum reagiert zu haben. Die Intervention von Samson Wertheimer
am österreichischen Hof vermochte es, die Verbreitung des Werks zu
verhindern, bis dessen Inhalt geprüft sei. Nach Eisenmengers Tod
erlaubte der preußische König Friedrich I. jedoch auf eigene Kosten
einen Neudruck des Werks in Königsberg (1711) – eine Prüfung war
nicht erfolgt.
Mit August Rohling und seinem Der
Talmud-Jude trat im Jahr 1871 ein Mann in Eisenmengers Fußstapfen,
der seine wissenschaftliche Skrupellosigkeit offen einräumte: In der
2. Auflage des Werks wies er jede Kritik zurück, "weil es mir zu
irrelevant ist nachzuschlagen". Diese Aufgabe übernahm noch im Jahr
des Erscheinens der Rohling'schen Fälschung der Hannoveraner
Rabbiner und Seminardirektor I. Kroner.
In zwei Abteilungen unter dem Titel
Entstelltes, Unwahres und Erfundenes in dem "Talmudjuden" Professor
Dr. August Rohling's (Münster 1871) wies Kroner nicht nur nach, dass
sich die Masse der Rohling'schen Angaben in den angegebenen Quellen
nicht so oder überhaupt nicht fanden, sondern auch, dass Rohling aus
Eisenmenger, vor allem aber aus dem 1869 in Paris erschienenen
Pamphlet des Roger Gougenot des Mousseaux Le juif, le judaïsme et la
judaisation des peuples chrétiens abgeschrieben hatte, ohne die
Quelle zu nennen. Damit erfüllte Rohling nicht nur den Tatbestand
der Fälschung, sondern auch den des Plagiats. "Woher die Neigung
nach Frankreich, jetzt, wo es Patriotismus ist, deutsch zu sein?"
fragt Kroner und kommt zum abschließenden Ergebnis: "Der Herr
Professor kennt den Talmud fast gar nicht und kann nicht ein Blatt
in demselben ohne Fehler lesen, wenn er nicht vorher noch lange
Studien an der Hand eines Talmudkundigen gemacht."[3]
Diese Diagnose sollte – in Gestalt
des Aron Briman – von der Wirklichkeit noch übertroffen werden.
Briman war getaufter Jude, d.h. "nach einander Jude, Protestant und
Katholik"[4]. Sein Der Judenspiegel (1883)
erschien anonym in Paderborn und wiederholte bereits bekannte
Talmud-Zitat-Fälschungen. Als eine Tageszeitung in Münster Auszüge
druckte, kam es zum Prozess. Ein Dr. Jacob Ecker erbot sich als
Gutachter, ohne hebräische oder gar talmudische Kenntnisse zu haben.
Er ließ kurzerhand Briman das Gutachten selbst schreiben (Der
Judenspiegel und die Wahrheit) und auf diese Weise dem Urteil
entkommen. Als Gegenleistung ließ Ecker Brimans Judenspiegel danach
nicht nur unter eigenem Namen erscheinen (Die Hundert Gesetze des
Judenkatechismus) – um eine Professur zu erhalten. Er empfahl Briman
auch gleich weiter – an August Rohling in Österreich, als Berater
bei dessen talmudischer Materialsuche.
Rohling war gerade mit einer
Artikelserie in der "Tribüne" gegen seine Kritiker beschäftigt, in
einer Gazette, "die unter gewichtiger Unterstützung gedruckt wurde,
um in Wien das tschechische Evangelium zu predigen und die liberale
deutsche Partei zu bekämpfen." Rohling publizierte die Artikel noch
im Jahr 1883 als Band unter dem Titel Meine Antworten an die
Rabbiner oder fünf Briefe über den Talmudismus und das Blutritual
der Juden.[5] Nach Rohlings eigenen
Angaben vom 23. Juni 1883 (in Prag) sollen bereits zu diesem
Zeitpunkt 200 000 Exemplare verbreitet worden sein – Rohling war
längst ein gemachter Mann.
Es war die Zeit, als auch der Fall
von Tisza-Eszlar Schlagzeilen machte:
"Das war ein Ereigniß, das in ganz
Europa Aufsehen machte; aber nicht der an sich nicht ungewöhnliche
Kriminalfall erregte die Aufmerksamkeit, nicht die Frage, ob und von
wem das Mädchen Esther ermordet wurde, kam in Betracht, sondern
lediglich das Motiv des fraglichen Mordes. Ein Raubmord war von
vorhinein ausgeschlossen, ebenso fehlte der Anhaltspunkt für die
Annahme eines Lustmordes oder eines Mordes aus Rache. - Alles drehte
sich darum, ob hier ein Mord aus religiösen Motiven und zwar nicht
zur Vergeltung einer religionsfeindlichen Aeußerung oder Handlung
der Ermordeten, sondern in Ausübung einer religiösen Pflicht, als
gottesdienstliche Handlung, kurz ein ritueller Mord begangen wurde,
und so beschämend es für die selbst-gefällige Vergötterung unseres
aufgeklärten (?) Zeitalters klingen mag, muß es gesagt werden, daß
es Tausende und aber Tausende aus allen Ständen und Berufsklassen
gibt, welche glaubten und noch glauben, daß die jüdische Religion
den rituellen Christenmord und den Genuß des dadurch gewonnenen
Christenblutes gebietet oder mindestens empfiehlt. Die Antisemiten
versahen sich auch ihres Vortheiles, sie beeilten sich, die
Situation auszunützen und das Bildniß (?) des rituell geschlachteten
Mädchens, der armen zum jüdischen Gottesdienste geopferten Christin,
wurde dem großen Antisemitencongresse in Dresden vorgeführt. (…) Und
nun tritt Rohling auf den Plan. Mit anwidernder Beflissenheit drängt
er sich heran, um aus dem Schatze seiner von allen Fachgenossen
verläugneten Gelehrsamkeit Beweise für den rituellen Christenmord
als jüdisches Religionsgebot beizubringen und sich zur eidlichen
Bekräftigung vor Gericht zu erbieten. Er schreibt endlich ein Buch
unter dem Titel "Die Polemik und das Menschenopfer des Rabbinismus",
worin er Beweisstelle auf Beweisstelle häuft, und auch von diesem
Buche sind schon über 2000 Exemplare abgesetzt."[6]
Schon den Gerichten in Dresden und in
Habelschwerdt in Preußisch-Schlesien hatte Rohling mit schriftlichen
Gutachten gedient, in denen er "fast in der Form eines
antisemitischen Glaubensbekenntnisses alle behaupteten
Scheußlichkeiten der jüdischen Religion" aufzählte. Die Behauptung,
der rituelle Mord sei eine mündliche Geheimlehre der Juden, die oft
befolgt worden sei, verknüpfte er mit dem Satz: "Ich kann auch dies
auf Verlangen amtseidlich erhärten". Oder er sei "jederzeit bereit,
hierauf einen heiligen Eid zu leisten"[7].
Auch zum Prozess in Tisza-Eszlar brachte sich Rohling ins Spiel. Als
Lockspeise für die Richter diente ihm nun die (selbstverständlich
absurde) Behauptung, er habe soeben (sozusagen als erster Hebraist
der Menschheitsgeschichte) Kenntnis von schriftlichen jüdischen
Quellen zum mündlichen Ritualmord-Gebot erhalten:
An den Herrn Abgeordneten Geza Onody
in Tisza-Eszlar.
Prag, am 19. Juni 1883.
Nachdem ich in meinen "Antworten an
die Rabbiner" gesagt habe, daß ich im Talmud, soweit wir denselben
im Druck kennen, keinen Beweis für den rituellen Mord der Juden
gefunden habe, so discutiren die Juden darüber, daß derartiges in
ihrer Litteratur überhaupt nicht vorkomme.
Ich erachte es für meine Pflicht,
jetzt, wo ein solcher Fall gerade vor Gericht verhandelt wird, Euer
Hochwohlgeboren zu verständigen, daß ich nach Verfassung meiner
obigen Schrift in den Besitz eines durch die Jerusalemer
Unternehmung des Moses Montefiore noch im Jahre 1868 hinausgegebenen
solchen hebräischen Werkes gelangt bin, auf dessen Seite 156a
geschrieben ist, daß das Vergießen des Blutes einer nicht jüdischen
Jungfrau für die Juden eine überaus heilige Handlung, daß das so
vergossene Blut dem Himmel sehr angenehm und den Juden Gottes
Erbarmen verschaffe.
Dies ist ein kurzer Auszug der ganzen
Stelle, welche ich wortgetreu binnen kurzem der Oeffentlichkeit
übergeben werde. -
Auf die Wahrheit des Obigen bin ich,
wenn es nothwendig ist, bereit, hier vor Gericht auch einen Eid zu
leisten.
Dr. August Rohling m. p., kaiserl.
königl. Universitätsprofessor in Prag.[8]
Rohlings menschenverachtende
Dreistheit provozierte im Juli 1883 vier Zeitungsartikel von Dr.
Joseph Samuel Bloch in der "Wiener allgemeinen Zeitung." Bloch,
Bezirksrabbiner in Floridsdorf bei Wien und österreichischer
Reichsratsabgeordneter [9], bezichtigte
Rohling darin des wiederholten Meineids. Doch Rohling zögerte mit
einer Reaktion. Da setzte Bloch mit weiteren 4 Artikeln in der
"Morgenpost" (1. bis 4. Juli 1883) unter dem Titel Das Angebot des
Meineids nach und forderte Rohling noch einmal heraus. Auszüge:
" ... so erbietet er sich dem
Gerichte in Nyiregyhaza zur eidlichen Aussage, daß die Juden zu
ihrer Gottesverehrung Christenblut nöthig haben. Dieser Herr weiß
das ganz genau, denn er ist o. ö. Professor der hebräischen
Alterthümer zu Prag! Wohl ist er nicht in der Lage, eine einzige
Zeile hebräisch korrekt zu lesen, für seine verläumderische Anklage
auch nur den Schatten eines Beweises vorzubringen; allein er besitzt
- einen Eid, der sich bereits des öfteren als felsenstark erwiesen
hat, so stark, daß er Mauern brechen und vermittelst welchem er auch
Alles vor Gericht beweisen kann, Alles was ihm einfällt und
beliebt."
"Gegen diese stets drohende Gefahr
eines Meineides auf Verlangen müssen wir uns schützen."
"Ich fühle mich deswegen durch mein
Gewissen genöthigt, neuerdings gegen den genannten Herrn wegen
seiner angebotenen zeugeneidlichen Aussage öffentlich die Anklage
des angebotenen Meineides zu erheben und bin bereit, diese schwere
Anklage vor jedem Forum zu begründen."
"Da er dennoch für all seine
horrenden Lügen keinen anderen Wahrheitsbeweis übrig hat, als - den
viel mißbrauchten Eid und da er gar diesen Eidschwur anbietet, um
zeugeneidlich eine plumpe Erdichtung verbündeter Unwissenheit und
Böswilligkeit zu erhärten, so muß er sich gefallen lassen, daß man
öffentlich gegen ihn die Anklage des angebotenen Meineides erhebt."
"Und nicht allein das, auf Verlangen
wird dieser Herr beeiden, daß die Juden von Religionswegen - Diebe
sind und die Christen bestehlen dürfen, nicht blos, sondern sogar es
müssen! Auf Verlangen wird er beschwören, daß die Juden von
Religionswegen gegen Christen allerlei Betrug verüben. Auf Verlangen
wird er beeiden, daß der Meineid den Juden keine Sünde ist und die
Ableistung eines falschen Eides gegenüber den Christen nach ihren
Religionsgesetzen eine gottgefällige Handlung sei. Das ist bei Leibe
keine Ironie, auch keine Uebertreibung, sondern schauderhafte nackte
Wahrheit, dieser Herr hat alles das nicht blos beeiden wollen,
sondern auch bereits thatsächlich beeidet - auf Verlangen."
"Seine erlogenen talmudischen Citate
hat er bereits wiederholt feierlich beeidet."
"Ein k. k. Professor mit wiederholten
falschen Eidesleistungen ist ein Unicum selbst in der bunten
wechselreichen Geschichte österreichischer Universitäten."[10]
Wie erhofft, musste Rohling reagieren
und überreichte am 10. August 1883 bei dem k. k. Landesgericht Wien
z. Z. 29028 Anklage gegen Bloch wegen Beleidigung. Damit eröffnete
sich eine historische Möglichkeit, Talmud-Fälschungen und die damit
einhergehende 'aufreizende Rede' gegen Staatsbürger endlich
gerichtlich nachweisen und verfolgen zu können. Bis dahin waren
öffentliche Ankläger in Österreich meist zurückgeschreckt, die
Richtigkeit von 'Zitaten' zu überprüfen. Man beurteilte lediglich
die 'Strafbarkeit aufreizender Reden' und landete damit zumeist bei
Freisprüchen durch die Geschworenen. In einigen Fällen vor deutschen
Gerichten wurden zwar Sachverständige mündlich bestellt, die aber
die Geschworenen verwirrten. In anderen Fällen wurden beiden
Parteien Sachverständige zugestanden, die sich dann in Disputationen
vor Gericht neutralisierten. Bloch erreichte nun einen Prozess, der
beim Schwurgericht des k. k. Landesgerichts Wien mit ausgiebigerer
Vorbereitung geführt werden sollte.
Blochs Verteidiger war Dr. Josef
Kopp, Hof- und Gerichtsadvokat und Abgeordneter des
niederösterreichischen Landtags und des österreichischen Reichsrats.
In seinem 1886 in Leipzig erschienenen Werk Zur Judenfrage nach den
Akten des Prozesses Rohling-Bloch [11]
berichtet Kopp nicht nur eingehend über die Prozessgeschichte,
sondern fasst – Punkt für Punkt – insbesondere die Gutachten der
beiden – christlichen – Gutachter zusammen, des Straßburger
Orientalisten Theodor Nöldecke und des Dresdner protestantischen
Theologen August Wünsche, die schließlich vom Gericht akzeptiert
wurden.
Zuvor hatten durchweg alle
angefragten Fakultäten und Fachleute Rohlings Machenschaften
verurteilt. Stellungnahmen kamen von den theologischen Fakultäten
der Universitäten in Amsterdam, Leiden, Utrecht und Kopenhagen, vom
katholischen Bischof Kopp von Fulda, vom altkatholischen Bischof
Reinkens, von den Professoren D. A. Dillmann, Dr. Ebers in Leipzig
(der Rohling eines "schweren, fluchwürdigen Verbrechens" zieh), von
Dr. Fleischer in Leipzig, Dr. Kalkar in Kopenhagen, (sogar) von Paul
de Lagarde in Göttingen, von Dr. Friedrich Müller in Wien, Dr. Riehm
in Halle ("häßliche Ausgeburt des Fanatismus und der Unwissenheit"),
von Dr. Sommer in Königsberg, Dr. Stade in Gießen, Dr. Strack in
Berlin ("seltene Vereinigung von Unwissenheit, verblendetem Haß und
Böswilligkeit"), von D. Merx in Heidelberg ("unqualifizirbar dumm
und schamlos"), Dr. Siegfried in Jena ("Cloake von Lüge und
Gemeinheit" – Rohling kenne "keine Gesetze der Sitte und der
Sittlichkeit", ein "notorischer Ignorant"), von Dr. Baumgarten in
Straßburg und von Dr. Köhler in Erlangen ("Unredlichkeit und blinder
Fanatismus"). Auf Anregung des anwesenden Prof. Dr. Schlottmann
erklärte sich der gesamte, soeben in Leiden tagende, sechste
internationale Orientalisten-Kongress gegen Rohling. [12]
Dr. G. Bickell, Professor der katholisch-theologischen Fakultät an
der Universität Innsbruck, bat das Wiener Landgericht, von seiner
Berufung als Gutachter abzusehen. Er sei "seit 20 Jahren" mit
Rohling befreundet und müsse sonst gegen ihn, gegen den "Schwindel
gelehrter Industrieritter" aussagen.[13]
Und doch – jüdische Quellen, wie
Kroner's Widerlegungen aus dem Jahr 1871, mussten beim Prozess ganz
außen vor bleiben. Kopp begründet dies so:
"Die Situation zwang ihn [Dr. Bloch],
wenn er auf der Geschwornenbank und im großen Publikum Glauben
finden wollte, die Bestellung christlicher Sachverständiger
geradewegs zu verlangen, und zwar in einer Zeit, da die
antisemitischen Wogen so hoch gehen, daß sie bekanntlich auch vor
der Schwelle mancher Gelehrtenstube nicht zurückweichen."[14]
Freilich wurde im Gegenzug Rohlings
Wunsch, ausgerechnet "Dr. Brimanus und den Dr. Ecker in Münster" als
Gutachter zu bestimmen, vom Gericht ebenfalls nicht entsprochen:
"Brimanus" wurde stattdessen in anderer Sache "wegen Betrug in
Untersuchungshaft genommen und von demselben k. k. Landesgerichte,
dem er zur Bestellung als Sachverständiger vorgeschlagen wurde,
wegen Urkundenfälschung zu mehrmonatlicher Kerkerstrafe und
Landesverweisung verurtheilt."[15]
Kopp erwirkte für die Verteidigung
beim Gericht eine Vorbereitungszeit von 1 ½ Jahren. Für die
Gutachter wählte der Jurist über 300 Textpassagen zur Übersetzung
aus dem Hebräischen und zur Kommentierung aus.
"Diese Masse von Texten, die gedruckt
80 Foliospalten füllten, wurden nun von mir nach Gruppen, die sich
nach der Natur der Sache ergaben, systematisch geordnet und noch
spezielle Fragen eingefügt. Die betreffende Eingabe an das
Landesgericht füllte 42 gedruckte Foliospalten. Das Landesgericht
übermittelte das Ganze Ende Jänner 1885 den Sachverständigen, und
stellte dem Hrn. Rohling zu Handen seines Vertreters frei,
seinerseits ergänzende und Zusatzfragen zu stellen. Rohling machte
von diesem Rechte keinen Gebrauch. Ende Juni 1885 langte das 190
Bogen starke Gutachten an, welches über mein Ansuchen noch durch
einen kleinen Nachtrag ergänzt wurde."[16]
Die Vorbereitungen waren damit – nach
nahezu zwei Jahren – beendet. Der Prozess wurde auf den 18. November
1885 bestimmt. 13 Sitzungstage waren anberaumt – da zog Prof. Dr.
August Rohling seine Anklage im letzten Moment zurück. Kopp konnte
nur noch kommentieren:
"So gering auch die Bedeutung einer
Druckschrift ist gegenüber der Wirkung einer öffentlichen mit allen
Garantien des Rechtsschutzes für Kläger und Geklagten durchgeführten
Verhandlung, will ich doch das aufgesammelte Materiale nicht ganz
verloren gehen lassen. Die vollständige Verwerthung desselben würde
ein Werk von etwa zwei Bänden erfordern, dazu fehlt einem Manne, der
nur die von der Berufsarbeit erübrigenden, der Erholung abgesparten
Stunden verwenden kann, die Zeit, und für eine solche Arbeit würde
sich auch nur ein ganz kleines Lesepublikum finden, ich werde daher
im Folgenden nur einen kurzen Auszug der markantesten Punkte
bringen."[17]
Kopp hat mit seinem Werk Zur
Judenfrage nach den Akten des Prozesses Rohling-Bloch dennoch eine
unvergleichliche Quelle geschaffen. Angesichts der bis heute
reichenden, rechtsextremistischen Agitation ist sie – wie Kroner's
Werk aus dem Jahr 1871 – nicht nur von historischem, sondern von
aktuellem juristischen Interesse für Anwälte und
Staatsanwaltschaften. Rabbiner Joseph Samuel Bloch selbst gab
schließlich im Jahr 1890 die vollständige Dokumentation der Acten
und Gutachten in dem Prozesse Rohling contra Bloch heraus (Wien: M.
Breitenstein) und beschrieb in Erinnerungen aus meinem Leben (Wien
1922, 3 Bd.) weitere Details.
August Rohlings Der Talmudjude konnte
durch die fehlende Insistenz der österreichischen und deutschen
Staatsanwaltschaften über weitere Jahrzehnte hinweg ungehindert neu
aufgelegt werden und nahm schließlich den Weg in die NS-Propaganda.
Rohling selbst (er starb 1931) versuchte, den Marktwert seines Werks
durch Übersetzungen in andere Sprachen und pompöse Rückübersetzungen
ins Deutsche zu erhöhen. So ließ er noch 1889 eine französische
Übersetzung edieren und gewann dazu Édouard Drumont, der das Vorwort
schrieb und weiteres 'Material' beisteuerte.[18]
Unmittelbar darauf wurde Prof. Dr. Aug. Rohling's Talmud-Jude der
deutschen Leserschaft mit dem Zusatz neu angeboten: "Mit einem
Vorwort von Eduard Drumont aus der auch anderweitig vermehrten
französischen Ausgabe von A. Pontigny, in das Deutsche
zurückübertragen von Carl Paasch".[19]
Die Quelle, aus der Rohling
hauptsächlich abgeschrieben hatte, Roger Gougenot des Mousseaux' Le
juif, le judaïsme et la judaisation des peuples chrétiens aus dem
Jahr 1869, machte ebenfalls Karriere: Alfred Rosenberg übersetzte
das Werk im Jahr 1921 unter dem Titel Der Jude, das Judentum und die
Verjudung der christlichen Völker.
David I. Kertzer (Die Päpste und die
Juden. Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemitismus,
dt. bei Propyläen, München 2001) bezeichnet Des Mousseaux' Buch als
"die erste bedeutende Schrift über den Ritualmord seit der
Damaszener Affäre" (1840). Papst Pius IX gab dem Werk "seinen Segen"
und verlieh Des Mousseaux "sogar einen hohen päpstlichen Orden.
[...] Beides wurde in späteren Auflagen erwähnt, und auch in anderen
Werken [Albert Monniot: Le crime rituel chez les juifs (Paris 1914)]
hob man dies hervor, um dem Vorwurf, dass Juden in Ausübung ihrer
Religion Christenkinder ermordeten, mit dem Rückhalt päpstlicher
Autorität zu versehen."
Als elektronische Volltexte
(pdf-Dateien) sind im DISS-Archiv vorläufig verfügbar:
Emanuel Deutsch [Bibliothekar
am Britischen Museum in London, Mitglied der Deutschen
Morgenländischen Gesellschaft, der K. Asiatischen Gesellschaft
u.s.w.],
Der Talmud. Aus der siebenten englischen Auflage ins Deutsche
übertragen. Autorisirte Ausgabe. Zweite Auflage. (Ferd.
Dümmler's Verlagsbuchhandlung (Harrwitz und Großmann)) Berlin 1869.
[61 Druckseiten – 124 500 Zeichen]
Entstelltes, Unwahres und Erfundenes in dem
"Talmudjuden" Professor Dr. August
Rohling's. Nachgewiesen vom Rabbiner Dr. [I.] Kroner,
Seminar-Director. [I. Theil] (E. Obertüschen) Münster 1871
[51 Druckseiten – 58 400 Zeichen]
Entstelltes, Unwahres und Erfundenes in dem
"Talmudjuden" Professor Dr. August
Rohling's. Nachgewiesen vom Rabbiner Dr. [I.] Kroner,
Seminar-Director. [II. Theil] (E. Obertüschen) Münster 1871
[70 Druckseiten - 93 000 Zeichen]
[Dr.] Josef Kopp [Hof-
und Gerichtsadvokat, Abgeordneter des n.ö. Landtags und des österr.
Reichsraths],
Zur Judenfrage nach den Akten des Prozesses Rohling-Bloch
(Verlag von Julius Klinkhardt) Leipzig 1886.
[196 Druckseiten – 419 000 Zeichen]
Anmerkungen:
[1] Ismar, Schorsch, Jewish Reactions to German
Anti-Semitism, 1870-1914. New York and London (Columbia University
Press) 1972, S. 109
[2] Johann Andreä Eisenmengers Entdecktes
Judenthum oder Gründlicher und wahrhaffter Bericht, welchergestalt
die verstockte Juden die hochheilige Drey-Einigkeit, Gott Vater,
Sohn und Heil. Geist erschrecklicher Weise lästern und verunehren,
die Heil. Mutter Christi verschmähen, das Neue Testament, die
Evangelisten und Aposteln, die Christliche Religion spöttisch
durchziehen, und die gantze Christenheit auff das äusserste
verachten und verfluchen: dabei noch viel andere, bißhero unter den
Christen entweder gar nicht oder nur zum Theil bekant gewesene Dinge
... ; alles aus ihren eigenen und zwar sehr vielen mit grosser Mühe
und unverdrossenem Fleiß durchlesenen Büchern mit Ausziehung der
hebräischen Worte und derer treuen Ubersetzung in die Teutsche
Sprach kräfftiglich erwiesen und in zweyen Theilen verfasset, deren
jeder seine behörige, allemal von einer gewissen Materie außführlich
handelnde Capitel enthält; allen Christen zur treuhertzigen
Nachricht verfertiget und mit vollkommenen Registern versehen. -
Königsberg, [1711]
[3] Kroner 1871, I. S. 46/47.
[4] Heinrich Rickert 1893 im preußischen
Abgeordnetenhaus. Vgl. Der Religionsunterricht im Abgeordnetenhause.
In: Allgemeine Zeitung des Judenthums 57(1893)Nr.7 vom 17. Februar
1893, S. 75-77
[5] Kopp 1886, S. 22 (s. Anm. 11)
[6] Kopp 1886, S. 9 (s. Anm. 11)
[7] Kopp 1886, S. 15 (s. Anm. 11)
[8] Kopp 1886, S. 16 (s. Anm. 11)
[9] Vgl. Joseph Samuel Bloch, Gegen die
Anti-Semiten: eine Streitschrift. Wien: Löwy, 1882, 39 S.
[10] Kopp 1886, S. 17/18 (s. Anm. 11)
[11] Josef Kopp, Zur Judenfrage nach den Akten
des Prozesses Rohling-Bloch (Klinkhardt) Leipzig 1886.
[12] Kopp 1886, S. 183/4
[13] Kopp 1886, S. 26
[14] Kopp 1886, S. 22.
[15] Kopp 1886, S. 25
[16] Kopp 1886, S. 27.
[17] Kopp 1886, S. 29.
[18] August Rohling, Le juif selon le Talmud;
édition française considérablement augmentée par A. Pontigny;
préface d'Édouard Drumont (Albert Savine) Paris 1889
[19] Deutschnationale Buchh. u. Verl.-Anst.,
Berlin 1890.
hagalil.com
18-02-2005
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