Bielefelder Studie zur gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit:
Zunehmender Hass auf Schwule, Muslime, Juden, Obdachlose...
Studie:
"Frauen sind rassistischer"
Sozialforscher haben ermittelt,
dass Fremdenfeindlichkeit in Deutschland seit 2002 stark gestiegen
ist. Auffallend ist ein starker Mann-Frau-Unterschied
VON PHILIPP GESSLER
Die Gesellschaft spaltet sich immer
tiefer in Gewinner und Verlierer - und die Minderheiten und
Schwachen im Staate werden vermehrt zu Sündenböcken. So könnte man
kurz eine Langzeituntersuchung zusammenfassen, deren diesjährige
Ergebnisse Wilhelm Heitmeyer gestern vorgestellt hat. Der Leiter des
Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und
Gewaltforschung kommt zu alarmierenden Ergebnissen: Im Vergleich zu
2002 ist die Fremdenfeindlichkeit stark gestiegen. Der Forderung
nach einer Abschiebung von Ausländern, sobald Arbeitsplätze knapp
werden, stimmt über ein Drittel zu.
Nach den Daten der Studie sind fast 60 Prozent der Deutschen der
Meinung, "es leben zu viele Ausländer in Deutschland". Vor zwei
Jahren waren es noch etwa fünf Prozent weniger. Um fast neun Prozent
stieg die Zahl der Menschen, die dem Satz beipflichten: "Wenn
Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland lebenden
Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken." Eine klassische
NPD-Forderung. Geht man nach diesen Zahlen, dürften die Neonazis
gute Chancen haben, in zwei Jahren in den Bundestag einzuziehen. "In
der politischen Mitte verschieben sich die Normalitäten", warnt
Heitmeyer.
Zugenommen haben auch die Zahlen der Menschen, die etwas gegen
Homosexuelle, Behinderte und Obdachlose haben. "Es ist ekelhaft,
wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen" - einer solchen
Aussage stimmen zumindest teilweise über 37 Prozent der Bevölkerung
zu, etwa fünf Prozent mehr als noch vor vier Jahren. Zudem ist die
Zahl überzeugter Antisemiten im Lande seit 2002 klar gestiegen. So
sagten über zehn Prozent der Deutschen: "Juden haben in Deutschland
zu viel Einfluss" (2002: 6,9 Prozent). Weitere zehn Prozent stimmen
dieser Aussage "eher zu". Und 62 Prozent der Deutschen sagen, sie
seien es leid, "immer wieder von den deutschen Verbrechen an den
Juden zu hören". Der "Schlussstrich" ist mehr als populär.
Eine Besonderheit stellte Heitmeyers Institut bei der Analyse der
Mann-Frau-Unterschiede fest: "Frauen sind fremdenfeindlicher,
rassistischer und islamophober als Männer", schreiben die
Forscherinnen und Forscher knapp. Sie erklären sich das unter
anderem damit, dass sich Frauen eher durch Fremde bedroht fühlten
als Männer. Vor allem "niedriger qualifizierte Frauen aus
Ostdeutschland" hingen Vorurteilen gegenüber Fremden und Muslimen
an. "Diese Frauen gehören gleichzeitig zu denen, die am stärksten
unter Desintegration zu leiden haben", heißt es. Sie warnen
zugleich: "Vorsicht ist geboten, einen neuen Mythos feindseliger
Frau zu begründen!"
Die Fremdenfeindlichkeit in ganz Deutschland ist gestiegen - der
Osten aber liegt weit vorn. So stieg die als fremdenfeindlich
eingestufte Gruppe in Ostdeutschland von 46 Prozent 2002 auf 56
Prozent. Im Westen waren es 31 und 36 Prozent. Der Antisemitismus
ist dagegen unter Wessis stärker als unter Ossis.
Was aber ist der übergeordnete Grund dafür, dass "gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit", wie Heitmeyer all diese Feindseligkeiten
nennt, steigt? "Mit sinkender sozialer Lage, mit wachsenden
Befürchtungen, von Desintegrationsprozessen betroffen zu sein, und
mit Antizipation von zunehmenden Spaltungsprozessen neigen Personen
zunehmend dazu, Minderheiten in unserer Gesellschaft abzuwerten,
einer Ideologie der Ungleichwertigkeit ,aufzusitzen' und auf einen
drohenden Ausschluss mit der Übernahme zum Beispiel von
rassistischen, antisemitischen, islamophobischen Auffassungen zu
reagieren."
taz Nr. 7530 vom 3.12.2004, Seite 4, 119
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