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Antisemitismus aus kritisch-theoretischer Sicht
Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildungsarbeit in einem gesellschaftlichen Problemfeld


Von Ingolf Seidel
Besonderheiten sekundär antisemitischer Muster

5.3.1. Sekundär antisemitisch motivierter Antizionismus in der BRD

Ein letztes sekundär-antisemitisch konnotiertes Motiv, welches ich auch aus Gründen seiner Relevanz in der politischen Bildungsarbeit gesondert untersuchen werde, stellt der deutsche nicht-jüdische Antizionismus dar. Dieser ist deutlich zu scheiden von einer inner-jüdischen Kritik am Zionismus.

An der Oberfläche richtet sich antisemitischer Antizionismus gegen tatsächliche oder vorgebliche Ungerechtigkeiten und Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung in den von Israel besetzten Gebieten. Seinen Entstehungszusammenhang hat der bundesdeutsche Antizionismus in der politischen Linken, geht aber über diese hinaus, wie die Äußerungen des inzwischen verstorbenen FDP-Politikers Jürgen W. Möllemann gezeigt haben. In der politischen Bildungsarbeit begegnet man in Jugendgruppen, die sich selbst als ‚links’ oder alternativ’ verstehen, rein affektiven Solidarisierungen mit der arabisch-palästinensischen Bevölkerung in Israel und den besetzten Gebieten. Der antisemitisch motivierte Antizionismus ist hierbei zu trennen von der realen Situation in Israel und den umliegenden arabischen Staaten. Israel dient solcherart Antisemitismus allenfalls als Projektionsfläche. Gültigkeit möchte ich den nachfolgenden Betrachtungen nur zusprechen für autochthone Deutsche, deren Vorfahren im Wirkungszusammenhang mit dem Holocaust gestanden haben[227]. Resultiert der sekundäre Antisemitismus aus Schuldabwehr und einer infantilen Fixierung auf die Opfer von Auschwitz, so werden diese nicht nur zur gefürchteten moralischen Instanz, sondern auch zu einer moralisch positiv überhöhten. Deren Ausdrucksform als Philosemitismus hat jahrzehntelang die offizielle Darstellung der Haltung der westdeutschen Demokratie gegenüber allem Jüdischen bestimmt.

"Der Philosemitismus wurde zur moralischen Legitimierung des demokratischen Charakters"[228]

der Post-Holocaust Gesellschaft. Er ist aber eine dünne Deckideologie geblieben, da er sich aus der gleichen Quelle speist wie offene sekundäre Antisemitismus. Ein philosemitisches Bekenntnis zu Israel ist für die deutsche Nachkriegslinke konstitutiv gewesen[229]. Vor allem gilt das für die sogenannte Neue Linke, die sich in Kritik am Krieg in Vietnam und der autoritären Post-Holocaust Gesellschaft in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts formiert hat.

"(D)ie stereotype Bewunderung von Israel und der israelischen Gesellschaft, die Begeisterung für die Kibbuzim und die Heroisierung der jüdischen Pioniere, sind Belege dafür, daß der Pro-Israelismus der Linken nicht nur aus dem Bewußtsein politischer Verantwortung, sondern auch von Befangenheit, latenten Schuldgefühlen (...) geprägt war.[230]

Mit dem sogenannten 6-Tage Krieg ändert sich solche Bewunderung abrupt. Das offizielle Westdeutschland schwärmt, wie die Bild-Zeitung, vom israelischen Blitzkrieg. Eine Formulierung in welcher nicht zufällig die Sprache der Nationalsozialisten zum Ausbruch kommt. Weite Teile der Neuen Linken rücken von ihrem philosemitischen Israelbild ab und titulieren den Staat, dessen Gründung weitgehend der Vernichtung des europäischen Judentums geschuldet ist, als ‚imperialistisch-faschistisches Staatsgebilde’[231]. Eine Beschreibung, die nicht nur unerträglich ist durch den Vergleich Israels mit dem Faschismus und die noch ergänzt wird durch die historische Anamnese, wenn vom "Holocaust an den Palästinensern" geschrieben wird[232] oder der derzeit amtierende israelische Ministerpräsident Ariel Sharon mit Hitler gleichgesetzt wird. Die Rede vom ‚Staatsgebilde’ setzt implizit scheinbar organisch-naturhaft gewachsene Nationen versus den jüdischen ‚künstlichen’ Staat. Hier geschieht ein klarer Rückgriff auf völkische Ideologie. In erster Linie linke Juden haben in den späten 60er Jahren erkannt, welchen Charakter die neue Hypostasierung eines palästinensischen Befreiungskampfes und die Verdammung Israel hat. So schreibt Jean Améry, durchaus solidarisch intendiert, an die Linke:

"Das sowohl politische wie jüdische Nazi-Opfer, das ich war und bin, kann nicht schweigen, wenn unter dem Banner des Anti-Zionismus der alte miserable Antisemitismus sich wieder hervorwagt. Die Unmöglichkeit, Jude zu sein, wird zum Zwang, es zu sein: und zwar zu einem vehement kritisierenden."[233]

Die Identifikation mit der arabisch-palästinensischen Bevölkerung erfüllt für linke Deutsche aber m.E. noch einen anderen psychologischen Zweck. Verbietet sich ihnen aufgrund der eigenen Vergangenheit ein positiver und bruchloser Bezug auf die Nation, was gerade in der Linken häufig begründet wird, so findet in der Identifikation mit dem ‚nationalen Befreiungskampf’ eine Verschiebung des Wunsches statt. Kann das Individuum sich nicht mit dem eigenen nationalen Kollektiv identifizieren und daraus seine psychischen Gratifikationen beziehen, so dienen andere ‚Völker’ als Projektionsfläche des eigenen Verdrängten. Das gilt selbstverständlich nicht nur für Solidarisierungen mit der arabisch-palästinensischen Ethnie, ist dort aber von besonderer Brisanz. Vereint mit einem manichäischen Weltbild von ‚guten’ und ‚schlechten Völkern’ gerät Israel zum Feindbild und bekommt die Funktion des Juden unter den Staaten.

Der aus Erinnerungsabwehr geborene sekundäre Antisemitismus der Linken, getarnt als antizionistische Attitüde, unterscheidet sich in seiner Grundstruktur nicht wesentlich von anderen Antisemitismen. Bei dem deutschen, nicht-jüdischen Antizionismus kommt hinzu, dass er den Anschein des Rebellischen hervorruft. Gepaart mit einer simplen, manichäischen Weltsicht, welche die Welt in ‚gute’ und ‚böse’ Völker teilt und einem häufig verkürzten  Verständnis von Kapitalismus erscheint das rebellische Image eher als konformistische Revolte autoritärer Subjekte. Der von Adorno beschriebene Typus des autoritätsgebundenen low scorers bzw. der starren Vorurteilsfreien, den er als ideologisch starr festgelegt bezeichnet, dürfte diesen Charakter treffen[234]. Adorno beschreibt die Wahl seiner politischen Ideologie als zufällig und in ihrer Rigidität anfällig für totalitäres Denken, was sie in kritischen Situationen für Wechsel ihrer Weltanschauung anfällig macht[235]. Gewissermaßen als ein Prototyp hierfür erscheint die Figur eines Horst Mahler, dessen Vita vom ehemaligen linksradikalen Mitglied der RAF bis zur Mitgliedschaft in der NPD reicht. Eine konstante in dieser Entwicklung stellt der antizionistisch verbrämte bzw. offene Antisemitismus dar.

Der Antizionismus erscheint in der Regel gemeinsam mit einem ausgeprägten Anti-Amerikanismus. Die Vereinigten Staaten von Amerika in solchem Mechanismus die Rolle einer Projektionsfläche für das Ressentiment[236]. Auf die USA, oder wie zur Zeit auf deren Staatspräsidenten, werden die fundamentalen Malaisen des Bestehenden projiziert. Vor dem Hintergrund einer weitverbreiteten aggressiven Erinnerungsabwehr und einer untergründigen Sehnsucht nach ‚nationaler Normalität’ findet hier noch die späte, wenn auch nur symbolische, Rache an der ehemaligen Besatzungsmacht ihren Ausdruck, unabhängig von realen Fehlern der jeweiligen Regierungen. Die scheinbar Schuldigen des allgemeinen kulturellen Niedergangs werden kurzschlüssig in den USA gefunden "und in Amerika selbst wieder die Juden, die angeblich Amerika beherrschen"[237] gleichgesetzt mit dem ‚Wall Street Banker’, also dem Finanzkapital. Was hier, idealtypisch als überspitzt erscheint, ist als ideologische Figur durchaus verbreitet. Ähnlich wie in Bezug auf Israel finden sich im Anti-Amerikanismus die Gleichsetzung mit dem deutschen Nationalsozialismus, welche nicht nur daraus erklärbar sind, dass dieser ein Synonym für das absolut Böse darstellt.

Weder der antizionistische Antisemitismus, noch der affektive Anti-Amerikanismus stellen eine Domäne der politischen Linken dar[238]. Vielmehr zeigt sich auch in ihr die Wiederkehr des Verdrängten, die unaufgearbeitete Vergangenheit, und das Fortwesen der Zustände, die Auschwitz erst ermöglicht haben. Die Verharmlosung des Nationalsozialismus und damit auch des Antisemitismus mit der Funktion, eine, wie auch immer geartete Identität zu erlangen, ist abgekoppelt von der politisch-ideologischen Ausrichtung der Einzelnen zu betrachten. Dies zeigt sich in der "vermeintliche(n) »Entgleisung« der (nunmehr ehemaligen) Bundesjustizministerin Hertha Däubler Gmelin, die sich durch Bush an die Politik von »Adolf-Nazi« erinnert fühlte, ihren Vater Hans Gmelin, während des Nationalsozialismus deutscher Gesandter in Pressburg und im Nachkrieg Oberbürgermeister von Tübingen jedoch unerwähnt ließ."[239]

Die Verstrickungen und Komplizenschaften mit der NS-Tätergeneration affizieren noch immer die deutsche Kultur. Jede weitere Tradierung manifestiert mit zunehmender zeitlicher Entfernung einen sekundären Schuldzusammenhang, anstatt ihn aufzuarbeiten. Ob die politische Bildungsarbeit oder jegliche Pädagogik allein hierauf Antworten bieten kann, erscheint mir angesichts der Tiefe der Problematik fraglich.

  • [227] Der sich immer stärker bemerkbar machende, ebenfalls antizionistisch artikulierte, Antisemitismus von Jugendlichen mit einem Migrationshintergrund hat m.E. zum Teil andere Begründungszusammenhänge. Seine Untersuchung wäre einer gesonderten Arbeit wert. Rassistische Zuschreibungen bezüglich ‚der Araber’ oder ‚der Muslime’ sind in diesem Zusammenhang jedenfalls zurückzuweisen, wie Verharmlosungen eines solchen Antisemitismus ebenfalls entgegenzuwirken ist.

  • [228] Stern: Am Anfang was Auschwitz, a.a.O., S. 265.

  • [229] Selbstverständlich lassen sich auch Beispiele für eine wirkliche Verantwortungsübernahme finden, etwas da wo sich nicht-jüdische Studenten im Winter 1951/52 mit Juden solidarisiert haben, um gegen die Aufführungen der neuen Filme des NS-Propaganda Regisseurs Veit Harlan zu protestieren.

  • [230] Thomas Haury: Zur Logik des bundesdeutschen Antizionismus, in: Léon Poliakov: Vom Antizionismus zum Antisemitismus, Freiburg (ça ira) 1992, S. 134.

  • [231] Vgl. ebda., S. 135.

  • [232] Ebda. S. 148.

  • [233] Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten, Stuttgart (Klett-Cotta) 1977, S: 12.

  • [234] Vgl. Theodor W. Adorno: Starrheit und Integration, in: Ders.: Soziologische Schriften II.2. Gesammelte Schriften Bd. 9.2, a.a.O., (1959), S. 374f.

  • [235] Adorno: Studien zum autoritären Charakter, a.a.O., S. 340f.

  • [236] Die vielfältigen Unterstützungen diktatorischer Regime und die Führung von Kriegen im eigenen politisch-ökonomischen Interesse durch die USA sollen hierbei nicht relativiert werden. Die häufige Einseitigkeit der Kritik an den Vereinigten Staaten von Amerika und die Bilder mit denen dabei gearbeitet wird, verweisen jedoch eher auf den von mir nachfolgend beschriebenen Motivationszusammenhang, denn auf eine ausschließliche Kritik an der US-Hegemonialpolitik.

  • [237] Max Horkheimer: Nachgelassene Schriften 1949 – 1972. Gesammelte Schriften Bd. 14, Frankfurt am Main (Fischer) 1988, S. 408.

  • [238] Zur diskursiven Adaption des Antizionismus in deutschen Medien vgl. auch die Studie des Duisburger Institut für Sprach-und Sozialforschung (DISS): Die Nahost-Berichterstattung zur zweiten Intifada in deutschen Printmedien unter besonderer Berücksichtigung des Israel-Bildes. Analyse diskursiver Ereignisse im Zeitraum von September 2000 bis August 2001, Kurzfassung, http://www.uni-duisburg.de/DISS/Internetbibliothek/Artikel/Artikel_Inhalt.htm.

  • [239] Rensmann: >Alte< und >neue< Formen des Antisemitismus, a.a.O., S. 189.

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13-12-2004


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