antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil


Newsletter abonnieren
Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

2. Autoritärer Charakter als Ideal bürgerlicher Subjektkonstitution

[ZUR DISKUSSION IM FORUM]

Eine Annäherung an die Thematik des Antisemitismus aus kritisch-theoretischer Sicht, wie es meiner Herangehensweise entspricht, widersetzt sich m.E. Versuchen einer griffigen und kurzen Definition dieses komplexen Zusammenhangs. Daher werde ich mich Eingangs der Thematik über die Entwicklung der Genese des Subjekts zuwenden.

Für die politische Bildungsarbeit und deren Möglichkeiten, bzw. Grenzen zur Intervention gegen Antisemitismus ist es von Relevanz das Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft näher zu betrachten, da in der Regel Bildungsarbeit mit ersterem umgeht, ihr Inhalt sich aber auf das Gesellschaftliche bezieht. Dazu kommt, dass ein jegliches Engagement gegen Antisemitismus wirkungslos bleiben wird, wenn SozialpädagogInnen und politische BildnerInnen "nicht genügend über seine psychologischen Wurzeln sowohl auf der individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene"[8] wissen und im Antisemitismus "nicht mehr als eine bedauerliche Entgleisung, ein(en) Rückfall ins Mittelalter"[9] sehen.

Die Kritische Theorie, auch als Frankfurter Schule[10] bekannt, formuliert eine materialistische Kritik der Gesellschaft, die nicht mit Karl Marx bricht und ist zugleich politische Psychologie mit kritischem Bezug auf Sigmund Freuds Psychoanalyse. Dabei insistiert sie auf der grundsätzlichen Veränderbarkeit gegenwärtiger Gesellschaft und der Möglichkeit von menschlicher Emanzipation unter Reflexion auf die gegenwärtige Totalität kapitalistischer Verhältnisse. Die Kritische Theorie stellt zugleich den bislang avanciertesten Versuch dar die Genese des Antisemitismus aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus zu erklären und sich nicht auf deskriptive Schilderungen zu beschränken, die letztendlich das Problem als der Menschheit essenziell darlegen. Dieser vielschichtige und interdisziplinäre theoretische Ansatz bietet eine Möglichkeit Konzepte politische Bildungsarbeit zu formulieren, die sich zum Ziel setzen gegen Antisemitismus aufzuklären und herrschaftskonformes Denken zu kritisieren.

Die Kritische Theorie hat die industrielle Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden als geschichtlichen Einschnitt gefasst, der den Menschen den neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen habe, "ihr Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe."[11]

Im Angesicht von Auschwitz veränderte sich seit den vierziger Jahren auch der kritisch-theoretische Begriff vom Antisemitismus. Noch 1939 galt auch, den in die USA emigrierten, kritischen Theoretikern der Antisemitismus als ideologischer Betrug und Spaltungsmanöver der herrschenden Klassen gegenüber der Arbeiterklasse. Horkheimers Schrift "Die Juden und Europa", aus welcher der vielzitierte Satz stammt "Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen"[12], zeugt insgesamt noch von dieser instrumentellen Sichtweise auf den Antisemitismus als Erscheinung des Überbaus in der Tradition Marxscher Orthodoxie.

Zur Verdeutlichung eines ersten Umrisses der Thematik, verstehe ich den Begriff des modernen Antisemitismus[13] dem Berliner Politologen Lars Rensmann folgend, als "eine geschichtsmächtige ideologische Denkform, als rationalisierte Paranoia mit psychosozialen Funktionen, die eine Reaktion autoritätsgebundener Subjekte auf die politischen, ökonomischen wie sozialen Umbrüche und Abhängigkeitsverhältnisse der modernen Gesellschaft darstellt.

Antisemitismus dient nicht zuletzt als personifizierende Erklärung der undurchschaubaren kapitalistischen Moderne: ihrer sozialen Antagonismen, Krisen und Zwänge, die die ohnmächtige Vereinzelung der Individuen und die gesellschaftliche Unterwerfung wie Konformität befördern."[14]

Es ist also in der Darstellung des Antisemitismus davon auszugehen, dass dieser auf Faktoren beruht, die im Feld des Gesellschaftlichen, und damit verbunden in den subjektiven Einstellungsmustern derjenigen, die sich antisemitisch äußern zu suchen sind, und nicht in den realen Eigenschaften von Juden und Jüdinnen. Dem kritisch-theoretischen Denken folgend ist es das Ziel dieser Arbeit der Verwobenheit von Individuum und kapitalistischer Vergesellschaftungsform nachzugehen und aus einer komplexen Kritik des Antisemitismus heraus Schlussfolgerungen für die Möglichkeiten, aber gerade auch der Grenzen politischer Bildung zu ziehen.

Der Januskopf der Aufklärung

Die Arbeiten vor allem von Max Horkheimer, Leo Löwenthal und Theodor W. Adorno haben das Verdienst, die Gestalt des Januskopfes der Aufklärung aufzuzeigen. Allgemeine Freiheit, Gleichheit und Emanzipation sind die nicht eingelösten Versprechen aufklärerischen Denkens an die Menschheit. Auschwitz markiert schließlich das Ende bürgerlicher Gesellschaft oder wie es Adorno formulierte: "Millionen von Juden sind ermordet worden, und das soll ein Zwischenspiel sein und nicht die Katastrophe selbst."[15]

Die Existenz des Antisemitismus und seine Gewalt, die in der Vernichtung der europäischen Judenheit durch die Deutschen kulminierte, ist nicht zu verstehen ohne die gesellschaftlich-ökonomischen Grundlagen zu benennen, welche das antisemitische Individuum produzieren. Die Totalisierung des kapitalistischen Tauschverhältnisses, eines blinden Zwangs der Mehrwertproduktion verfügbar zu sein und sich dieser unterzuordnen, bringt Individuen mit autoritätsgebundenen Charakterstrukturen hervor. Diese besitzen ausgeprägte Affinitäten zum Vorurteil. Die verschiedenen und einander ergänzenden Aspekte der Subjektgenese gilt es herauszuarbeiten. Sowohl aus der Thematik, als auch aus der ökonomischen Realität, ergibt sich eine Betrachtungsweise, welche vor allem die negativen Aspekte der Aufklärung, als Ausgangspunkt moderner Subjektivität, betont. Was in deren Dialektik an möglichem Positivem vorhanden ist und war, ergibt sich vor allem aus der Kritik des wahrgenommenen Zustandes. Die Kritik der Aufklärung ist jedoch nicht im kulturpessimistischen Sinne zu verstehen, das dahinterliegende Ziel ist noch immer die Emanzipation der Einzelnen, die zu einer freieren Gesellschaft führt. Die Struktur und Genese dieses autoritären Subjekts werden im folgenden Kapitel ausgeführt.

[ZUR DISKUSSION IM FORUM]

  • [7] Im Rahmen dieses durch das Aktionsprogramm Entimon geförderten Projekts entwickelt ein Arbeitskreis mit Unterstützung des Bildungsteams Berlin-Brandenburg e.V. und Tacheles Reden! e.V. Seminare und Fortbildungen zum Thema Antisemitismus.

  • [8] Max Horkheimer: Zur Tätigkeit des Instituts. Forschungsprojekt über den Antisemitismus, in: Ders.: Schriften 1936 – 1941. Gesammelte Schriften: Bd. 4, Frankfurt a. M. 1988 (1941), S. 377.

  • [9] Ebda., S. 377.

  • [10] Ich verwende im Folgenden den Begriff Kritische Theorie. Die Kritischen Theoretiker des Instituts für Sozialforschung intendierten kaum auf die Gründung einer sozialwissenschaftlichen oder philosophischen Schule, auch wenn v.a. Theodor W. Adorno diesen von außen aufgesetzten Begriff durchaus vereinzelt aufgriff. Vgl. dazu: Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule. Geschichte. Theoretische Entwicklung. Politische Bedeutung, München / Wien (dtv) 1997 (1988), hier S. 9ff.

  • [11] Theodor W. Adorno: Negative Dialektik, Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 2000 (1966), S. 358.

  • [12] Max Horkheimer: Die Juden in Europa, in: Ders.: Schriften 1936 – 1941. Gesammelte Schriften: Bd. 4, a.a.O, (1993), S. 308f.

  • [13] Die Begriffe Antisemitismus und Judeophobie werden in dieser Arbeit in Abgrenzung zum Antijudaismus verwendet, der voraufklärerisch zu verorten ist. Nicht unproblematisch ist bereits die Benutzung des Begriffs Antisemitismus, da dieser durch den Antisemiten Wilhelm Marr im 19. Jahrhundert geprägt wurde und das Rassekonstrukt in sich trägt. Im modernen Antisemitismus scheinen immer wieder ältere antijüdische Bilder wie das des ‚Brunnenvergifters’ oder des angeblichen jüdischen Kindermörders auf, dennoch stellt der Umschlag vom Antijudaismus zum Antisemitismus einen qualitativen Sprung dar, der es erst ermöglichte die Juden als Kollektiv zu verfolgen. Vor allem im Kontext judeophober Darstellungen muslimischer Prägung finden solche Bilder ihre Aktualisierung. Vgl. dazu auch die Darstellung des israelischen Premierministers Ariel Sharon als ‚Kinderfresser’ in der palästinensischen Zeitung Al-Quds, abgedruckt in: Robert S. Wistrich: Muslim Anti-Semitism. A clear and present danger, New York (American Jewish Committee) 2002.

  • [14] Lars Rensmann: Kritische Theorie über den Antisemitismus. Studien zu Struktur, Erklärungspotential und Aktualität, Berlin / Hamburg (Argument Verlag) 2001 (1998), S. 13.

  • [15] Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus den beschädigten Leben, Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 2001 (1951), S. 91.

hagalil.com 09-02-2004


Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!
 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved