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Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

Jean Paul Sartre:
Der Antisemitismus ist die Furcht vor dem Menschsein

... Die Juden haben einen Freund: den Demokraten.
Aber das ist ein erbärmlicher Verteidiger. ...

... für einen selbstbewußten und stolzen Juden, der auf seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft besteht, ... besteht zwischen dem Antisemiten und dem Demokraten kein so großer Unterschied. Jener will ihn als Menschen vernichten, um nur den Juden, den Paria, den Unberührbaren in ihm bestehen lassen; dieser will ihn als Juden vernichten, um in ihm nur den Menschen zu bewahren, das abstrakte und allgemeine Subjekt der Menschen- und Bürgerrechte. Noch beim liberalsten Demokraten kann man eine Spur von Antisemitismus entdecken: er steht dem Juden feindselig gegenüber, sobald es dem Juden einfällt, sich als Jude zu denken. ...


aus: Jean-Paul Sartre, Überlegungen zur Judenfrage, geschrieben im Oktober 1944

Der ganze Abschnitt:

... Mit einem Wort, der Antisemitismus ist die Furcht vor dem Menschsein. Der Antisemit ist der Mensch, der ein unbarmherziger Felsen, ein rasender Sturzbach, ein vernichtender Blitz sein will: alles, nur kein Mensch.

II

Die Juden haben jedoch einen Freund: den Demokraten. Aber das ist ein erbärmlicher Verteidiger. Gewiß erklärt er, alle Menschen hätten die gleichen Rechte, sicher hat er die Liga für Menschenrechte gegründet. Aber schon seine Erklärungen zeigen die Schwäche seiner Position. Er hat sich im 18. Jahrhundert ein für allemal für das analytische Denken entschieden. Er ist blind für die konkreten Synthesen, die ihm die Geschichte bietet. Er kennt weder den Juden noch den Araber, noch den Neger, noch den Bourgeois, noch den Arbeiter: er kennt nur den Menschen, der zu allen Zeiten und überall sich selbst gleich ist. Er löst alle kollektiven Formen in individuelle Elemente auf. Ein physikalischer Körper ist für ihn eine Summe von Molekülen, ein sozialer Körper eine Summe von Individuen. Und unter einem Individuum versteht er die einzelne Verkörperung der allgemeinen Züge, die die menschliche Natur ausmachen. So führen der Antisemit und der Demokrat unermüdlich ihren Dialog, ohne sich je zu verstehen noch zu merken, daß sie nicht von denselben Dingen sprechen. Wenn der Antisemit dem luden seinen Geiz vorhält, wird der Demokrat antworten, er kenne Juden, die nicht geizig sind, und Christen, die es sind. Doch den Antisemiten überzeugt das nicht: er wollte ja sagen, daß es einen «jüdischen» Geiz gibt, das heißt einen von jener synthetischen Totalität beeinflußten, die die jüdische Person ist. Und er wird ohne Verlegenheit einräumen, daß bestimmte Christen geizig sein können, denn für ihn sind christlicher Geiz und jüdischer Geiz nicht gleicher Natur. Für den Demokraten dagegen ist der Geiz eine bestimmte allgemeine und unveränderliche Natur, die zur Gesamtheit der ein Individuum ausmachenden Züge hinzukommen kann und unter allen Umständen gleich bleibt; es gibt nicht zwei Arten, geizig zu sein, man ist es, oder man ist es nicht. So verfehlt der Demokrat, wie der Wissenschaftler, das Einzelne: das Individuum ist für ihn nur eine Summe allgemeiner Züge. Daraus folgt, daß seine Verteidigung des Juden den Juden als Menschen rettet und als Juden auslöscht.

Im Unterschied zum Antisemiten hat der Demokrat keine Angst vor sich selbst: was er fürchtet, sind die großen kollektiven Formen, in denen er sich aufzulösen droht. Er hat sich für den Geist der Analyse entschieden, weil der Geist der Analyse diese synthetischen Realitäten nicht sieht. In dieser Hinsicht befürchtet er, es könne beim Juden ein «jüdisches Bewußtsein» erwachen, das heißt ein Bewußtsein jüdischer Kollektivität, wie er beim Arbeiter das Erwachen des «Klassenbewußtseins» fürchtet. Seine Verteidigung besteht darin, die Individuen davon zu überzeugen, daß sie in isoliertem Zustand existieren. «Es gibt keine Juden» sagt er, «es gibt keine Judenfrage». Das bedeutet, er möchte den Juden von seiner Religion, seiner Familie, seiner ethnischen Gemeinschaft trennen, um ihn in den demokratischen Schmelztiegel zu stecken, aus dem er allein und nackt wieder herauskommen wird als ein individuelles und einsames Partikel das allen anderen Partikeln gleicht. Das nannte man in den Vereinigten Staaten Assimilationspolitik. Die Einwanderungsgesetze registrierten das Scheitern dieser Politik und im Grunde den des demokratischen Gesichtspunkts.
Wie könnte es anders sein: für einen selbstbewußten und stolzen Juden, der auf seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft besteht, ohne deshalb die Bande zu verkennen, die ihn an eine nationale Kollektivität binden, besteht zwischen dem Antisemiten und dem Demokraten kein so großer Unterschied. Jener will ihn als Menschen vernichten, um nur den Juden, den Paria, den Unberührbaren in ihm bestehen lassen; dieser will ihn als Juden vernichten, um in ihm nur den Menschen zu bewahren, das abstrakte und allgemeine Subjekt der Menschen- und Bürgerrechte. Noch beim liberalsten Demokraten kann man eine Spur von Antisemitismus entdecken: er steht dem Juden feindselig gegenüber, sobald es dem Juden einfällt, sich als Jude zu denken. Diese Feindseligkeit drückt sich in einer Art nachsichtiger und belustigter Ironie aus, wenn er zum Beispiel von einem jüdischen Freund, dessen jüdische Herkunft leicht erkennbar ist, sagt: «Er ist wirklich zu jüdisch» oder wenn er erklärt: «Das einzige, was ich den Juden vorwerfe, ist ihr Herdentrieb: nimmt man einen in ein Geschäft mit'hinein, bringt er zehn andere mit.» Während der deutschen Besatzung war der Demokrat über die antisemitischen Verfolgungen tief und aufrichtig entrüstet, doch von Zeit zu Zeit seufzte er: «Die Juden werden mit derartiger Unverschämtheit und Rachsucht aus dem Exil zurückkehren, daß ich eine Verschärfung des Antisemitismus befürchte.» In Wirklichkeit befürchtete er, die Verfolgungen könnten dazu beitragen, dem Juden ein genaueres Bewußtsein von sich selbst zu geben.

Der Antisemit wirft dem Juden vor, Jude zu sein; der Demokrat würde ihm am liebsten vorwerfen, sich als Juden zu betrachten. Zwischen seinem Gegner und seinem Verteidiger steht der Jude ziemlich schlecht da: ihm scheint nur die Wahl zu bleiben, ob er roh oder gekocht verspeist werden möchte. Wir müssen uns also unsererseits die Frage stellen: Existiert der Jude? Und wenn er existiert, was ist er? Zuerst Jude oder zuerst Mensch? Liegt die Lösung des Problems in der Ausrottung aller Juden oder in ihrer völligen Assimilation? Oder ist eine andere Art denkbar es zu lösen?

III

Wir stimmen mit dem Antisemiten in einem Punkt überein: wir glauben nicht an die menschliche «Natur», wir lehnen es ab, die Gesellschaft als eine Summe isolierter oder isolierbarer Moleküle zu betrachten; ...

hagalil.com 18-04-2002


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