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"... ein Fehler der Weltgeschichte"? -
Judentum, Zionismus und Antisemitismus aus der Sicht Rudolf Steiners

Von Ralf Sonnenberg

War Rudolf Steiner ein "völkischer Antisemit"? Kritische Kurzbibliografie und Resümee

Vor allem seit Mitte der neunziger Jahre äußern Autoren den Verdacht, die Anthroposophie transportiere antisemitische bzw. rassistische Inhalte und sei mitunter sogar Wegbereiterin des Nationalsozialismus gewesen.(89) Für kurzweiliges Medieninteresse sorgte ein 2007 bei der "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" (BPjM) eingegangener Antrag auf die Indizierung zweier Vortragszyklen Steiners wegen "rassistischer Passagen", dem jedoch nicht stattgegeben wurde. (90)
 
Tatsächlich bediente sich der Gründer der Anthroposophie aus dem Repertoire theosophischer und anderer Rassentheorien
(91), auch wenn der Behandlung des Themas "Rassen" – sofern dieser Begriff somatische Varietäten und nicht bewusstseinsgeschichtliche Etappen im Sinne theosophischer Terminologie meint – in Steiners umfangreichem Werk eine recht marginale Stellung einnimmt.(92) Steiner ersetzte zudem – was von Anthroposophie-Kritikern bisweilen unterschlagen wird – den von Helena P. Blavatsky in erster Linie zu Periodisierungszwecken verwendeten Begriff "Wurzelrasse" durch semantisch zutreffendere Ausdrücke wie "Epoche", "Hauptzeitraum" oder "Zeitalter". Blavatskys "Unterrassen", welche die "Wurzelrassen" untergliedern sollten, nannte er nach 1907 zunehmend und dann ausschließlich "Kulturepochen", "Kulturperioden" oder "Kulturzeitalter", worin ein deutlicher Versuch gesehen werden kann, rassenbiologische Konnotationen in den Hintergrund treten zu lassen.(93)

Als "rassistisch" muss jedoch aus heutiger Sicht Steiners sporadisches Bemühen gewertet werden, biologische "Rassen" mit dem Grad der mentalen "Entwicklungsreife" ihrer Angehörigen zu korrelieren und somit eine Hierarchisierung von Menschengruppen spirituell zu begründen, deren unterste Sprossen den – aufgrund ihrer physischen "Degeneration" zum Aussterben verurteilten – Indianern
(94) sowie den von "Trieben"(95) und "Witterungen"(96) dominierten "Negern" vorbehalten bleiben. Die Tatsache, dass der Anthroposophie-Begründer bisweilen auch anerkennende Worte über den Animismus der Indianer, die "Naturgeistigkeit" der Afrikaner oder die "Tao-Religion" der Chinesen verlor kann nicht darüber hinweg täuschen, dass außereuropäische Kulturen in dessen Augen grundsätzlich "atavistisch" waren und – gemäß der eurozentrischen Binnenlogik seines geschichtsevolutionären Denkens – sogar noch unter der materialistisch geprägten Zivilisation des modernen Europa rangierten, die immerhin eine Vorbereitungs- und Durchgangsstufe zur Entwicklung der "Bewusstseinsseele"(97) markierte.

Die "arische" oder europäische hielt Steiner, der hieraus allerdings keine imperialen, kolonialistischen oder sozialdarwinistischen Zielsetzungen ableitete, für die "zukünftige, da am Geiste schaffende Rasse".
(98) Sie repräsentiert innerhalb seines Weltanschauungskosmos die "fünfte nachatlantische Kulturepoche", deren Anfang er auf den Beginn der frühen Neuzeit datierte.(99) Die diskriminierenden Implikationen des evolutionsgeschichtlichen Stufenmodells hoffte Steiner durch eine Dialektik einzuholen, die er seinen gelegentlich auch rassenkundlichen Überlegungen vorschaltete: Die Reinkarnationsfolgen der menschlichen Individuen führten demnach durch die verschiedenen biologischen "Rassen" hindurch, so dass, "obgleich man uns entgegenhalten kann, dass der Europäer gegen die schwarze und die gelbe Rasse einen Vorsprung hat, doch keine eigentliche Benachteiligung" bestehe.(100)

Nach Auffassung des Politologen und Religionswissenschaftlers Helmut Zander ist Steiners Oeuvre "von einer nicht systematisierten oder hermeneutisch integrierten Ambivalenz gekennzeichnet", "in der Unvereinbares und Widersprechendes stehengeblieben" seien. Es hinge, worin Zander Recht zu geben ist, somit auch "von den Interessen der Leser ab, ob die Anthroposophie rassistisch interpretiert wird oder nicht."
(101) Die völkische Tradition, unter welcher Zander recht allgemein "sozialdarwinistische" und "rassistische" Auffassungen versteht, ließe sich auch heute noch "neben und in den humanistischen Vorstellungen" der Anthroposophie auffinden.(102) Zander konzediert jedoch, dass Steiner kein "scharfmacherischer politischer Rassist oder Antisemit" gewesen sei, auch wenn er "zum intellektuellen Hintergrund und Überbau der deutschen Tragödie" gehöre.(103)

In früheren Beiträgen verortete Zander die Entstehungsgeschichte der theosophisch-anthroposophischen Bewegung im Sammelsurium völkischer Sondergemeinschaften (104), wie sie sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum zu formieren und in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zu konsolidieren begannen. In seinem 2007 erschienenen Werk "Anthroposophie in Deutschland" revidierte er jedoch fast geräuschlos die vormalige Situierung der Anthroposophie im völkischen Lager (105), auch wenn der Autor weiterhin "Konvergenzen" und "Berührungspunkte" etwa zwischen Steiners "rassentheoretischem Denken" und den Ideologien völkischer Aktivisten auszumachen glaubt (106) – was zur Rückfrage Anlass gibt, weshalb Zander nicht mit derselben Akribie in die entgegengesetzte Richtung blickt, was ihm gestatten würde, beispielsweise auch "sozialistische" und "kryptomarxistische" Spurenelemente (107) in den vielfältigen Anschauungen Steiners aufzuspüren.

Die Subsumierung der Anthroposophie unter die völkischen Lehren der Kaiserzeit und Weimarer Republik wäre ohnehin nur dann sinnvoll, wenn sich der Nachweis erbringen ließe, dass sozialdarwinistische, eugenische, pangermanische und antisemitische Begründungsmuster einen zentralen Stellenwert innerhalb anthroposophischer Lehren einnähmen und deren kosmopolitischen und humanistischen Gehalt überlagerten bzw. marginalisierten. Programmatische Inhalte völkischer Agitation wie die Forderung nach Segregation der Juden, nach Bildung einer "artgerechten" Religion, nach Selektion und Ausmerze oder nach Errichtung eines imperialen Rassenstaates müssten demnach das ideologische Bindeglied für die unterschiedlichen anthroposophischen Ideen und Aktivitäten abgeben und das Selbstverständnis ihrer Protagonisten entscheidend prägen.(108) Aus der partikularen Konvergenz von rassistischen Argumentationssträngen und Ideologemen, wie sie im ersten Quartal des 20. Jahrhunderts den gesellschaftsübergreifenden Diskurs dominierten und somit kein Spezifikum völkischer Ideologiebildungen darstellten, eine strukturelle Koinzidenz von völkischer und anthroposophischer Lehre extrapolieren zu wollen, hieße jedoch die Begriff "völkisch" auf eine Weise zu inflationieren, die diesen als Instrument der geschichtswissenschaftlichen Analyse gänzlich untauglich machte.

Historiker wie George L. Mosse (109), Jörn Rüsen (110), Uwe Puschner (111), Wolfgang Benz (112), Michael Rißmann (113) und jüngst – ungewöhnlich dezidiert – auch Helmut Zander
(114) meldeten daher zu Recht Vorbehalte gegenüber dem Versuch an, Steiner unter die völkisch-antisemitischen "Systembauer" und Aktivisten einzureihen: "Von den völkischen Theorien über die Geschichte des Judentums unterscheidet sich dieser Entwurf [der Steinersche, R.S.] erheblich. Bereits die Annahme, die Existenz des Judentums habe überhaupt einen Sinn gehabt, hätten Vertreter des völkisch-nationalsozialistischen Spektrums widersprochen, die im Judentum eher einen ‹Menschheitsverderber› vom Beginn der Geschichte an sahen. Das von Steiner geforderte ‹Aufgehen› des Judentums in der Menschheit darf … keinesfalls mit jenem ‹Erlösungsantisemitismus› der Nationalsozialisten verwechselt werden, der im Genozid seine konsequente Vollendung fand."(115) Und Wolfgang Benz, Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, resümiert, nachdem er Steiners "ausdrückliche Distanzierung vom rassistisch-völkischen Antisemitismus seiner Zeit" kenntlich gemacht hat: "Steiners Plädoyer für die Assimilation unterscheidet ihn vom Anhänger des Rasseantisemitismus, wenngleich der Esoteriker in anderen Zusammenhängen durchaus rassistisch argumentierte."(116)

Wirft schon die Konnotation des Adjektivs "völkisch" mit dem Substantiv "Religion" Probleme auf, da fragwürdig ist, ob im Hinblick auf den Eklektizismus völkischer Sinntstifungsversuche überhaupt von Religion im herkömmlichen Sinne gesprochen werden kann, so erweisen sich Formulierungen wie "‹arteigenes› Glaubenssystem" oder "arteigene Religiösität", wie sie in den Titeln einschlägiger Sammelbände auftauchen
(117), in Bezug auf eine Charakterisierung des anthroposophischen Selbstverständnisses gleich in zweifacher Hinsicht als irreführend: Steiner begriff die Anthroposophie nicht als Religion, sondern als "Weg meditativer Schulung", welcher dem esoterischen Verständnis der Weltreligionen, vor allem aber des Christentums und (antiken) Judentums, diene. Die Schaffung einer "arteigenen Religion" lehnte er, der sich als Erneuerer einer christlichen Esoterik sah, ausdrücklich ab: "Der Christus ist kein Volksgott, ist kein Rassengott, der Christus ist überhaupt nicht der Gott irgendeiner Menschengruppe, sondern der Christus ist der Gott des einzelnen Menschen, insofern dieser einzelne Mensch nur ein Angehöriger der gesamten Menschheit ist". (118)

Anders als Theodor Fritsch, Alfred Rosenberg oder Max Bewer, die einen "arischen Christus" propagierten, sah Steiner in Jesus von Nazareth einen hochstehenden jüdischen "Eingeweihten", der während der Jordan-Taufe den Christus-Geist in sich aufgenommen habe.
(119) Im Unterschied zur Argumentationsweise der Rassenantisemiten, die einen "manichäischen" Antagonismus von "arischer" und "jüdischer" Rasse konstruierten, erblickte Steiner zudem gerade in den "Ursemiten" die Begründer der "arischen Wurzelrasse", deren Angehörige vor allem die "Denkkraft" entwickelt hätten.(120) Steiner deutete die Weltgeschichte auch nicht wie Arthur Comte de Gobineau als Arena von "Rassenkämpfen" oder wie Alfred Ploetz als Laboratorium eugenischer Zuchtexperimente, sondern sah in ihr einen Prozess allmählicher Emanzipation von "Gattungsmerkmalen" wie Rasse, Vererbung oder Geschlecht. Dem Selbstverständnis ihres Urhebers nach bildete die Anthroposophie somit einen Gegenentwurf zur zeitgenössischen naturalistischen Anthropologie, welche die vermeintliche genetische Determination des Menschen zur Richtschnur ihres Denkens und Handelns bestimmte und in letzterem oft ein Zielobjekt rassenhygienischer Manipulation und Selektion erblickte.(121) Realpolitisch relevant wurde die Ablehnung eugenischer Optimierungs- und Ausmerzungsgedanken in der NS-Zeit, als es dem Einsatz anthroposophischer Heilpädagogen zu verdanken war, dass mehrere der von den Machthabern als "lebensunwert" eingestuften Heiminsassen – darunter auch jüdischstämmige – vor dem "Euthanasie"-Programm in Sicherheit gebracht werden konnten.(122)

Die im 1897er Programm der Theosophischen Gesellschaft proklamierte Vision einer völker- und rassenübergreifenden "Menschenverbrüderung" präzisierte Steiner 1923 dahingehend, "… dass die Menschen über die Erde hin eigentlich alle aufeinander angewiesen sind. Sie müssen einander helfen. Das ergibt sich schon aus der Naturanlage."
(123) Die Ausdifferenzierung der Menschheit in biologische Rassen, so seine Überzeugung, sei eine vorübergehende Erscheinung der Geschichte. Sie werde in Zukunft immer mehr an Bedeutung verlieren und eines Tages völlig überwunden sein. Dieser Prozess beginne bereits in der Gegenwart. Es werde dahin kommen, so prognostizierte Steiner bereits 1907, "dass alle Rassen- und Stammeszusammenhänge wirklich aufhören. Der Mensch wird vom Menschen immer verschiedener werden. Die Zusammengehörigkeit wird nicht mehr durch das gemeinsame Blut vorhanden sein, sondern durch das, was Seele an Seele bindet. Das ist der Gang der Menschheitsentwicklung".(124)
 
In dem völkischen Konstrukt einer "Volksgemeinschaft" erblickte Steiner einen Rückfall in reaktionäre Denkweisen, denen er seit 1917 seine politische Utopie einer "Dreigliederung des sozialen Organismus" entgegensetzte, die er als Beitrag zur Fortbildung des demokratischen Gemeinwesens verstand. Das so genannte Dreigliederungskonzept sah eine Entmachtung des ethnisch definierten Nationalstaates durch die Entflechtung der Bereiche Staat, Bildungswesen und Wirtschaft vor.(125) "Ein Mensch", so urteilte Steiner 1917 im Hinblick auf die Ursachen des Ersten Weltkrieges, "der heute von dem Ideal der Rassen und Nationen und Stammeszugehörigkeiten spricht, der spricht von Niedergangsimpulsen der Menschheit. Und wenn er in diesen so genannten Idealen glaubt, fortschrittliche Ideale vor die Menschheit hinzustellen, so ist das die Unwahrheit. Denn durch nichts wird sich die Menschheit mehr in den Niedergang hineinbringen, als wenn sich die Rassen-, Volks- und Blutsideale fortpflanzen."(126) Stattdessen sei es notwendig, dass die anthroposophische Bewegung "… gerade im Grundcharakter dieses Abstreifen des Rassencharakters aufnimmt, dass sie nämlich zu vereinigen sucht Menschen aus allen Rassen, aus allen Nationen, und auf diese Weise überbrückt diese Differenzierung, diese Unterschiede, diese Abgründe, die zwischen den einzelnen Menschengruppen vorhanden sind." (127)

Mit diesen Worten ist ein weiteres Unterscheidungskriterium von anthroposophischen und völkischen Lehren benannt, soweit diese sich in institutionalisierten Formen Ausdruck verschafften. Denn während in völkischen Vereinen oder Organisationen der so genannte Arier-Paragraph über die Homogenität der Gemeinschaft wachte, stand die Mitgliedschaft der Anthroposophischen Gesellschaft Juden offen. Zu den Mitarbeitern bzw. Anhängern Steiners jüdischer Abstammung zählten der Philologe Ernst Müller (1880-1954), der Philosoph und Zionist Hugo Bergmann (1883-1974) (128), der Fabrikant Carl Unger (1878-1929) (129), der in Auschwitz ermordete Komponist Viktor Ullmann (1898-1944) (130), aber auch Berta Fanta (1865-1918), die vor dem Ersten Weltkrieg in Prag einen einflussreichen philosophisch-literarischen Salon unterhielt.(131) Nicht zuletzt der Umstand, dass in der Anthroposophischen Gesellschaft Juden "überrepräsentiert" waren und darüber hinaus Schlüsselpositionen innehatten, brachte ihrem Begründer die Feindschaft völkischer Kreise bis hin zu einem Attentatsversuch ein.(132)

Als Ausdruck der umfassenden Sinn- und Wertekrise in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg partizipierten Steiners esoterische Lehren an dem rassentheoretischen Diskurs jener Zeit, indem er diesem einzelne Elemente entnahm, welche er den theosophischen Ideen der Genese von Rassen und Kulturen anverwandelte. Im Gegenzug adaptierten völkische Theoretiker wie etwa die "Ariosophen" Jörg Lanz von Liebenfels (1874-1954) und Guido von List (1848-1919) Versatzstücke theosophischer Rassentheorien, ohne jedoch deren Einbindung in den universalistischen und kosmopolitischen Horizont der Blavatskyschen Theosophie zu berücksichtigen.(133)

Steiners peripheren Beschäftigungen mit dem zeitgenössischen Judentum bewegten sich im Spannungsfeld zwischen einem aufgeklärten, die Assimilation bedingungslos einfordernden Antijuduaismus und der christlichen Tradition soteriologisch untermauerter Judenfeindschaft, ohne dass dessen Anschauungen über jüdische Kultur und Religion bereits restlos in dieser ideengeschichtlichen Schnittmenge aufgingen.

Es ist jedoch gewiss kein Zufall, dass Steiner wesentliche Anstöße bezüglich der Genese seines philosophisch-anthroposophischen Werkes den Schriften Kants, Fichtes, Hegels und Herders verdankte, die stellvertretend für die Mehrheit der christlichen Aufklärer an der Überzeugung von der Obsoletheit des Judentums festhielten und ein evolutionshistorisches Stufenmodell favorisierten.(134) Noch in seinem autobiografischen Fragment "Mein Lebensgang", erschienen 1925, rechtfertigte er sein frühes Verdikt über das zeitgenössische Judentum als "Fehler der Weltgeschichte" mit dem Hinweis, dass Ladislaus Specht geirrt habe, als er dem "Homunkulus"-Rezensenten Antisemitismus vorwarf, "denn ich hatte ganz aus der geistig-historischen Überschau heraus geurteilt; nichts Persönliches war in mein Urteil eingeflossen." (135)

Ein Jahr zuvor hatte Steiner, wohl bezugnehmend auf ein Gespräch mit dem Zionisten Hugo Bergmann, seine assimilationistische Einstellung noch einmal bekräftigt: "Die Juden", so der Referent, könnten "nichts Besseres vollbringen als auf[zu]gehen in der übrigen Menschheit, sich [zu] vermischen mit der übrigen Menschheit, so dass das Judentum als Volk einfach aufhören würde. Das ist dasjenige, was ein Ideal wäre. Dem widerstreben heute noch viele jüdische Gewohnheiten – und vor allen Dingen der Hass der anderen Menschen. Und das ist gerade dasjenige, was überwunden werden müsste." (136)

Auffällig ist auch hier Steiners fehlende Unterscheidung von Juden als Angehörigen eines "Religionsvolks" (vergleichbar dem christlichen "Kirchenvolk"), den Kulturzionisten etwa um Achad Haam (1856-1927) und solchen Juden, die sich einem nationalistisch-separatistischen Selbstverständnis verschrieben hatten, wie es sich in Gestalt des politischen Zionismus artikulierte. Dass sich jüdisch-religiöse Identitätsbildung und der Verzicht auf nationaljüdische Ambitionen überdies nicht ausschließen mussten, ja dass sich hierin sogar seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert das Zukunftsmodell deutsch-jüdischen Lebens in der modernen Gesellschaft abzuzeichnen begann, zeigte nicht zuletzt die Erfolgsgeschichte des 1893 in Berlin gegründeten "Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" (CV), dem Mitte der zwanziger Jahre bereits die Mehrheit der assimilierten bürgerlich-liberalen Juden in Deutschland zugehörte. (137)

Im Subkontext transportierten Rudolf Steiners Forderungen nach völliger Assimilation der jüdischen Minderheit sowie seine bisweilen stereotypen Miniaturen jüdischen Daseins Elemente eines "antisemitischen Codes" rechtsbürgerlicher sowie linksliberaler Kreise in den Jahrzehnten vor und nach dem Ersten Weltkrieg, den sich zum Teil auch jüdische Assimilanten zu Eigen machten. Als manifesten (Rassen-) Antisemiten könnte man ihn freilich nur dann apostrophieren, wenn sich herausstellte, dass seine wiederholten Distanzierungen vom judenfeindlichen, nationalistischen und rassistischen Diskurs damaliger Zeit nicht ernst gemeint waren und somit lediglich als Vorwand dienten, um unter der Hand eine politische Agitation zu betreiben, die auf eine gesellschaftliche Ausgrenzung bzw. Benachteiligung von Juden abzielte. Eine solche Deutung erscheint jedoch angesichts der Fülle an gegenteiligen Belegen und Zeugnissen als wenig überzeugend.

Die zuerst von Julia Iwersen (138) verbreitete, dann von Helmut Zander (139) und Micha Brumlik (140) reproduzierte Kolportage, Steiner habe "die Juden" für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verantwortlich gemacht und sei somit als Multiplikator antisemitischer Verschwörungsmythen in Erscheinung getreten, zeigt jedoch, wie ausgeprägt selbst unter renommierten Wissenschaftlern die Bereitschaft ist, sich im Umgang mit devianten Strängen der jüngeren Religions- und Ideengeschichte eher auf Vorurteile zu verlassen denn auf ein sorgfältiges Studium einschlägiger Quellen: Den Kontext der betreffenden Aussage bildete eben nicht die von Iwersen postulierte Schuldzuweisung an Juden, sondern eine Kritik an dem europäischen Nationalismus, der zum Ersten Weltkrieg geführt habe. Den Zionismus nahm Steiner von dieser Kritik nicht aus, sofern dessen politische Programme mit dem europäischen Nationalismus konvergierten.(141

Die "Protokolle der Weisen von Zion", in denen sich der judeophobe Verschwörungsmythos idealtypisch verdichtete, wies Steiner ausdrücklich als "Fälschung" politisch reaktionärer Kreise zurück.(142) In der Verbreitung der so genannten Dolchstoß-Legende erblickte er den Versuch deutscher Militärs, die Verantwortung für die Niederlage im Ersten Weltkrieg auf politisch missliebige Gruppen abzuwälzen, zu denen vor allem Juden und Kommunisten gehörten.(143) Eine unfreiwillige Pointe liegt freilich darin, dass Steiner den antisemitischen Verschwörungsmythos seiner Zeit zu entkräften suchte, indem er bei einem anderen – damals nicht minder populären – Konspirationsglauben Zuflucht nahm: Die "Protokolle" werden nicht den Juden, sondern den Machinationen fortschritts- und demokratiefeindlicher Jesuiten angelastet.(144)

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Anmerkungen:
(89) Die Arbeiten solcher Autoren bieten in der Regel interessantes Quellenmaterial, das jedoch häufig mit stark polemischer Einfärbung präsentiert wird. Die einseitige Auswahl der historischen Quellen, deren teils geflissentliche Verstümmelung und Missdeutung spiegelt zudem die oft beträchtlichen Aversionen und Vorurteile der Interpreten wider. Bezeichnend hierfür sind die Erträge folgender Publikationen: Oliver Geden: Rechte Ökologie. Umweltschutz zwischen Emanzipation und Faschismus, 2. Aufl., Berlin 1999;  Guido und Michael Grandt: Schwarzbuch Anthroposophie. Rudolf Steiners okkult-rassistische Weltanschauung, Wien 1997; Christian Schüller/ Petrus van der Lett: Rasse Mensch. Jeder Mensch ein Mischling, Aschaffenburg 1999, S. 112-160;  Volkmar Wölk: Natur und Mythos, Duisburg 1992 sowie vor allem Peter Bierl: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik, Hamburg 2005 (2. Aufl.).
Um eine sachliche Darstellung und Interpretation  bemühen sich Georg Otto Schmid: Die Anthroposophie und die Rassenlehre Rudolf Steiners zwischen Universalismus, Eurozentrik und Germanophilie, in: Joachim Müller (Hg.): Anthroposophie und Christentum. Eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung,  Freiburg 1995,  S. 138-194; Helmut Zander: Sozialdarwinistische Rassentheorien aus dem okkulten Untergrund des Kaiserreiches, in: Uwe Puschner/ Walter Schmitz/ Justus H. Ulbricht (Hg.): Handbuch zur "Völkischen Bewegung" 1871-1918, München 1999, S. 224-251; ders.:  Anthroposophische Rassentheorie; ders.: Anthroposophie in Deutschland, Band 1, S. 624-637, Michael Rißmann: Nationalsozialismus, völkische Bewegung und Esoterik, in: "Zeitschrift für Genozidforschung" 2 (2003), S. 58-91, S. 61 ff sowie Jana Husmann-Kastein: Schwarz-Weiß-Konstruktionen im Rassebild Rudolf Steiners, in: "Berliner Dialog. Zeitschrift für Informationen und Standpunkte zur religiösen Begegnung", hg. v. Dialog Zentrum Berlin e.V., Bd. 29, Juli 2006, S.22-29.
Eine kritische Auseinandersetzung mit anthroposophischen Rassenlehren verspricht der Bericht einer von niederländischen Anthroposophen eingesetzten Untersuchungskommission: Anthroposophie und die Frage der Rassen. Zwischenbericht der niederländischen Untersuchungskommission "Anthroposophie und die Frage der Rassen", Frankfurt a.M. 2000 (3. Aufl.). Eine Studie der Autoren Jürgen Bader und  Lorenzo Ravagli  arbeitet entsprechendes Quellenmaterial fundiert, aber in deutlich apologetischer Absicht auf: Jürgen Bader/ Lorenzo Ravagli:  Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Rassismus-Vorwurf, Stuttgart 2002. Mit der wechselvollen Geschichte anthroposophischer Einrichtungen während des "Dritten Reichs" und der NS-Verfolgung einzelner Mitglieder der 1935 verbotenen Anthroposophischen Gesellschaft beschäftigt sich eine materialreiche Studie, deren Autor jedoch die Frage, inwieweit antisemitische Überzeugungen unter damaligen Anthroposophen verbreitet waren,  vollkommen ausspart. Siehe Uwe Werner:  Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945), München 1999.
Die Verstrickungen von Anthroposophen ins völkisch-antisemitische bzw. nationalsozialistische Milieu und die Affinität einzelner italienischer Anthroposophen zum Faschismus thematisiert Peter Staudenmaier in einer materialgesättigten Studie, in der jedoch bedauerlicherweise die Konturen zwischen Anthroposophie, allgemeinem Okkultismus, Theosophie und völkisch-nationalsozialistischen Ideologemen bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen: Siehe Peter Staudenmaier: Between Occultism and Fascism: Anthroposophy and the politics of Race and Nation in Germany and Italy, 1900-1945, Diss., Cornell University 2010. Die Notwendigkeit des sorgfältigen begrifflichen Unterscheidens stellt sich aber bei einem so weitläufig angelegten Forschungsgegenstand mit ebensolcher Vehemenz wie die des Vergleichens bzw. des Hinterfragens von Konvergenzen. Das Fokussieren von gelegentlichen ideellen Schnittmengen oder auch personellen Verflechtungen zwischen völkisch-antisemitischem und anthroposophischen Lager verstellt indes den Blick auf die politische und weltanschauliche Heterogenität des anthroposophischen Binnenspektrums dieser Jahrzehnte, in dem neben Sympathisanten bzw. Akteuren des völkisch-rassistischen Milieus wie Karl Heise, Richard Karutz oder Friedrich Lienhard auch sehr viele politisch Unverdächtige unterwegs waren – so zum Beispiel frühe Repräsentanten des "Kulturzionismus" Martin Bubers wie Hugo Bergmann, Ernst Müller oder Berta Fanta, die den kosmopolitisch-emanzipatorischen Geist der Anthroposophie, Steiners Kritik des ethnischen Nationalstaates und seine Ablehnung eines genetischen Determinismus im unterschiedlichen Maße wertschätzten. In hermeneutisch-methodischer Hinsicht stellt die Dissertation Staudenmaiers gegenüber bereits erreichten Standards der geschichtswissenschaftlichen Erforschung der Anthroposophie einen Rückschritt dar, was nicht ausschließt, dass der Autor neues, zum Teil brisantes Quellenmaterial etwa zu antisemitischen Umtrieben italienischer Anthroposophen wie dem Journalisten, Philosophen und Mussolini-Bewunderer Massimo Scaligero präsentiert.
Zum Antisemitismus-Verdacht selbst erschienen desweiteren folgende Arbeiten: Julia Iwersen: Rudolf Steiner: Anthroposophie und Antisemitismus. Zu einer wenig bekannten Spielart des christlichen Antisemitismus, in: "Babylon – Beiträge zur jüdischen Gegenwart", Nr. 16-17, Oktober 1996, S. 153-163; Ekkehard W. Stegemann:  Antijüdische Stereotypen in der anthroposophischen Tradition? Siehe http://www.akdh.ch/ps/ps_60Ref-Stegemann.html ;  Bader / Leist/ Ravagli: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Antisemitismusvorwurf; Ralf Sonnenberg: "Keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens". Judentum, Zionismus und Antisemitismus aus der Sicht Rudolf Steiners, in: Wolfgang Benz (Hg.): "Jahrbuch für Antisemitismusforschung" 12 (2003), S. 185-210; Peter Staudenmaier: Rudolf Steiner and the Jewish Question, in: "Year Book 2005", Leo Baeck Institute, Oxford 2005, S. 127-147 sowie Ralf Sonnenberg (Hg.): Anthroposophie und Judentum. Perspektiven einer Beziehung, Frankfurt a.M. 2009.
(90) Die Kulturwissenschaftlerin und Gender-Forscherin Jana Husmann-Kastein, 2003 bis 2006 Promotionsstipendiatin der PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, überspannte den Bogen ihrer berechtigten Kritik an den Rassentheorien Steiners auf medienwirksame Weise, indem sie für das Verfahren ein "Gutachten" beisteuerte, das die Rechtmäßigkeit einer Indizierung nachweisen sollte. Die "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" ließ sich allerdings nicht als Zugpferd einer politisch intendierten Kampagne zweier Steiner-Gegner missbrauchen und reagierte mit Besonnenheit: Dem vom Familienministerium auf Anregung der Initiatoren hin gestellten Antrag wurde nicht entsprochen, den Verantwortlichen des Rudolf Steiner Verlags allerdings geraten, künftige Ausgaben der beanstandeten Bände kritisch zu kommentieren. – Hätten sich die Initiatoren dieses Indizierungsantrags weniger von der Suche nach Schlagzeilen, die einem im Fall der "Anthroposophie-Kritik" immer sicher sind, als vielmehr von aufrichtiger pädagogischer Sorge leiten lassen, dann müssten sie nolens volens auch Schriften Luthers, Herders, Kants, Fichtes, Hegels, Marxens, Max Webers oder Heinrich Manns, die antisemitische bzw. rassistische Passagen enthalten und keinesfalls durchweg den Ansprüchen historisch-kritischer Werkeditionen genügen, von heutigen Teenagern fernzuhalten suchen. Eine partielle Zensur, selbst wenn sie nur Jugendliche beträfe, verhinderte jedoch gerade die kritische Auseinandersetzung mit den in Rede stehenden Altlasten und nähme somit eine "Wiederkehr des Verdrängten" billigend in Kauf. Nicht zuletzt der Umstand des "zweierlei Maßes" zeigt die Unaufrichtigkeit des Ansinnens, sich des unbequemen historischen Erbes rassistischer Vorurteile mit den Mitteln der "Political Correctness" zu erwehren. Ein Indizierungsgesuch, dessen Objektwahl Parteilichkeit verrät bzw. dessen Auswahlkriterien unklar bleiben, weil er aussschließlich Vorträgen des Esoterikers Steiner gilt, statt sich in gleicher Manier auch gegen renommierte Autoren der deutschsprachigen Literatur zu wenden, zeigt, dass die ihm zugrunde liegenden Motive keine wissenschaftlich-objektiven, sondern ideologische sind. Die Annahme überdies, theosophische Insider-Literatur aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gehöre zu den bevorzugten Freizeitlektüren heutiger Teenager, zielt, sofern sie überhaupt ernst gemeint ist, an der Lebensrealität von Jugendlichen vorbei.
(91)
Ideengeber Steiners in puncto Rassenlehren waren neben H.P. Blavatsky und Ernst Haeckel (1834-1919) vermutlich auch Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840), Carl Gustav Carus (1789-1869) und Hegel. Vgl. Zander: Anthroposophische Rassentheorie, S. 302 f.
(92)
Die Begriffe "Arier" und "arische Wurzelrasse" gebrauchte Steiner ohnedies selten. Auf den über 89000 Seiten in ungefähr 340 Bänden der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe kommt der Terminus "arische Wurzelrasse" auf genau zehn Seiten vor. Zur semantischen Aufschlüsselung  der in der Anthroposophie gebräuchlichen Periodisierungen  "Wurzelrasse",  "Unterrasse" oder "Kulturepoche" siehe Bader / Ravagli:  Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Rassismus-Vorwurf. Zur Einordnung des Komplexes "biologische Rassen" im Steinerschen Oeuvre vgl. Anthroposophie und die Frage der Rassen, S. 15-32.
(93)
Vgl. auch eine Äußerung Steiners vom 4. Dezember 1909, derzufolge "der Rassebegriff aufhört, eine jegliche Bedeutung zu haben gerade in unserer Zeit" und das Denken in Rassenklassifikationen eine "Kinderkrankheit der theosophischen Bewegung" gewesen sei. Siehe Rudolf Steiner: Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien (GA 117), Dornach 1986, S. 151 f.
(94)
Etwa Steiner: Die Mission,  S. 79 und S. 118.
(95)
Rudolf Steiner.: Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums (GA 349), Vortrag vom 3. März 1923, Dornach 1980, S. 53.
(96)
Rudolf Steiner: Über Gesundheit und Krankheit. Grundlagen einer geisteswissenschaftlichen Sinneslehre (GA 348), Vortrag vom 16. Dezember 1922, Dornach 1959, S. 105 f.
(97)
Zu Steiners Deutung der "Bewusstseinsseele" vgl. Jörg Ewertowski: Die Entdeckung der Bewusstseinsseele. Wegmarken des Geistes, Stuttgart 2007.
(98)
Steiner: Die Mission, S. 67.
(99)
Vgl. Jens Heisterkamp: Weltgeschichte als Menschenkunde. Untersuchungen zur Geschichtsauffassung Rudolf Steiners, Diss., Dornach 1989. S. 129 ff. Der Begriff der "Wurzelrasse" markiert aus Steiners Sicht vor allem einen Epochenabschnitt, dessen Repräsentanten in diesem Fall vor allem die Europäer seien.
(100)
Steiner: Die Mission, S. 78.
(101)
Zander: Sozialdarwinistische Rassentheorien, S.  246.
(102)
Ebenda, S. 248.
(103)
Zander: Anthroposophische Rassentheorie, S. 325.
(104)
Zander: Sozialdarwinistische Rassentheorien und ders.: Anthroposophische Rassentheorie.
(105)
"Der Warnung von Sonnenberg: »Keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens«, 204 f., Steiner allzuschnell unter das völkische Milieu zu subsumieren, die er auch an meinen älteren Publikationen kritisiert, stimme ich zu. Elemente rassischen Denken implizieren nicht automatisch eine Zugehörigkeit zur völkischen Bewegung." Aus: Zander: Anthroposophie in Deutschland, Band 1, S. 632 f.
(106)
Ebenda.
(107)
"Sozialistische" oder sogar "marxistische" Anklänge treten etwa in den Schriften und Vorträgen Steiners zur sozialen Dreigliederung in großer Fülle in Erscheinung, wenn der Interpret versuchsweise mal die "linke Brille" aufsetzt. Siehe etwa Joseph Huber: Über Anthroposophie, einen gewissen Marxismus und andere Alternatiefen, in: Hans Magnus Enzensberger (Hg.): "Kursbuch" 55, 1979, S. 139-162 oder Christoph Strawe: Anthroposophie und Marxismus, Stuttgart 1986. Freilich ist mit dem Auffinden solcher "Konvergenzen", das sich beliebig nach allen Richtungen hin ausdehnen ließe, für ein Verständnis der sozialreformerischen, politischen und ökonomischen Gedankengänge Steiners wenig gewonnen.
(108)
Zur Definition völkischer Ideologien und Organisationen vgl. Uwe Puschner/ Walter Schmitz/ Justus H. Ulbricht: Vorwort, in: Handbuch zur "Völkischen Bewegung", S. IX-XXVII. Siehe auch Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich,  Darmstadt 2001, S. 10-25.
(109)
George L. Mosse: Die Geschichte des Rassismus in Europa,  Frankfurt a.M. 1990, S. 119 f.
(110)
Jörn Rüsen: Rassismus, Modernität und Anthroposophie, in: "Info3",  Nr. 12, Dezember 1998, S. 11-15.
(111)
Brief Uwe Puschners vom 11.11. 2002 an den Autor.
(112)
Wolfgang Benz: Vorwort, in: Ders. (Hg.): "Jahrbuch für Antisemitismusforschung" 12 (2003), S. 10.
(113)
Rißmann: Nationalsozialismus, völkische Bewegung und Esoterik, S. 61 ff.
(114)
Zander: Anthroposophie in Deutschland, Band 1, S. 632 f. und ders.: Rudolf Steiners Rassenlehre. Plädoyer, über die Regeln der Deutung von Steiners Werk zu reden, in: Uwe Puschner/ G. Ulrich Großmann (Hg.): Völkisch und national. Zur Aktualität alter Denkmuster im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2009, S. 145-155, hier S. 150: "Steiner wollte kein Rassist sein – dies unterschied ihn von den Völkischen des Kaiserreichs, die nicht genug von »blutsmäßiger» Abstammung haben konnten. Kritiker, die Steiners Rassismen isolieren oder zum Zentrum seiner Weltanschauung stilisieren, werden seiner Konzeption nicht gerecht." Der letzte Satz überrascht, da Zander in früheren Publikationen selbst noch zu jenen Kritikern zählte, welche die Rassentheorien Steiners als »konstitutiv« für dessen Weltanschauung ansahen. Zu begrüßen ist die an ihre Anhänger gerichtete Einladung des Autors, die heutige Anthroposophie für historisch-kritische Kontextualisierungen zu öffnen, die weithin verbreitete selbstreferentielle Wagenburg-Mentalität zu Gunsten eines auf Augenhöhe stattfindenden intellektuellen Diskurses zu verlassen: "Zu dieser Akzeptanz von Kontextualität gibt es meines Erachtens keine Alternative, wenn man in der europäischen Reflexionskultur Gesprächspartner finden will. Die Anthroposophie muss zwar diese Kontextualisierung nicht wollen, darf aber bei einer Verweigerung nicht klagen, wenn man sich im intellektuellen Getto wiederfindet." (ebenda, S. 152).
(115)
Ebenda, S. 63 f.
(116)
Wolfgang Benz: Vorwort. Nach Jahren einer oft pseudowissenschaftlichen Rezeptionsgeschichte voll "pauschaler Verurteilungen" (Benz, ebenda), wie sie mit Jutta Ditfurths Buch "Feuer in die Herzen. Plädoyer für eine ökologische linke Opposition" 1992 einsetzte und in der Veröffentlichung dubioser Anthroposophie- und Waldorf-"Schwarzbücher" ihre Fortsetzung fand, versachlicht sich die Kontroverse um rassistische und antijudaistische Äußerungen Rudolf Steiners zusehends. Ein Grund mag darin liegen, dass die Anthroposophie von immer mehr Religionswissenschaftlern und Kulturhistorikern als genuiner Forschungsgegenstand entdeckt wird und ihre Rezeption somit nicht mehr nur Hasardeuren überlassen bleibt. Steiners Gegnerschaft zum rassenantisemitisch-völkischen Milieu und Diskurs seiner Zeit wird von den meisten Historikern inzwischen nicht mehr bestritten. Vgl. auch Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Band 2: Personen, Berlin 2009, S. 795.
(117)
Schnurbein/ Ulbricht: Völkische Religion sowie Sandra Franz: Die Religion des Grals. Entwürfe arteigener Religiosität im Spektrum von völkischer Bewegung, Lebensreform, Okkultismus, Neuheidentum und Jugendbewegung (1871-1945), Schwalbach/Ts. 2009.
(118)
Rudolf Steiner: Alte und neue Einweihungsmethoden (GA 210), Vortrag vom 7.1.1922,  Dornach 2001, S. 25.
(119)
Rudolf Steiner: Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium (GA 148), Vortrag vom 6.1.1914, Dornach 1996, S. 155-160.
(120)
Rudolf Steiner: Aus der Akasha-Chronik (GA 11),  Dornach 1979, S. 30-33.
(121)
Rudolf Steiner: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis (GA 177), Vortrag vom 7. Oktober 1917, Dornach 1999, S. 84-86.
(122)
Einige Kinder, die aufgrund ihrer Behinderung und ihrer jüdischen Herkunft gleich doppelt gefährdet waren, wurden erfolgreich in die Schweiz evakuiert, wo sie in dem von Anthroposophen geführten Kinderheim Sonnenhof (Arlesheim) eine neue Bleibe fanden. Werner: Anthroposophen, S. 354.
(123)
Steiner: Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums (GA 349), S. 59.
(124)
Steiner: Theosophie des Rosenkreuzers, Vortrag vom 4. Juni1907, S. 129.
(125)
Vgl. Ted van Baarda: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Steiners Kritik einer folgenreichen Lehre, in: Jens Heisterkamp (Hg.):  Die Jahrhundertillusion. Wilsons Selbstbestimmungsrecht der Völker, Steiners Kritik und die Frage der nationalen Minderheiten heute, Frankfurt a.M. 2002, S. 11-52 sowie Albert Schmelzer: Die Dreigliederungsbewegung 1919. Rudolf Steiners Einsatz für den Selbstverwaltungsimpuls,  Diss., Stuttgart 1991.
(126)
Steiner: Die spirituellen Hintergründe,  S. 205.
(127)
Steiner: Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens,  S. 152.
(128)
Siehe Sonnenberg:  Zionismus und Waage: Eine herausfordernde Begegnung.
(129)
Ronald Templeton: Carl Unger. Der Weg eines Geistesschülers, Dornach 1990.
(130)
Ingo Schultz: Viktor Ullmann: Leben und Werk, Stuttgart 2008.
(131)
Georg Gimpl: Weil der Boden selbst hier brennt. Aus dem Prager Salon der Berta Fanta (1865-1918),  Furth im Wald 2002.
(132)
Werner: Anthroposophen, S. 8.  Ravagli: Anthroposophie und völkisches Denken. Zur rechtsradikalen Gegnerschaft der Anthroposophen in der Weimarer Zeit vgl. Lorenzo Ravagli: Unter Hammer und Hakenkreuz. Der völkisch-nationalsozialistische Kampf gegen die Anthroposophie, Stuttgart 2004.
(133)
Siehe Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus,  Stuttgart 1997, S. 36-109; ferner Ulrich Nanko: Das Spektrum völkisch-religiöser Organisationen von der Jahrhundertwende bis ins "Dritte Reich", in: Schnurbein/ Ulbricht: Völkische Religion, S. 208-226, hier 213-217 und Zander: Sozialdarwinistische Rassentheorien, S. 233 ff.
(134)
Vgl. Fußnote 29.
(135)
Rudolf Steiner: Mein Lebensgang (GA 28), Dornach 1986, S. 145.
(136)
Steiner: Wesen des Judentums, S. 2002.
(137)
Siehe hierzu Avraham Barkai: "Wehr dich!" Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) 1893–1938, München 2002.
(138)
Iwersen: Rudolf Steiner, S. 155.
(139)
Zander: Sozialdarwinistische Rassentheorien, S. 244.
(140)
Micha Brumlik: Die Gnostiker. Der Traum von der Selbsterlösung des Menschen,  Berlin 2000, Vorwort.
(141)
Steiner: Wesen des Judentums, S. 189. Als eine kryptische Schuldzuweisung an Juden könnte hingegen – sofern man Steiners Sicht der "Jahwe-Wesenheit" als Glied und zugleich Spiegel der Trinität außer Acht lässt und zudem die Passage interpretatorisch überstrapaziert – die an gleicher Stelle auffindbare Aussage gelesen werden, derzufolge die Wirksamkeit Jahwes den Inspirationshintergrund für den Nationalismus als gesamteuropäisches Phänomen abgebe. Hierzu siehe Staudenmaier: Rudolf Steiner and the Jewish Question, S. 143.
(142)
Rudolf Steiner: Vergangenheits- und Zukunftsimpulse im sozialen Geschehen (GA 190), Vortrag vom 5. April 1919, Dornach 1971, S. 114 f. Einen Überblick über die Entstehungs- und frühe Rezeptionsgeschichte des antisemitisch-antifreimaurerischen Verschwörungsmythos‘ verschaffen folgende Studien:  Norman Cohn: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, Zürich 1997; Jeffrey L. Sammons: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Grundlage des modernen Antisemitismus – eine Fälschung. Text und Kommentar, Göttingen 1998 sowie Armin Pfahl-Traughber: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat, Wien 1993.
(143)
Siehe zum Beispiel Rudolf Steiner:  Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen (GA 192), Dornach 1991, Vortrag vom 18. Mai 1919, S. 118.  Eine Orientierung über die umfangreiche Fachliteratur zur "Dolchstoßlegende" gibt Gerd Krumeich: Die Dolchstoß-Legende, in: Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 1,  hg. von Etienne Francois und Hagen Schulze, München 2001, S. 585-599.
(144) Obwohl die neuere Forschung auch auf das ultra-katholizistische Frankreich als Entstehungshintergrund der "Protokolle" verweist und damit Steiners Behauptung einer "jesuitischen Fälschung" nicht mehr ganz so abwegig erscheinen lässt, verlaufen die Wege der Genesis und Tradierung dieses politisch folgenschweren Elaborats vielfach im Dunkeln. Vgl. auch Norman Cohn: Die Protokolle der Weisen von Zion. Eine umfangreiche, Archive in Frankreich, Russland, der Schweiz und Israel auswertende Arbeit über die "Protokolle" und ihren Herausgeber, den russischen religiösen Schriftsteller und Apokalyptiker Sergej Nilus, sowie eine kommentierte Edition der Materialien des Berner Prozesses bereitet seit Jahren der Historiker Michael Hagemeister vor.

hagalil.com 08-11-2009


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