Mit den Mitteln
der Pädagogik:
Dem Antisemitismus entgegentreten – aber wie?
Vortrag aus Anlass der Studientagung "Gesicht
zeigen" der
Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Deutscher
Koordinierungsrat e. V. am 12. November 2005 in Berlin (1)
Von Matthias Küntzel
Bei meiner Vorbereitung stellte ich fest, dass der "Deutsche
Koordinierungsrat" schon 1962 einen Vortrag unter der Überschrift
"Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute" organisiert hatte. Damals
hatten Sie einen prominenteren Redner engagiert – einen Menschen,
den ich außerordentlich schätze und verehre: Theodor W. Adorno.
Adornos
Vorschläge zur Bekämpfung des Antisemitismus sind bis heute aktuell
geblieben; ich komme darauf zurück. Der Antisemitismus selbst aber,
den Adorno damals einem "exzessiven Nationalismus" zuordnete, hat
seine Erscheinungsform verändert. Erstens ist die Judenfeindschaft
heute weniger auf jüdische Minderheiten in Europa und mehr auf die
Juden in Israel und den USA konzentriert. Zweitens finden wir die
radikalsten Propagandisten des eliminatorischen Antisemitismus heute
nicht in Europa, sondern in der islamischen Welt.
Ahmadinejads Endlösung
So erklärte
kürzlich der neugewählte Staatspräsident des Iran, Mahmud
Ahmadinejad, dass sein Land Israel mit Waffengewalt "eliminieren",
wolle. Da der Wortlaut dieser Rede in deutschen Medien kaum
rezipiert wurde, möchte ich einige Schlüsselsätze daraus zitieren.
Der Redner
bezeichnet die Auslöschung Israels als Etappe eines Krieges, der
lange vor der Gründung Israels begonnen habe. Ahmadinejad: "Wir
stehen inmitten eines historischen Krieges, der seit Hunderten von
Jahren andauert." Er fährt fort: "Der gegenwärtig in Palästina
stattfindende Krieg ist die vorderste Front der islamischen Welt
gegen die Welt der Arroganz." Offenbar sollen Juden nur die
ersten sein, die es trifft, denn mit dem Feindbild "Welt der
Arroganz" ist ohne Zweifel der Westen insgesamt gemeint. Weiter
heißt es: "Ich zweifle nicht, dass die neue Welle, die im geliebten
Palästina begonnen hat, sich in der gesamten islamischen Welt
ausbreiten wird. Es handelt sich um eine Bewegung, die als Welle der
Moral sehr bald den Schandfleck Israel aus der Mitte der islamischen
Welt beseitigen wird – das ist machbar." Unter "Welle der Moral"
versteht der iranische Staatspräsident die Unterdrückung von
Sinnlichkeit und Sexualität, wie sie in seinem Land üblich ist,
während Israel als ein "Schandfleck" gilt, weil dort z.B. die
homosexuelle Liebe nicht unter Todesstrafe steht, sondern erlaubt
ist.
Auch
Staatsführer anderer islamischer Staaten werden von Ahmedinejad
bedroht: "Wenn jemand ... dazu kommt, das zionistische Regime
anzuerkennen – sollte er wissen, dass er im Feuer der islamischen
Gemeinschaft verbrennen wird." Diese Worte wurden mit dem Massaker
in den Hotels von Amman Anfang dieses Monats Wirklichkeit. 57
Zivilisten verbrannten, weil Jordanien Israel anerkannt hatte und
weil es laut Kommandoerklärung "die Juden" beschützt habe. Und
schließlich: "Wir müssen uns die Niedrigkeit unseres Feindes bewusst
machen, damit sich unser heiliger Hass wie eine Welle immer weiter
ausbreitet."(2)
Dieser
"heilige Hass" ist bedingungslos; ein Hass, der sich durch keine
Variante jüdischen Verhaltens abmildern lässt. Ahmadinejad will
keine verbesserten Lebensverhältnisses für die Palästinenser und
fordert auch keine andere Politik von Israel. Es ist der Tod der
Juden in diesem Staat, den er will. Seine Rede konfrontiert aber
auch die Nicht-Juden unter uns mit dem ungewohnten Sachverhalt, dass
es Menschen gibt, die uns als ihre Feinde begreifen und die uns mit
ihrem "heiligen Hass" besiegen oder töten wollen.
Ahmadinejad
formulierte zugleich ein Programm, das islamistische Gruppen wie
Hizbollah, Hamas und al Q'aida mit der iranischen Staatsführung
vereint. Diese Organisationen sind antisemitisch geprägt und
propagieren und verbreiten die Bücher, die vor 70 Jahren von den
Nazis veröffentlicht wurden; Bücher, wie ich sie vor drei Wochen bei
einem iranischen Aussteller der Frankfurter Buchmesse problemlos
kaufen konnte:
Zum Beispiel
Die Protokolle der Weisen von Zion, herausgegeben von
der Islamic Propagation Organization der Islamic Republic of Iran.(3)
Schon die
ersten Seiten des englischsprachigen Traktats machen deutlich, dass
Israel im Visier dieser Neuausgabe steht: Wir sehen eine aus lauter
Dreiecken zusammengesetzte Schlange, die ein als "Greater
Israel" bezeichnetes Gebiet umschließt: große Teile von Ägypten,
Syrien, Libanon, Jordanien, Irak, Teile der Türkei sowie der Norden
Saudi-Arabiens. Jedes Einzeldreieck, heißt es in der Erläuterung,
symbolisiere das "Freemasons Eye", angeblich ein "Symbol of Jewry".
Oder der
zweitwichtigste Klassiker des modernen Antisemitismus: Henry Fords
Hetzschrift The International Jew in einer 200-seitigen
Kurzfassung, herausgegeben vom iranischen "Department of Translation
and Publication, Islamic Culture and Relations Organization". Ein
drittes antisemitisches Buch fiel mir auf der Buchmesse schon
aufgrund seines grellen Titels ins Auge: Ein roter Davidstern über
einem grauen Totenkopf und einer gelben Weltkarte. Es trägt den
Titel Tale of the 'Chosen People' and the Legend of 'Historical
Right' und ist von Mohammad Taqi Taqipour verfasst. Herausgeber
ist erneut "The Islamic Republic of Iran".
Die
Protokolle waren für die Nazis die "Vollmacht zum Völkermord"
(Norman Cohn). Heute werde sie im Programm der Hamas als
Beweismittel aufgeführt: Hier werden Juden als die Drahtzieher der
russischen und der französischen Revolution und als die Verursacher
des I. und des II. Weltkriegs, kurz: als die Inkarnation des Übels
schlechthin präsentiert.
Der Weg vom
Wort zum Mord ist kurz: Wer den Protokollen Glauben schenkt,
feiert das Selbstmordattentat im überfüllten Bus in Jerusalem als
Akt der Befreiung. Wer sich an dieser Schrift orientiert, muss
Israel als "Zentrale des Weltübels" auslöschen wollen, um die Welt
zu retten: So prahlte der ehemalige iranische Präsident Hashemi
Rafsanjani in 2002, dass schon "eine einzige Atombombe innerhalb
Israels alles zerstören" würde, während der Schaden eines
potentiellen nuklearen Gegenschlags für die islamische Welt
begrenzbar sei. "Solch eine Möglichkeit in Betracht zu ziehen, ist
nicht irrational."(4)
"Israel" im Kontext des
sekundären Antisemitismus
In Europa kann
heute von einem massenhaften eliminatorischen Antisemitismus keine
Rede sein. Wir haben es jedoch mit einem stark verankerten
antisemitischen Antizionismus und Anti-Israelismus zu tun, den
auch ein großes Segment der europäischen Linken unterstützt.
Natürlich ist
an einer Kritik der israelischen Politik, wie man sie in Israel
selbst tagtäglich hört, nichts auszusetzen – ihre Artikulation ist
ganz im Gegenteil die Grundlage der israelischen Demokratie. Die
antisemitische Kritik an Israel unterscheidet sich von der legitimen
dadurch, dass sie Israel entweder dämonisiert, oder delegitimiert
oder mit einem doppelten Standard misst. Mit diesen Begriffen ist
der von Natan Sharansky geprägte 3D-Test umrissen:
Dämonisierung:
Israel wird z.B. mit Nazi-Deutschland verglichen.
Delegitimation: Israels Existenz wird infrage gestellt, indem man
diesem Land beispielsweise das Recht auf Selbstverteidigung
aberkennt.
Doppelte
Standards: Die Politik der israelischen Regierung wird nach gänzlich
anderen Maßstäben beurteilt, als die Politik aller anderen
Regierungen der Welt.(5)
Wie
massenhaft die antisemitisch gefärbte Israelkritik gerade in
Deutschland verbreitet ist, zeigten die Ergebnisse der Umfrage, die
die Bielefelder Meinungsforscher um Wilhelm Heitmeyer in diesem Jahr
publizierten: Dieser Befragung zufolge stimmten 32 Prozent der
Bundesbürger der Aussage: "Durch die israelische Politik werden mir
die Juden immer unsympathischer" zu. 44 Prozent der Befragten
konnten "gut verstehen, dass man bei der Politik, die Israel macht,
etwas gegen Juden hat."
Diese Haltung
ist mit einer Aversion gegen Juden wegen Auschwitz, dem
sogenannten "Sekundären Antisemitismus" eng verknüpft. In
dieser Beziehung kamen die Bielefelder Forscher zu besonders
erschreckenden Resultaten: 68 Prozent Zustimmung erhielt die
Aussage: "Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute
noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden." 62
Prozent erklärten: "Ich bin es leid, immer wieder von den deutschen
Verbrechen an den Juden zu hören." Dieser sekundäre Antisemitismus
überlagert sich mit dem Anti-Israelismus, wenn ausgerechnet Deutsche
die Politik dieses Landes mit der Politik der Nationalsozialisten
vergleichen. 68 Prozent der Befragten erklärten: "Israel führt einen
Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser". 51 Prozent, also über
die Hälfte der Bundesbürger, erklärten: "Was der Staat Israel heute
mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als
das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben."(6)
Den
psychologischen Vorgang, der hinter diesen Zahlen steckt, haben die
Bielefelder Forscher mit dem Begriff der "Umwegkommunikation"
erklärt. Weil in Deutschland der offene Antisemitismus durch Hitler
diskreditiert sei, beobachte man eine Art von Umweg, um es Juden
doch noch heimzahlen zu können. Dieser Umweg führe über Israel und
sei mit dem Bedarf nach "Entlastung von Auschwitz" auf das Engste
verknüpft.
Die Zustimmung
zum Anti-Israelismus verändert das Umfeld persönlicher
Kommunikation. So hat der Nahost-Konflikt (bzw. dessen oft verzerrte
Darstellung in den Medien) die private Bereitschaft, sich
antisemitischen Äußerungen entgegenzustellen und "Gesicht zu
zeigen", nicht gerade erhöht. Die Metapher, die Sie in Ihrer
Einladung zur heutigen Veranstaltung verwendeten, trifft den Punkt:
Wer gegenwärtig dem Antisemitismus und der Abneigung gegen Israel
öffentlich entgegentreten will, muss "sein Gesicht wie einen
Kieselstein machen, um den Widerständen standhalten zu können."
Deshalb wird immer häufiger in Konfliktsituationen die Option
silence der Option voice vorgezogen. Mit
Silence aber nimmt eine "Schweigespirale" ihren Lauf: Wer sich
in der Minderheit fühlt, wird immer schweigsamer, während die
Anhänger der als Mehrheitsmeinung wahrgenommenen Position ihre
Standpunkte immer vehementer ausspielen. Diese Dynamik spielt den
genozidalen Plänen eines Ahmedinejad indirekt in die Hand. Sie
verhindert Solidarität und bewirkt Gleichgültigkeit oder gar Beifall
für die iranische Politik.
Antisemitismus
umfasst also weit mehr, als nur ein Vorurteil gegen Juden. "Der
Antisemitismus ist ein Massenmedium", betonte Adorno in seiner Rede
von 1962, "in dem Sinn, dass der anknüpft an unbewusste
Triebregungen, Konflikte, Neigungen und Tendenzen, die er verstärkt
und manipuliert, anstatt sie zum Bewusstsein zu erheben und
aufzuklären."(7) Wer die Neigung
verspürt, stolz auf seine Großeltern oder stolz auf Deutschland zu
sein, wird unbewusst dieser Neigung Schutz verschaffen, indem er
Juden und das Gedenken an den Holocaust für die Störung dieser
Gefühle verantwortlich macht. Und er wird nur allzu gern bereit
sein, den Konflikt zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu manipulieren,
indem er Israel zu einem Nachahmer des 3. Reichs erklärt und sich
durch die Gleichstellung von Opfer und Täter Entlastung verschafft.
Zutreffend schreibt das American Jewish Committee in seiner
in 2005 veröffentlichten Studie Task Force: Education on
Antisemitism: "Bei allen Unterschieden kann der Antisemitismus
in Deutschland nur vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen
Geschichte und der sozialen und familiären Tradierung von
Geschichtsbildern angemessen interpretiert werden." Genau dies macht
seine Bekämpfung hier so schwer.
Aufklärung gegen Antisemitismus
Ich werde mich
im Folgenden nicht mit den gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen (Politik, Medien, Kultur) beschäftigen, die das
antisemitisches Bewusstsein stärker prägen, als pädagogische
Anstrengung es je zu kompensieren vermag. Ich möchte auch nicht über
diejenigen sprechen, die sich nicht mehr bilden oder
verändern lassen, die also für Aufklärung unansprechbar geworden
sind. Für sie gilt unverändert Adornos Devise, dass "die wirklich
zur Verfügung stehenden Machtmittel ohne Sentimentalität angewandt
werden müssen, gar nicht aus Strafbedürfnis oder um sich an diesen
Menschen zu rächen, sondern um ihnen zu zeigen, dass das einzige,
was ihnen imponiert, nämlich wirkliche gesellschaftliche Autorität
einstweilen doch noch gegen sie steht." Und Adorno wiederholt:
"Antisemitischen Äußerungen ist sehr energisch entgegenzutreten: sie
müssen sehen, dass der, welcher sich gegen sie stellt, keine Angst
hat." Dies muss heute mehr denn je in Schulen, Universitäten und
sonstigen Bildungseinrichtungen die Richtschnur sein - unabhängig
von der Frage, ob der Träger antisemitischer Stereotype einen
muslimischen oder einen nicht-muslimischen Hintergrund hat. So ist
unbedingt zu begrüßen (und während der Berufsausbildung zu betonen),
dass nach geltender Arbeitsrechtssprechung Auszubildende aufgrund
antisemitischer oder rassistischer Äußerungen fristlos zu entlassen
sind.
Im Folgenden
soll es nicht um jene verstockten Charaktere gehen, sondern um
aufklärungsfähige Subjekte, die ich mit den Mitteln der Pädagogik
beeinflussen kann und will. Leider vermag selbst für jene Klientel
keine Erfolgsrezepte zu präsentieren. Stattdessen versuche ich
anhand von drei Fallbeispielen aus meinem Tätigkeitsbereich zu
zeigen, wie die Bekämpfung des Antisemitismus jedenfalls nicht
funktioniert.
Emotion vor
Sachinformation
Bei dem ersten Fall handelt es sich um ein Wochenendseminar für
Fachhochschüler, das im Frühjahr 2005 unter dem Titel "Dimensionen
des Antisemitismus" durchgeführt worden ist. Das Programm dieses
zweieinhalbtägigen Seminars war anspruchsvoll: Hochrangige
Referenten, darunter Prof. Brumlik, Prof. Gotzmann, Prof. Quindeau
und Prof. Kiesel referierten über die Formen der Judenfeindschaft,
über die Konstruktion antisemitischer Bilder, über die psychosoziale
Dimension des Antisemitismus und über biographische und
gesellschaftliche Erfahrungen mit antisemitischen Weltbildern. Ich
war mit meinem Thema "Hintergründe und Motive des Judenhasses im
islamischen Fundamentalismus" als letzter Redner dieses Seminar
platziert und ging von einem Vorwissen der Seminarteilnehmer –
allesamt Studierende einer Fachhochschule - aus.
Um so größer meine Überraschung, als ich nach der Hälfte meines
Vortrags die erste Fragenrunde eröffnete. Ich hatte bis dahin über
die Anfänge und Charakteristika der Judenfeindschaft bei der
ägyptischen Muslimbruderschaft in den 30er und 40er Jahren
gesprochen und Fragen oder Statements zu diesem Themenbereiche
erwartet. Stattdessen geschah etwas Unerwartetes. Die erste Frage
lautete:
"Warum liefert Deutschland immer noch Waffen an Israel?"
Dieser Einwurf hatte mit meinem Vortrag nicht das Geringste zu tun.
Wohl aber brachen mit ihm auf wundersame Weise zwei zentrale
Ressentiments gleichzeitig hervor: Erstens förderte das "IMMER
NOCH!" jene Aversion zutage, bis in die Gegenwart mit
Schlussfolgerungen aus der Shoah konfrontiert zu sein. Zweitens
stand unversehens der Unmut über Israel im Raum: Es wurden rot-grüne
Waffenexporte nicht im Allgemeinen, sondern allein im Falle Israels
kritisiert.
Ich versuchte, diese Frage in der ruhigen Erwartung zu beantworten,
dass die übrigen Teilnehmer der Veranstaltung den Rückbezug auf
meinen Vortrag schon erzwingen würden. Doch weit gefehlt! Ich merkte
nach und nach, dass nicht mein Referat, sondern der Skandal, dass
Deutsche IMMER NOCH Waffen an Israel liefern, das eigentliche
Interesse der Seminarteilnehmer traf. Mir kam dieses Anliegen wie
eine Blockade der von mir intendierten Sachdiskussion vor. Doch für
die Mehrzahl der Teilnehmer fungierte es als eine Art
Überdruckventil: Das emotionale Bedürfnis, über die IMMER NOCH den
Juden gewährte Unterstützung zu sprechen, beherrschte den Raum.
Notgedrungen gab ich den zweiten Teil meines Vortrags auf, um mich
dem Ansturm dieser Emotionen zu stellen.
Was war hier geschehen? Die Teilnehmer des Seminars hatten sich mit
der psychologischen Dimension der Befassung "mit der Shoah und mit
der Geschichte Israels offenkundig sehr wenig beschäftigt", schrieb
ich am Folgetag den Organisatoren dieser Veranstaltung. "Insofern
brach zum Abschluss dieses Seminars auf, was nach meiner Überzeugung
eigentlich an den Anfang gehört hätte: Die Befassung mit den
wichtigsten Ansatzpunkten für das antisemitische Ressentiments: Die
Haltung zur Shoah ("Schlussstrich") und die Haltung zu (bzw. das
Wissen über) Israel. Die letzte Heitmeyer-Umfrage hat das emotionale
Gewicht dieser beiden Topoi im gegenwärtigen Deutschland ebenso
eindrucksvoll wie erschreckend bestätigt. Es käme einem echten
Wunder gleich, wenn sich die emotionale Infrastruktur der gestrigen
Fachhochschulstudenten von der des deutschen Durchschnitts
wesentlich unterschiede."
Mir zeigte diese Erfahrung, dass die abstrakte Distanzierung vom
Antisemitismus mit dem konkreten Ressentiment gegenüber Israel und
der historischen deutschen Verpflichtung zusammengehen kann. Solange
die subjektiven Vorbehalte gegen Israel und die Schatten der
deutschen Geschichte weder an- noch ausgesprochen werden, kann
offenbar selbst ein akademischer Antisemitismus-Diskurs zum
Verdrängungsinstrument werden. Man könnte zugespitzt von einer
Scheinveranstaltung gegen den Antisemitismus sprechen: Bestimmte
kognitiven Fähigkeiten der Studenten wurden erweitert, ohne dass sie
sich in affektiver Hinsicht auch nur einen Zentimeter von der Stelle
bewegt hätten.
Es gibt aber
kein deutsches Gespräch über Juden, Palästinenser und Israel, das
nicht unterschwellig von der nachwirkenden Wucht der Shoah
beeinflusst ist. Dieser Einfluss ist umso effektiver, je unbewusster
er bleibt. Daraus folgt die Notwendigkeit, sich fortlaufend um eine
erhöhte Sensibilität für die Nachwirkungen der Shoah auf das
kollektive Bewusstsein zu bemühen: Die subjektiven Aspekte der
Befassung mit dem Antisemitismus sind zu beleuchten, anstatt gerade
um sie einen großen Bogen zu machen. Zweitens scheint mir wichtig,
zu begreifen, dass Antisemitismus sich immer wieder unterschiedlich
artikuliert. Es kommt darauf an, seine jeweils neuesten
Erscheinungsformen hier und anderswo aufspüren zu wollen, um sie
zurückzuweisen. Davon konnte in unserem Beispiel keine Rede sein.
Eine Seminarkonzeption, wie die hier vorgestellte, hat keines dieser
Ziele erreicht. Wenden wir uns nun in einem zweiten Exkurs den
öffentlichen Schulen zu.
Subjekt vor Objekt
Das Subjekt
des Antisemitismus ist der Antisemit. Das Objekt ist sein Opfer, der
Jude. Die Ursache des Antisemitismus hat bekanntlich wenig mit
dessen Objekt zu tun, sehr viel hingegen mit der mentalen
Disposition des Subjekts, seines Trägers. Dennoch sind Pädagogen,
denen es in bester Absicht um Lernzuwächse geht, immer wieder
versucht, die Aufklärung am Objekt, d.h. den Juden anzusetzen.
Da gibt es die
rationalistische Pädagogik, die auf Vernunft setzt und den
Schülern mithilfe von Statistiken erklärt, dass es keinesfalls nur
reiche Juden gab und gibt, dass Juden auch in den USA nur eine
Minderheit sind und selbst eine Ariel Sharon einige jüdische
Siedlungen räumen ließ. Nichts gegen die Vermittlung von Fakten –
ohne sie kommt Aufklärung niemals aus. Und doch kann die empirisch
ausgerichtete Aufklärung der antisemitischen Welterklärung wenig
anhaben, da diese nicht auf einem Mangel an Wissen basiert,
Dann gibt es
die erfahrungsorientierte Pädagogik, die z.B. die Begegnung
nichtjüdischer Schüler mit Juden organisiert. Hier lernen unsere
Kinder, dass auch Juden normale Menschen sind, dass zwei Juden drei
verschiedene Meinungen haben können und dass das typische Klischee
von den Juden, wie es neudeutsche Krimi-Serien unter Filmtiteln wie
Der Schächter oder Der Golem vermitteln, einfach nicht
stimmt. All dies ist wertvoll, weil es zum Hinhören zwingt und ein
Ereignis ist. Und doch kann die Einzelerfahrung ("Ich sprach mal mit
einen Juden, der war supernett...") den antisemitischen Blick auf
die Welt nicht wirklich erschüttern: hier operieren der
"Alltagsverstand" und die Erfahrung auf unterschiedlichen Ebenen –
die Landkarte und das Gelände bleiben voneinander isoliert.
Dann gibt es
drittens die auf moralische Einsicht setzende Pädagogik, die
die Schüler mit dem Leid der Juden in der Geschichte konfrontiert.
Auch dieser Ansatz kann, etwa in Form einer "Schocktherapie",
durchaus fruchtbar sein. Doch steckt die Tücke im didaktischen
Detail: Wer moralisiert, lässt außer Acht, dass schlechtes Gewissen
selten ein guter Ratgeber ist. Wer beispielsweise nebulöse
Schuldzuweisungen im Raum stehen lässt oder Schüler mit der
Wucht der NS-Verbrechen allein lässt, anstatt die subjektive
Verarbeitung derselben in das Zentrum des Unterrichts zu rücken,
provoziert Trotz und manchmal auch ein Mitleid, "das in seinem
eigenen Gefühl schwelgt", also bewusstlos bleibt.(8)
Ich glaube,
dass schulischer Unterricht viel zu selten die Subjekte selbst – die
Schüler und deren Vorurteile und Ressentiments – in den Mittelpunkt
des Geschehens rückt. Man sollte versuchen – und hier folge ich
wieder Adorno von 1962 - die Schüler "zur Besinnung über die
Formen des Denkens zu veranlassen. ... Ihnen wären die Mechanismen
bewusst zu machen, die in ihnen selbst den Antisemitismus
verursachen." Es gehe darum, fährt er fort, "die antisemitischen
Tricks ... auszukristallisieren, bekannt zu machen und für eine Art
Schutzimpfung zu verwenden."
Sie werden
vielleicht einwenden, dass solch eine Reflexion auf das Denken mit
den Bedingungen des Unterrichtsgeschehens kaum zu vereinbaren sei.
Das ist jedoch nicht wahr, wie ich anhand von zwei Beispielen aus
meiner Unterrichtspraxis vielleicht demonstrieren kann.
Mein erstes
Beispiel handelt von der Bemühung, in einer Berufsschulklasse von
Industriemechanikern das rassistische (nicht antisemitische!)
Ressentiment zu reflektieren. Ein durchaus vierschrötiger Typus von
Berufsschüler klärte mich im Unterrichtsgespräche darüber auf, dass
fremdenfeindliche Vorurteile nach seiner Erfahrung etwas Positives
seien:
"Wenn ich eine
Gruppe von Türken vor mir sehe und ich habe Vorurteile, dann mach'
ich einen Bogen um sie. Wenn ich aber keine Vorurteile habe, sondern
da mitten durchgehe, bekomm' ich vielleicht einen auf die Nase!"
Mich rettete
in dieser Situation das Pausenzeichen, denn ich brauchte Zeit, um
herauszufinden, was diesem unreflektierten Realismus
entgegengehalten werden kann. Natürlich musste sich auch meine
Erwiderung am Realitätsprinzip orientieren. Meine Überlegung war:
Niemand will gern den Dummen spielen. Niemand möchte sich von den
herrschenden Instanzen freiwillig manipulieren lassen. Die meisten
wollen erkennen, wie Manipulation funktioniert.
So auch mein
oben zitierter Schüler. Meine Fragestellung am nächsten
Unterrichtstag lautete: "Wodurch wird die Manipulation eher
begünstigt: Durch Vorurteile oder durch eine eigenständige
Position?" Die Antwort verstand sich von selbst. Dieser Schüler tat
sich später beim Nachweis von Manipulation mithilfe spezifischer
Sprachtricks am Beispiel von BILD-Artikeln besonders hervor.
Mein zweites
Schulbeispiel handelt von einer Situation, die vielen Pädagogen
bekannt sein mag: Ich meine die hochemotionalisierte Ablehnung ,
wenn im Unterricht ein Aspekt der Shoah behandelt werden soll. Doch
ist auch in diesem Fall die Schülerartikulation kaum weniger wichtig
als die Sache selbst. Meine Berufsschüler zeigten sind keineswegs
überfordert, wenn es darum ging, die Abwehr gegen die Befassung mit
der Shoah zum Unterrichtsgegenstand zu machen und zu erkunden, wie
es kommt, dass alle anderen historischen Themen mit einem gewissen
Sachinteresse rezipiert werden, während nur hier spontane Ablehnung
dominiert. Die Reflexion über diese kollektive Emotion (die die
fortgesetzte psychische Verstrickung in das Verbrechen bezeugt)
erwies sich nicht selten als eine Voraussetzung, um über das
eigentliche Thema – die Judenvernichtung durch Deutsche – sprechen
zu können.(9)
Diese
Beispiele aus dem Schulalltag mögen wenigstens andeuten, dass es
nicht nur möglich ist, sondern selbstverständlich werden sollte, im
Unterricht – um Adorno zu zitieren - auch "über sich selbst und die
eigenen Beziehungen zu denen zu reflektieren, gegen die das
verstockte Bewusstsein zu wüten pflegt." Damit komme ich zu meinem
letzten Punkt.
Öffentlichkeit statt Vertuschung
Was wäre
herausgekommen, wenn sich der Antisemitismus des Abgeordneten
Hohmann nicht in freier Rede, sondern in CDU-internen E-mails
artikuliert hätte? Hätte die Öffentlichkeit je davon erfahren? Oder
hätten die Verantwortlichen nach außen dicht gehalten und so dem
vereinsinternen Korps- und Kameradschaftsgeist ihren Tribut gezollt?
Die
gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung hat sich in einer
vergleichbarer Situation gegen Öffentlichkeit entschieden. Bis zum
Mai diesen Jahres war der stiftungsinterne Antisemitismusstreit, der
im Februar 2003 auf der Mailing-Liste von Böckler-Stipendiaten
aufflammte, unter Verschluss geblieben. Anlass der Kontroverse war
ein mit antisemitischen Stereotypen versehenes Papier, das ein von
der Stiftung geförderter Doktorand mit arabischem Hintergrund
verfasst und verbreitet hatte. Einzelne Stipendiaten sorgten zwar
dafür, dass die Debatte im Kontext einer Promovierenden-Konferenz im
November 2003 selbstkritisch reflektiert werden konnte. Und es wurde
begrüßenswerter Weise auch ein allgemeinpolitisches Seminar der
Böcklerstiftung über den Antisemitismus in der Linken hier in Berlin
organisiert.
Doch
scheiterte diese Stipendiatengruppe mit ihrem Versuch, die Debatte
und das von ihnen bestellte und dann von mir auch verfasste Dossier
über diesen Streit als eine ordentliche Publikation der
Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichen zu lassen: Im März 2005 Jahres
beschloss die Stiftung, über den Vorgang im eigenen Hause
Stillschweigen zu bewahren. Es handele sich um eine
"stiftungsinterne Angelegenheit", erklärte ein Mitarbeiter der
Promotionsabteilung. "Wir möchten nicht, dass das einer allgemeinen
Öffentlichkeit zugänglich wird."
Diese
Entscheidung ist bemerkenswert. Erstens gehört die Böckler-Stiftung
mit 250 geförderten Promovierenden pro Jahr zu den wichtigsten
Kaderschmieden der bundesdeutschen akademischen Elite und wird zudem
mit Steuermitteln subventioniert. Da geht es die Öffentlichkeit
durchaus etwas an, ob stiftungsintern Positionen auftauchen, die dem
Wunsch nach einer Auslöschung Israels Legitimation verleihen.
Darüber hinaus
stellt sich die Frage, was die Böckler-Verantwortlichen im Falle
einer Dokumentation dieser Kontroverse eigentlich fürchten. Ist es
die Angst, durch Skandalisierung des Antisemitismus in eine
Pro-Israelecke gedrängt und künftig nicht nur von muslimischen
Gruppen schräg angeguckt zu werden? Oder wird auf die Option
silence statt voice gesetzt, weil man das antisemitische
Stereotyp inzwischen selbst schon für tolerierbar hält?
Die
Böcklerstiftung scheint jedenfalls kein Einzelfall zu sein. Nachdem
ich den Böcklerstreit schließlich in einer externen Publikation
bekannt gemacht hatte (10), berichteten
mir Stipendiaten aus anderen großen Stiftungen von heftigen internen
Antisemitismusvorfällen- und debatten auch in ihren Institutionen,
von denen jedoch kein Sterbenswörtchen an die Öffentlichkeit
gedrungen sei. Natürlich gibt es keine Pflicht zur Offenlegung
derartiger Diskussionen. Dennoch hat "Gesicht zeigen" auch etwas mit
der Überwindung der Angst zu tun, am Ende auf nationaler oder
institutioneller Ebene als eine Art Nestbeschmutzer dazustehen.
Ich fand es
gut, dass vor einigen Monaten der Direktor einer Berliner Schule die
skandalöse Zustimmung einiger islamistisch verhetzter Schüler zum
Brudermord an einer emanzipierten Frau türkischer Herkunft
öffentlich machte, anstatt, wie sonst so oft üblich, den Skandal im
eigenen Hause zu vertuschen, um nicht als "Nestbeschmutzer"
dazustehen.
Der
"Nestbeschmutzer" ist laut Universalwörterbuch ein Mensch, "der
schlecht über die eigene Familie, Gruppe, das eigene Land redet".
Dieses Wort hat in einem Land, in dessen politischer Kultur das
Aufbegehren des Individuums in einem vielleicht noch schlechteren
Rufe steht, als anderswo, einen denkbar schlechten Klang.
Dabei zeigt
das Beispiel dieses Schulleiters, dass es gerade auf das Aufbegehren
gegen den Korpsgeist ankommt, wenn man eine Institution von
menschenfeindlichen Ideologien säubern oder besser: befreien will.
Die Vertuschung hingegen belässt das menschenverachtende Gedankengut
im Gemäuer. Man bildet der Außenwelt gegenüber eine Verschwörung
nach der Maßgabe des 11. Gebots: Auf dass uns bloß niemand erwischt!
Mir scheint
diese Wagenburg-Mentalität, gerade dann, wenn es um den
Antisemitismus geht, besonders verbreitet zu sein. Dies könnte
seine Ursache darin haben, dass gerade in Deutschland der
Antisemitismus untrennbar mit dem Schlimmsten, mit Auschwitz,
verbunden ist. Daraus resultiert ein Tabu, dessen Auswirkungen
widersprüchlich sind: Auf der einen Seite steht ein begrüßenswerter
gesellschaftlicher Konsens, der besagt: Wer sich unzweideutig
antisemitisch äußert, ist erledigt und fliegt raus. Auf der anderen
Seite gilt, dass je massiver dieses Tabu wirkt, um so mehr
zweideutig getuschelt und geflüstert wird. Je lauter das
antisemitische Ressentiment via "Umwegkommunikation" brodelt
und zischt, um so hartnäckiger scheint man darauf zu achten, dass
nichts wirklich Verdächtiges an die Oberfläche gelangt.
Wenn diese
Oberfläche dann doch einmal befleckt wird, holt man schnell die
Putzgarnitur und sorgt für eine rückstandslose Beseitigung des
Makels. Ein Beispiel: Als die CDU/CSU-Bundestagesfraktion durchaus
verdienstvoll und reflektiert, wie ich finde, ihr Mitglied Martin
Hohmann ausschloss, wurde die Öffentlichkeit kurzfristig durch
einen Nebenskandal aufgeschreckt: General Günzel hatte sich in einem
Brief für den Abgeordneten Hohmann eingesetzt und wurde deshalb
binnen weniger Stunden vom Dienst suspendiert. Man ließ der
Diskussion über Günzels Verfehlung und über die Zustimmung, die er
in den eigenen Reihen erhielt, keinen Raum. Stattdessen kamen die
Saubermacher und schon am nächsten Tag war nichts mehr zu sehen. Auf
diese Weise aber bleiben die untergründigen Brutstätten des
antisemitischen Ressentiments – anstatt sich dieser in aller
Öffentlichkeit anzunehmen, intakt.
Mir gefiel,
was im Kontext des Böckler-internen Antisemitismusstreits ein
Teilnehmer der Diskussion geschrieben hatte: "Kann ich all
diejenigen, die antisemitische Stereotype in ihrer Argumentation
erkennen lassen oder einem antisemitischem Gedankengut (vielleicht
unreflektiert) aufsitzen, umstandslos als Antisemiten bezeichnen?
Jemand darauf hinzuweisen, von mir aus in aller Schärfe, dass sie
bzw. er sich antisemitischer Denkfiguren bedient, ist was anderes,
als sofort (und manchmal auch triumphal) 'Du Antisemit' zu rufen."
In der Tat.
Zwar kann zuweilen der Ausruf "Antisemit!" nicht nur notwendig,
sondern auch befreiend sein. Stehen bleiben darf man dabei aber
nicht. Jede Forschungsarbeit in einer Zone, die das Nachleben des
faschistischen Antisemitismus betreffe, müsse, so Adorno, "geleitet
sein von dem Gedanken der Notwendigkeit, solche Phänomene und
Manifestationen zu begreifen und sich einzugestehen, anstatt sich
nur zu entrüsten. Nur wenn man auch das Alleräußerste – nicht
einfühlend, sondern schematisch – noch zu verstehen vermag, wird es
einem möglich sein, sinnvoll und mit Wahrheit dagegen zu wirken."
Der Bruch mit
Antisemitismus in seinen immer neuen Erscheinungsformen kann deshalb
nur in fortwährender Auseinandersetzung, d.h. prozesshaft vollzogen
werden. Es muss darum gehen, die Analysefähigkeit zum Erkennen der
verschiedenen Formen von Antisemitismus im Alltag zu schulen.
"Gesicht zeigen" heißt für mich, diese Auseinandersetzung auch dann
öffentlich zu führen, wenn sie, wie im Fall der Böcklerstiftung,
selbstkritisch anstatt selbstzufrieden geführt werden muss.
Ich begann
diesen Vortrag nicht grundlos mit der Brandrede des iranischen
Präsidenten gegen Israel. Wir leben in einer Zeit, in der es mehr
Antisemiten und mehr Antisemitismus auf der Welt gibt, als jemals
zuvor; einer Zeit, in der selbst die Möglichkeit eines neuen
epochalen Verbrechens gegen Juden nicht mehr auszuschließen ist.
Es ist
bestürzend, wenn sich vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund
der von Heitmeyer ermittelten Umfrageergebnisse das American
Jewish Committee veranlasst sieht, "die eklatante Leerstelle
[hinsichtlich der Bearbeitung des] Antisemitismus in der deutschen
politischen Bildungslandschaft" zu beklagen und konstatiert:
"Ausgearbeitete Konzepte, die der Besonderheit des Antisemitismus
und seiner gegenwärtigen Erscheinungsformen gerecht werden, sucht
man im deutschsprachigen Raum nahezu vergeblich."
Wie schnell
und wie radikal hier Veränderungen in Angriff genommen werden, ist
ein Maßstab für die Antwort auf die Frage, ob Deutschland aus seiner
Geschichte gelernt hat oder nicht.
Anmerkungen:
Ich danke Ulrike Becker und Cordula Behrens-Naddaf für Anregung und
Kritik.
Zitiert nach: Middle East Media Research Institute (MEMRI), Special
Dispatch vom 2.November 2005.
Die "Protokolle” sind ein antisemitisches Phantasieprodukt und
wurden erstmals vor 100 Jahren von rechtsextremen russischen Kreisen
mit dem Hinweis verbreitet, es handle sich um die Übersetzung von
Sitzungsprotokollen eines "Weltbundes der Freimaurer und Weisen von
Zion".
MEMRI Special Dispatch Series, No. 324, 3 January 2002.
Manfred Gerstenfeld, The Twenty-first-century Total War Against
Israel and the Jews, in: Jerusalem Center for Public Affairs,
Post-Holocaust and Anti-Semitism No. 38, November 1, 2005, S. 7.
Siehe unter:
http://www.jcpa.org/phas/phas-38htm
Vgl. Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände, Folge 3,
Frankfurt/M. 2004.
T.W.Adorno, Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, in: Erziehung
vorurteilsfreier Menschen. Erste Europäische Pädagogenkonferenz vom
30. Oktober bis 3. November 1962 in Wiesbaden, hrsg. Vom Deutschen
Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische
Zusammenarbeit, Frankfurt a. M. 1963, S. 15ff; Wiederabdruck in: Das
Argument 29, Jg. 6 (1964), S. 88ff.. Alle nachfolgenden
Adorno-Zitate stammen aus diesem Text.
Hannah Arendt, Über die Revolution, München 2000, S. 112f. Arendt
schreibt: "Sowohl die leidenschaftliche Anteilnahme an fremden Leid
wie die Perversion dieses echten Leidens in das gefühlsselige
Mitleid stehen außerhalb der Politik. Im politischen Raum
entspricht ihnen die Solidarität, die sich nicht wie das Mitleid 'zu
den Schwachen hingezogen' fühlt, sondern in abwägender Freiheit von
Gefühl und Leidenschaft darauf sinnt, eine von dem Wechsel der
Stimmungen und Empfindungen unabhängige, dauerhafte
Interessengemeinschaft mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten zu
etablieren. Das allen gemeinsame Interesse, an dem die Solidarität
sich orientiert, besteht in der 'Größe des Menschen', oder in 'der
Ehre des Menschengeschlechts' oder auch in der Würde alle dessen,
was Menschenantlitz trägt."
Diese Form des Unterrichts setzt seitens der Lehrperson ein
aufgeklärtes und offenes Verhältnis hinsichtlich der eigenen
Verstrickung in die Zeitgeschichte voraus.
Matthias Küntzel, Unschuld und Abwehr. Über einen
Antisemitismusstreit in der Hans-Böckler-Stiftung, in: Jungle World,
11. Mai 2005. Siehe unter:
http://www.matthiaskuentzel.de/contents/unschuld-und-abwehr
hagalil.com
14-12-2005
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