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Aus dem 1. Kapitel des Romans "Trümmerkind"

l. MATUSOWICZ, DER JUD'
III. Teil

Ohne etwas erreicht zu haben, trollte ich mich nach Hause. Unterwegs warf mir ein Junge einen Stein an den Kopf. Ich fragte ihn weinend nach dem Grund, und er antwortete mir feindselig, weil ich aus der Landsberger Straße sei.

Kurze Zeit nach meinem Ausflug parkte mein Vater seinen DKW wieder einmal vor dem Sparkassengebäude auf der Hauptstraße, wo jetzt der große Supermarkt ist. Oft hatte ich beobachtet, dass er zitterte, wenn er zur Sparkasse führ. Er wirkte dann angespannt und deprimiert auf mich, auch voller Wut. Bisweilen nahm er mich mit in den Kassensaal, und einer seiner Freunde dort schenkte mir ein Spielzeugauto oder ein Cowboybild. Dieses Mal aber war der Vater sehr angespannt und befahl mir im Wagen zu warten. Erst als ich älter war, begriff ich, dass er auf einem existenzbedrohenden Schuldenberg aus seiner ersten Ehe saß. Und es gab den Herrn Geitner in der Sparkasse, der die Zwangsvollstreckung gegen ihn einleiten wollte, und nur der Herr Höflmaier, damals Sparkassendirektor, half ihm aus der Klemme.

So saß ich auf dem Beifahrersitz, spielte mit den kleinen Schalthebeln und war - ahnungslos, aber durch den frühen Verlust meiner Mutter nachdenklich geworden - davongeglitten in meine Fantasien. Mitten in meine Träume hinein, von einer dunkelhaarigen Frau in einem eleganten grünen Kostüm, die mich auf ihren Knien hielt, erhob sich von ferne ein gefährliches Grollen in der Luft, wurde lauter und immer lauter. Die Erde begann zu vibrieren, das Auto mit ihr, und meine innerste Seele mit beiden. Überall um mich herum war plötzlich dieser Lärm, dieses Dröhnen und diese Bedrohung, die ich nicht verstand, die aber meinen Herzschlag zum Stocken brachten.

Ich war alleine. Ich hatte Angst.

Voller Panik wechselte ich auf den Sitz meines Vaters hinüber und klammerte mich an die Rückenlehne. Dann schob der erste amerikanische Panzer sich um die Ecke. Vom Kaufhaus Otto Müller her, vorbei am gelben Zwerchhaus, dem damaligen Landratsamt, die lange Hauptstraße hinunter. Er stoppte auf meiner Höhe, das Geschützrohr drohend stadteinwärts weisend. Zwei Soldaten saßen auf seiner Außenflanke, einer von ihnen sprang ab. Sie schrien sich etwas zu, dann wälzte das Gefährt sich weiter. Panzer um Panzer um Panzer quollen sie nun aus der Dachauer Straße hervor wie Hornissen aus einem Nest, an das man Feuer gesetzt hatte. Jeder ein riesiges, noch nie gesehenes Ungetüm, rollten sie in endloser Reihe an unserem zitternden kleinen Auto vorbei. Eine Riesenschlange Gefahr bringender Todesmaschinen im schmutzig grünen Tarnanstrich. Die Ruinen in München fielen mir ein. Schossen sie jetzt meine Stadt kaputt? War meine Mutter deshalb rechtzeitig abgehauen? Warum hatte sie mich zurückgelassen? Schwarze ragten halb aus den Gucklöchern, dunkle Mützen mit Ohrenklappen auf den Köpfen. Metallisch schillernde Qualmwolken stoben aus den Auspuffrohren und hängten ein blaues Tuch aus Gestank über die Straße. Alles um mich erzitterte, ich erzitterte, und es gab keine Leute mehr auf der Straße, sondern nur noch mich und diesen furchtbaren Lärm, und jetzt würden sie mich gleich kaputtschießen, und mit letzter Verzweiflung kroch ich unter den Fahrersitz, damit sie mich wenigstens nicht sahen, und vielleicht kam ich ja auf diese Weise noch davon.

Minutenlang dröhnte der Konvoi vorbei, für mich eine lähmende Ewigkeit. Zwischendurch schob ich vorsichtig den Kopf in die Höhe und spähte durch ein Seitenfenster. Alles was ich sah, waren Panzer, der Amerikaner und der schillernde Qualm. Schnell wieder unter den Sitz!

Irgendwann hatte selbst dieser Konvoi ein Ende. Das Dröhnen wurde schwächer und verschwand grollend in der Ferne. Die Leute, die Schutz in Hauseingängen oder Läden gesucht hatten, krochen steif wie morgendliche Käfer aus ihren Verstecken hervor. Und auch ich krabbelte zurück auf den Fahrersitz.

Mein Vater kam zurück, er war bleich, sah müde aus, und seine Finger zitterten, als er den Zündschlüssel einführte. Aufgeregt versuchte ich ihm zu erzählen, was mir widerfahren war, doch hatte er kein Ohr dafür und war mit seinen Gedanken weit entfernt. Wenige Minuten später rollten wir in unsere Hofeinfahrt.

Klar, dass von jenem Tag an der Amerikaner für mich endgültig erledigt war. Ich hatte nur noch Angst vor ihm und schlich mich davon, wenn ich ihn irgendwo sah. Doch glücklicherweise ist ein Jahr eine endlose Zeitspanne in einer Kinderwelt, und die Panik, die mich wochenlang verfolgt hatte, verflüchtigte sich. Dann zogen die amerikanischen Besatzungstruppen ab. Frau Bächtle mit ihrer lauten Stimme war wieder eine normale, einfältige Nachbarin. Ihr Mann schaufelte wieder unbeirrt auf seinen Baustellen, denn gebaut wurde überall in Fürstenfeldbruck. Nicht zuletzt wegen der Flüchtlinge, über die sich viele Leute aufregten, weil sie Wohnungen mit Wasserklo und Bad bekamen. Die Wände in den neuen Bädern waren blau oder grün gefliest und nicht bloß mit grauer Ölfarbe gestrichen wie auf unserem Trockenlokus. Eigentlich, so sagten viele Leute in unserem Bäckergeschäft, sei es ja überhaupt nicht einzusehen, dass »die da« jetzt alles bekämen, und noch dazu alles umsonst, während sie in Wirklichkeit doch nur Polacken seien, und wir selber kriegen nichts. Das alles kümmerte den Herrn Bächtle nicht. Er war einer, der ziemlich wenig verstand von den Dingen und der zufrieden war, wenn er in der Hand eine Schaufel und zwischen den Zähnen sein Pfeifchen halten konnte. Ich spielte mit dem Bächtle Roserl, das ein paar Jahre älter war als ich, und fand, sie käme aus einer ganz normalen Nachbarsfamilie. Mit der Zeit wurde auch das Getuschel über die Bächtlin weniger. Stattdessen nahmen die Andeutungen zu, dass sie in der Straße nicht die Einzige gewesen sei, die der Amerikaner besucht habe, und dass es einige gäberte, die heute die feine Dame spielten, wo man aber ganz genau weiß, wo sie ihre Nylonstrümpfe her haben.

Unser Haus wurde umgebaut. Erstmalig besaßen wir jetzt ein Wasserklosett, sogar zwei davon: Eines im Treppenhaus für uns und meine Großeltern, darin gab es sogar eine Badewanne. Das andere war unten im Hof, hinter einer groben Holztüre, die man mit einem Häkchen von innen zuhalten konnte, für die Bäckergesellen. Unser Bad war ein gewaltiger Fortschritt, es hatte auch Fliesen an den Wänden und keine Ölfarbe. Nur im Winter war es dort saukalt, weil es keine Heizung gab, sondern nur zwei Elektrostrahler an den Wänden mit einer Vorhangkordel. So heizte man das Bad am Samstag nachmittag immer eine Stunde vor. Warm machte das nicht richtig, denn zwar erwärmte sich die Luft, die Wände jedoch blieben eiskalt, und man musste warten, bis der aufsteigende Wasserdampf aus der Badewanne die Atmosphäre erträglich machte. In der Badewanne konnte Traudi jetzt die dicken weißen »Schiaß-Tücher« einweichen, mit denen man die langen »Schiaßbretter« bedeckte: Auf diese legte man die frisch gefertigten Semmel- und Brezenteiglinge, bevor man sie auf ein langes, löffelartiges Brett mit einem langen Stiel setzte, die sogenannte »Schiaß'l«, mittels derer man sie in den Backofen hinein schoss«. Die Tücher waren hinterher voller Mehl und Teigklumpen und nur mit größter Mühe sauber zu kriegen.

Es tat sich also was bei uns. Die Leute, die diskutierend vor unserem Haus stehen geblieben waren, als sich herumsprach, dass wir nicht nur ein Wasserklo, sondern auch eine richtige Badewanne bekämen, verliefen sich und arbeiteten jetzt an der Hebung ihres eigenen Lebensstandards. Schon ging das Gerücht, bei einer Familie etwas weiter die Landsberger Straße aufwärts bauten sie das Haus um und setzten sogar zwei Bäder ein. Das führte erst zu Verständnislosigkeit und dann zu giftigen Fragen: Ob man in diesem Haus vielleicht gar so dreckig sei, dass ein einzelnes Bad nicht mehr reichen würde, ha? Die Flüchtlingssiedlungen waren zwischenzeitlich auch fertig gestellt, und die Flüchtlingskinder, die wir ohnehin nur als »Grattler« bezeichneten, waren unsere natürlichen Feinde, mit denen wir uns häufig prügelten. Ich kam zur Schule, und mein Klassenlehrer Hering hielt uns eine eindringliche Ansprache, dass alle Kinder gleich seien und es keine Unterschiede zwischen ihnen gebe und dass man deshalb schon gar nicht »Flüchtlingssau« zu ihnen sagen darf. Das ging klar gegen mich und den Eberl Maxi, denn wir hatten auf dem Nachhauseweg immer gerne den Piontek verdroschen und ihm gesagt, dass wir unser Bad selber zahlen müssten. Dass seine Mutter sich über uns beschwert hatte, bestätigte nur, was mittlerweile alle sagten: Die Flüchtlinge saßen (A) schon überall drin und wurden (B) ganz schön frech. Während die Bayern, so hieß es, von allen leitenden Stellungen ausgeschlossen würden, weil sie zu blöde dazu seien. Selbst die Oberärzte im Krankenhaus waren keine Bayern mehr. Und generell fand man, dass die Flüchtlinge zusammenhielten wie Pech und Schwefel, und dass wir die Juden zwar losgeworden seien durch den Adolf, dass wir jetzt aber mit den Flüchtlingen eine ähnliche Plage am Hals hätten. Und dass leider keiner mehr da war, der da endlich einmal was sagt.

Fortsetzung...

hagalil.com 24-06-2002


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